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Eine frühe „Begegnung“ mit Adolf Hitler

Am Nachmittag des 4. Oktobers 1938 gingen meine Mutter, mein Bruder und ich nach Schlackenwerth einkaufen. Dutzende von Autos, Panzerspähwagen, Geschützen und Wehrmachts-Lkw kamen uns entgegen. Aber es fiel kein Schuss. Von der tschechischen Armee, die offenbar bis zum 3. Oktober 1938 aus dem Karlsbader Bereich abgezogen war, war nichts zu sehen. Die deutsche Wehrmacht überschritt in unserer Nähe am 4. Oktober 1938 die nur 10 Kilometer entfernte Grenze und wurde von der Bevölkerung herzlich begrüßt. Doch der Tag war noch nicht vorbei.

Plötzlich und unerwartet fuhr in einem Konvoi ein schönes Cabriolet vor, in dem sich ein relativ unscheinbarer Mann mit erhobenem rechtem Arm befand, der von der Bevölkerung in gleicher Weise freudig begrüßt wurde. Es war Adolf Hitler auf der Rückfahrt von Karlsbad nach Berlin, der in Schlackenwerth bei der Gaststätte „Zur wilden Henne“ kurz anhielt. In Karlsbad hatte er zuvor auf dem Dr.-David-Becher-Platz eine Ansprache gehalten und – laut Dokumentation in den Printmedien – Folgendes gesagt:

„Es war ein harter Entschluss, der mich hierher geführt hat. Hinter dem Entschluss stand der Wille, wenn nötig, auch die Gewalt zu Hilfe zu rufen, um euch frei zu machen. Umso glücklicher und dankbarer wollen wir sein, dass dieser letzte und schwerste Appell nicht notwendig war, um uns zu unserem Recht zu verhelfen ... Ich wusste nicht, wie und auf welchem Wege ich einmal hier herkommen würde. Aber dass ich einmal hier stehen würde, das habe ich gewußt.“

Das Auto hielt zufällig direkt vor uns. Ich sah Adolf Hitler aus einer Entfernung von ca. zwei bis drei Metern, umgeben von zahlreichen Stabsoffizieren und Generälen in ihren schmucken Uniformen. Dass es sich bei dem im Vergleich zu ihnen relativ unscheinbaren, eher bescheiden wirkenden Hitler um den „Führer“ des Deutschen Reiches handeln könnte, war aus meiner kindlichen Sicht kaum zu begreifen. Ich hielt ihn wohl eher für den Kraftfahrer. Warum ihm unsere offenbar glückliche Bevölkerung frenetisch zujubelte, als sei er ein „Messias“, habe ich zu dieser Zeit nicht verstanden, denn mit meinen knapp fünf Jahren konnte ich nicht wissen, dass die Tschechen und Slowaken die dreieinhalb Millionen Sudetendeutschen in den vergangenen zwanzig Jahren (1918-1938) nicht als ein gleichberechtigtes „Staatsvolk“ anerkannt hatten und dass 1919 zahlreiche unserer sudetendeutschen Landsleute von der tschechischen Soldateska erschossen worden waren.

Am 2. Dezember 1938 regnete es – nach meiner Erinnerung – blaue und pinkfarbene Flugblätter und Hakenkreuzfahnen vom Himmel, denn es zog das deutsche Luftschiff LZ 130 („Graf Zeppelin II“) wie eine silbergraue Zigarre lautlos-langsam seine Bahn. Da ich des Lesens mit knapp fünf Jahren noch nicht mächtig war, hatte ich den Inhalt der Botschaften nicht erfasst. Es ging offenbar um eine Propagandaaktion für die am 4. Dezember im Sudetenland durch „Führererlass“ anstehenden Wahlen zum „Großdeutschen Reichstag“. Der Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich war von der übergroßen Mehrheit unserer Landsleute begrüßt und seit Längerem auch gewünscht worden. Selbst der britische Sonderbotschafter, Lord Walter Runciman, der sich seit dem 8. August 1938 im Sudetenland aufgehalten hatte, empfahl am 21. September, „die Grenzgebiete mit überwiegend deutscher Bevölkerung unverzüglich von der Tschechoslowakei zu trennen und Deutschland anzugliedern.“

Die Normalität des Absurden

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