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Die Fahrt mit dem Panjewagen

Es war im Sommer 1945, als meine Mutter, aus Haid kommend, mit meiner damals erst fünfjährigen Schwester Gerti auf das Sitzbrett des Panjewagens eines russischen Soldaten stieg, der beide mit seinem Pferdegespann in das ca. vier Kilometer entfernte Rodisfort mitnahm und vermutlich nur hilfsbereit war. Unterwegs ließ er gesprächsweise erkennen, dass er am Nationalgetränk der Russen, Wodka, interessiert war. Als Gegenleistung bot er Schweinefleisch, welches mit unserer sehr knapp bemessenen „Lebensmittelkarte für Deutsche“ im Sommer 1945 gar nicht beziehbar war.

Wir hatten keine entsprechende Spirituose zu Hause und hochprozentige Alkoholika waren in unserem Haushalt verpönt. Meine praktisch denkende Mutter hatte aber – noch im April 1945 – bei der NSV relativ billig mehrere Flaschen Wein erstanden, denn offenbar wurden die letzten Reserven im April 1945 verkauft. Zum Feiern war den Erwachsenen unmittelbar nach Kriegsende sowieso nicht zumute, denn in der desolaten Lage und bei dem völlig ungewissen Schicksal der Männer bestand dafür kein Grund. Somit konnten wir den Wein, bevor ihn Tschechen beschlagnahmten, gut entbehren. Für fünf Flaschen Wein erhielten wir von dem freundlichen russischen oder ukrainischen Soldaten ca. fünfzehn Kilogramm frisches Schweinefleisch und fragten natürlich nicht, woher er es hatte. Mutter weckte das meiste davon ein. Bis zum Jahresende hatten wir drei genügend Fleisch, sodass ein eigentlicher Hunger gar nicht erst aufkam und sich das Tauschgeschäft für unsere kriegsbedingt entstandene Kleinfamilie als wahre Glücksquelle entpuppte. Dennoch habe ich mich dafür geschämt, dass die Mutter mit einem Angehörigen der Besatzungsmacht im offenen Wagen durch unser schönes Dorf Rodisfort fuhr, während sie sich nachts – zusammen mit anderen Frauen – im Akazienhain des Stengelbergs vor den gleichen, meist angetrunkenen Besatzern versteckte, um einer drohenden Vergewaltigung zu entgehen.

Ich konnte es damals einfach nicht fassen, dass fremde Mächte den Krieg gewonnen hatten, obwohl unsere Soldaten so tapfer gewesen waren und in meinen Kindesaugen die Wehrmacht die besten Waffen der Welt besessen hatte. Dass wir ein Jahr später über den Krieg hinaus auch unsere schöne Heimat verlieren würden, konnten wir zu dieser Zeit noch nicht ahnen. Und von den Potsdamer Beschlüssen erfuhren wir so gut wie nichts, da wir unsere Radios abgeben mussten.

Die meisten Tschechen waren sicher damals nicht daran interessiert, dass wir Sudetendeutschen von der Art und Weise unserer geplanten Vertreibung erfahren, die als „humane“ und nicht als „wilde“ Vertreibung erfolgen sollte –, eine Vertreibung, die durch nichts zu begründen ist, nachdem unsere Landsleute mehr als siebenhundert Jahre in Böhmen und Mähren in friedlicher Eintracht mit den Tschechen gelebt und durch fleißige Arbeit den Reichtum des Landes gemehrt hatten.

Die Normalität des Absurden

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