Читать книгу Ave Covid morituri te salutant - Heipe Weiss - Страница 22
ОглавлениеAve Covid, morituri te salutant (17)
Habe nun, ach endlich, unter dahingeworfenen Kleidungstücken auf dem Sofa den gesuchten Artikel von Dr. Hontschik, Zahlenschrott – Was ist eigentlich ein R-Wert?, gefunden, samt dem Thesenpapier 2.0 Datenbasis verbessern, Prävention gezielt weiterentwickeln, Bürgerrechte wahren der Autoren Schrappe, François-Kettner, Knieps, Pfaff, Püschel und Glaeske, und fühle mich so in der Lage, präziser zu formulieren, auf welche Fragen ich in Morituri 15 Antworten versucht habe.
Wenn es mir jetzt noch gelingen wollte, ein wenig ordnende Struktur in meine Texte zu bekommen, aber da funkt mir schon wieder die gestrige Lektüre von Klaus Theweleits Männerphantasien dazwischen. Mit der Assoziationskette, dass jede Schreiberei zwischen den Zeilen anhand der Formulierungen Rückschlüsse erlaubt auf das Unbewusste und vor allem das Verdrängte des Schreibenden, der gewissermaßen, wie auch die Autoren der Texte der Freikorpsmörder-Hauptmänner, zwanghaft drauflosschreiben muss, um seine respektive ihre Haut, sprich ihren Panzer, zu retten. Oder einen Ausgang zu suchen für die inneren Spannungen, die nicht abfließen wollen/können.
Immer noch besser schreiben statt zu explodieren, oder Amok zu laufen.
Kein Grund, nirgends, Amok zu laufen. Bloß wegen ein bisschen unheimlicher Ansteckungsgefahr durch einen unsichtbaren Feind namens Virus.
Und doch, da kommen unversehens traumatische Kindheitserinnerungen hoch aus dem Verdrängten, scheinbar Vergessenen, aus früheren Pandemiezeiten, sprich, den Jahren der Kinderlähmungsepidemie Anfang der Fünfziger.
Als nämlich Goldschuhchen des Morgens früh, hinter vorgehaltener Hand und in vertraulichem Ton, berichtet, sie könne von ihrem Fenster neben ihrem Dialysebett aus im Hof „als“ (hessisch für: immer wieder) die Quarantänetransporte vorfahren sehen, die Fenster mit Sichtschutzvorhängen verhängt und die Transporthelfer, die die Infizierten über den Hintereingang in die Infektionsdialyseräume im Parterre verfrachteten, in Raumanzügen. Zwar nicht bei Nacht und Nebel, aber vorsichtigerweise zeitlich und räumlich versetzt zu uns gewöhnlichen Dialysepatienten, damit wir uns nicht begegnen.
Da, bei diesem mit apokalyptisch gemeintem Hochziehen der Augenbrauen und sanft hysterisch, aber leise vorgetragenem Quasi-Augenzeugenbericht von den katastrophenartigen Begebnissen direkt in unserer Nachbarschaft, in der Etage unter uns, wir also gar nicht so weit weg von der Hölle – da sehe ich vor meinem geistigen Auge sofort wieder die Bilder vom ersten Besuch im düsteren wilhelminischen Krankenhausbau bei meiner von der Kinderlähmung infizierten, zwei Jahre älteren Schwester, wie ich als Vierjähriger alleine auf dem Gang warten musste und nur durch eine offene Tür die Metallröhren der Beatmungsmaschinen sehen und dieses Rasseln hören konnte, mit dem die in diesen „Eiserne Lungen“ genannten Metallsärgen Eingeschlossenen künstlich beatmet wurden.
Die finsteren Geschichten, die uns später in der Volksschule vom Religionslehrer und sonstigen bigotten Lehrpersonen über Fegefeuer und Verdammnis erzählt wurden, kannte ich als Vierjähriger noch nicht. Doch später standen meine Albträume über auf uns arme Sünder wartende Höllenqualen stets mit Bildern von dunklen Metallröhren und rasselnden, leise brummenden, angsteinflößenden Eisensärgen in Verbindung.
Angst einflößen – cui bono? Müßige Frage, ebenso wie die nach dem Who’s done it?.
Was ficht es mich an, ob das Virus einem Labor entschlüpft oder von einem Vampirleichnam über ein Gürteltier auf den Menschen übergesprungen ist; das alles kann mir ebenso gleichgültig sein wie der irre Streit zwischen einem durchgeknallten amerikanischen Präsidentendarsteller und seinem Twitter-Dienst oder der zwischen der Bildzeitung und einem Berliner Virologen und Kanzlerinnenberater namens Drosten.
Hauptsache China, sag ich nur, die Schlitzaugen sind schuld. Es geht doch nichts über ein anständiges, rassistisch inspiriertes Vorurteil. Hauptsache, es findet sich irgendein oder noch besser gleich ein paar anständige Sündenböcke, die man in die Wüste schicken kann, damit wir uns besser fühlen.
Und schon bin ich bei meinen unterschwelligen Angstgefühlen, die sich damit verbinden, dass ich zur mehrfach gefährdeten Risikogruppe gehöre, für die jene für den Rest der Menschheit inzwischen etwas gelockerten Kontaktsperreregeln auch weiterhin gelten.
Arschkarte gezogen – neudeutsch (aus den neunziger Jahren) formuliert.
Aber es geht ja um unseren Schutz, nur um unseren Schutz. Isolation, aus reiner Solidarität. Danke, brothers and sisters, Danke. Wollten schon immer mal geschützt werden. Muss ja nicht gleich Schutzhaft genannt werden. Besuchsverbot, als reine Schutzmaßnahme, genügt ja schon.
Freiheit? Wer war das? Wer hat da Freiheit gerufen?
Wo steckt er bloß wieder, der ewige Verschwörungstheoretiker? Aber das haben wir gleich. Muss nur noch ein bisschen an der App gebastelt werden. Digitalis, wir kommen.
(28. Mai 2020)