Читать книгу Die Normalität des Absurden - Heinz Schneider - Страница 14
ОглавлениеRadio Beromünster oder Meine erste Notlüge
Mein Vater hörte während seines Fronturlaubs, wie bereits erwähnt, immer drei Sender, und zwar Radio Moskau, Radio London und den Schweizer Landessender Radio Beromünster. Er hatte mir beigebracht, nie zu lügen, niemals, unter keinen Umständen.
Eines Tages wurde ich aus dem Unterricht der ersten Klasse herausgeholt und von zwei Männern im Ledermantel freundlich „empfangen“. Einer sagte: „Du bist doch so ein schöner (?), blonder, deutscher Junge, möchtest du eine Tafel Schokolade haben?“ Natürlich wollte ich. Prompt erhielt ich sie auch. Dann kam die nächste Frage: „Welche Sender hört dein Vater?“ Ich hatte ein durch und durch ungutes Gefühl. Die auffallende Freundlichkeit kam mir irgendwie verdächtig vor. Sollte ich den beiden nett wirkenden Herren wirklich die Wahrheit sagen? Der Begriff der Notlüge war mir noch nicht geläufig. Auch hatte ich als Schulkind bisher keine Bekanntschaft mit der Gestapo gemacht, von deren Existenz ich nichts wusste und deren Praktiken mir völlig unbekannt waren. Die Unwahrheit sollte ich aber – nach dem festen Grundsatz meines Vaters – unbedingt vermeiden. Was tun? Schon Schweigen wäre damals verdächtig gewesen. Gott sei Dank, wich ich instinktiv vom strikten Wahrheitsgebot ab und sagte, dass wir immer den „Großdeutschen Rundfunk“ hören. Die anderen Sender erwähnte ich mit keinem Wort, obwohl sie mir bekannt waren. Nachdem die Frage mehrfach in verschiedenen Versionen wiederholt worden war und ich fest bei meiner Ansicht blieb, wohl wissend, dass ich damit gelogen hatte, erhielt ich noch eine zweite Tafel Schokolade, ohne dass irgendwelche Weiterungen folgten. Ich bedankte mich höflich und hatte mein erstes Verhör, als freundliches Gespräch getarnt, mit gerade sieben Jahren heil überstanden.
Welch ein Glück! In engem zeitlichen Abstand wurden in unserem Heimatdorf Rodisfort im Egerland damals mehr als sechs Widerstandskämpfer verhaftet, darunter auch eine Frau. Die Männer wurden in das KZ Dachau eingeliefert. Meinem Vater blieb das Konzentrationslager erfreulicherweise erspart.