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Ave Covid, morituri te salutant (5)

Take it diseasy

(but take it!)

Was wir für neue Vokabeln lernen. Nosokomial zum Beispiel. Eine Nosokomie ist laut dem Pschyrembel eine im Krankenhaus erworbene Infektion. Experten (wunderliche Wesen, äh, Weise) weisen darauf hin, dass diese Nosokomie – ähnlich wie die fatalen multiresistenten Krankenhauskeime, an denen jährlich Tausende von Krankenhauspatienten sterben – während der Corona-Pandemie zunehmend an Bedeutung gewinnen wird, eine Bildung von „Clustern“ wie auch in Altenheimen bewirken könnte. Cluster, noch so ein neues Modewort, das bislang überwiegend positiv konnotiert benutzt wurde – eine erfreulich enge Zusammenarbeit im wissenschaftlichen oder industriellen Bereich meinend. Nun also Cluster auch im Zusammenhang mit Seuchenherden.

Unsere Dialysezentren sind um die Vorsorge vor ansteckenden Keimen und anderen Krankheitserregern ebenso besorgte wie erfahrene Einrichtungen. Hat man es hier doch täglich mit Patienten zu tun, denen mit Nadeln in den Arm gepikt wird, um kontinuierlich einen halben Liter Blut zwecks Reinigung aus ihrem Körper heraus in die Dialysemaschine zu pumpen und anschließend wieder zurück. Dass deshalb hier besonders auf Hygiene geachtet werden muss, ist überlebensnotwendig für die Patienten. Aber auch die Pfleger und Ärzte müssen darauf achten, sich nicht anzustecken, denn eine Weiteransteckung ihrer Patienten könnte sich für diese letal auswirken – letal, oder Letalität, eine freundliche medizinische Bezeichnung für einen höchst tödlichen Ausgang.

Insofern bilden die Dialysezentren ähnlich wie Intensivstationen in den Krankenhäusern ein anschauliches Beispiel dafür, was der angesichts der COVID-19-Bedrohung besonders gefährdete Teil der Bevölkerung zu erwarten hat: Dann, wenn die angekündigte „Lockerung“ oder gar „Befreiung“ der Restbevölkerung von der allgemeinen Quarantäneanordnung endlich stattfindet, der „Lockdown“ – der die Wirtschaft insgesamt lähmende und die meisten Klein- und Mittelbetriebe wie die kulturellen Einzelkämpfer (Scheinselbstständigen) der Insolvenz entgegentreibende Stillstand – wie dringlich erwartet endlich ein Ende findet. (Ende ungut, alles ungut.)

Die Pflegerinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte unseres Dialysezentrums tragen schon seit zwei Wochen Schutzmasken, unseren Taxifahrern wurde verordnet, immer nur noch einen Patienten pro Fahrt zu transportieren und diesen lonely Fahrgast hinten sitzen zu lassen. Vermutlich, um einer der Nosokomie ähnlichen Transporto- alias Taxikomie vorzubeugen. Bei uns Patienten haben diese Maßnahmen dazu beigetragen, unsere krankheitsbedingt ohnehin ausgeprägte Nosophobie (krankhafte Angst, krank zu werden) in ungeahnte Höhen zu katapultieren. Bevor diese explosionsartige Erhöhung des Panikniveaus zu einer ausweglosen Selbstisolation führen kann (wie beim Altersmilliardär Howard Hughes, der sich in einem allen Fremden unzugänglichen Stockwerk eines seiner Hotelhochhäuser in Las Vegas einsam die Fingernägel auswachsen ließ wie ein chinesischer Mandarin und im eigenen Heimkino permanent die von ihm produzierten Spielfilme anschaute, dank Demenz immer wieder völlig neue, spannende Reißer, meist mit John Wayne oder ähnlichen Hollywood-Heroen, meist auch mit Happy End), hat die Dialysezentrumsbetreiberzentrale gestern nun an uns Patienten jeweils eine hochwertige, waschbare Mund- und Nasenschutzmaske verteilen lassen. Mit der Maßgabe, ab jetzt gelte für die Dialysezeit wie für den Hin- und Rücktransport Maskenpflicht. Überdies seien die Masken zweimal wöchentlich bei 60 Grad zu waschen; wie man das mit nur einer Maske bewerkstelligen soll, blieb unerwähnt.

Immerhin Gratismasken. Schutzmasken waren in den letzten Wochen echte Mangelware, ähnlich wie Desinfektionsspray oder wie, völlig überraschend, auch Klopapier. Welche Kollateralschäden die Corona-Krise noch alles im Gepäck hat, werden die nächsten Wochen zeigen. Unerwartete Details werden fehlen, vielleicht wird es Engpässe bei so was wie den kleinen Schläuchen für den Sauerstoffzufluss der Intensivpatienten geben, oder bei den Druckerpatronen für das Homeoffice, oder man glaubt es kaum, ausgerechnet bei den Staubsaugerbeuteln.

Aber die armen, am Ende oder genauer gesagt am Anfang der Billigkonfektionslieferkette sitzenden, dank Auftragsstaus der Modehäuser von der plötzlichen Arbeitslosigkeit bedrohten Näherinnen in Indien, Bangladesch und anderswo werden aufatmen. Wenn endlich die Bestellungen aus den reichen westlichen Nationen kommen, massenhaft solche Gesichtsmasken herzustellen, die in den letzten Wochen in unseren Breiten zu milden Gaben geworden sind, von mitmenschlich denkenden Nachbarn, Freunden oder Verwandten in Fünferpacks in unsere Briefkästen geworfen, in Sorge wegen der besonderen Gefährdung der Risikogruppen: der mit Vorerkrankungen Behafteten oder derer, die die Altersgrenze überschritten haben, der Siebzigjährigen und älter, allesamt potenzielle Patienten mit „letalem“ Ausgang bei einer drohenden Ansteckung.

Dankbar noch über diese milden Gaben nachsinnend – „coming all the way from China“ –, plagt uns andererseits zunehmend der Gedanke, dass es doch angesichts der angekündigten allgemeinen Gesichtsmaskenpflicht zu erheblichen Widersprüchen kommen könnte: wenn man bedenkt, dass das altbekannte generelle Vermummungsverbot in scharfem Gegensatz steht zu Programmen der Gesichtserkennung und dem (die Ausbreitungswege der epidemischen Ansteckung erhellenden) Trackingprogramm, das wir uns möglichst alle total freiwillig auf unsere ambulanten Abhörvorrichtungen – äh, Mobilfunkgeräte – laden sollen. Aber all das sind (für maoistisch geschulte Vollmarxisten) vermutlich nur Widersprüche im Volk, keinesfalls Antagonismen (im Klassenkampf). Und das könnte überraschend wichtig werden. Jetzt, angesichts der kommenden Ostermärsche. Aber andererseits: Wozu haben wir denn eigentlich die Polizei?

(9. April 2020)

Ave Covid morituri te salutant

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