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Ave Covid, morituri te salutant (4)

Grundgesetz – auf Grund gesetzt?

Wie viele Grundrechte dank Corona kurz- oder mittelfristig mal eben so außer Kraft gesetzt werden, ist schon beeindruckend. Reisefreiheit, Versammlungsfreiheit, Gewerbefreiheit, Freiheit der Berufsausübung, all diese Dinge, die wir gewöhnlich für selbstverständlich halten, sind – vorübergehend? – eingeschränkt. Wenn nicht gar völlig eliminiert. Angeblich zugunsten des Rechts auf Leben. Das, so heißt es, werde wohl ein jeder einsehen. Common Sense, oder – wie die irreführende deutsche Version lautet – der gesunde Menschenverstand. Als ob es einen ungesunden Menschenverstand gäbe. Den sollten wir dann lieber – ehrlicherweise – Schwarmdummheit nennen.

Irgendwer hat in den letzten Wochen erklärt, wir würden uns noch wundern, welche Kompetenzen den Regierenden für den Fall eines Ausnahmezustands vom Gesetz her eingeräumt würden – da seien die alten Notstandsgesetze, gegen die es 1968 reichlich Opposition gegeben habe, ein Kinkerlitzchen gewesen. Zu verdanken hätten wir diese extrem weit gehenden Möglichkeiten zur Einschränkung des Grundgesetzes ausgerechnet unserm ach so korrekten, linken Ex-„RAF-Anwalt“ Otto Schily, der als sozialdemokratischer Innenminister in der rot-grünen Regierungszeit gezeigt habe, wozu ein echter Preuße in der Lage ist. Er habe still und heimlich in rasantem Tempo, ohne dass die Öffentlichkeit größer davon Notiz genommen hätte, im Schnellverfahren die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zur Quasiabschaffung des Grundgesetzes in Notstandszeiten via Parlament und Bundesrat durchgeboxt. Und was das alles beinhalte, das könnten wir jetzt angesichts des Corona-Ausnahmezustands gleichsam hautnah erleben.

Nehmen wir zum Beispiel die Versammlungsfreiheit. Wenn bei dem jetzigen wunderschön sonnigen Frühjahrswetter in der Osterzeit mehr als zwei Personen zusammen an der frischen Luft im Park wandeln oder sonst wo in der „Öffentlichkeit“ (falls man davon überhaupt noch sprechen kann, wo doch kaum noch etwas offen ist – da kann Hölderlin noch so freundlich mahnen „Komm! ins Offene“), dann ist das bereits ein Fall für die Polizei. Und ein Strafgeld ist fällig.

In meiner Erinnerung habe ich so etwas nur einmal erlebt, im Sommer 1968 in Paris, im Quartier Latin. Unten am Ende des Boul’Mich, des Boulevard Saint-Michel, am Rand der Seine, wo an der Kaimauer sonst die Bouquinisten auf die Touristen oder diverse Liebhaber antiquarischer Bücher und Zeitschriften warten, standen die vielen jungen sonntäglichen Flaneure auffälligerweise immer nur zu zweit auf dem Platz vor dem Brunnen des heiligen Michael herum. Einem Brunnen, in dem laut einer Mutmaßung der Satirezeitschrift, die damals noch (L’Hebdo) Hara-Kiri hieß (bis sie wegen der Schlagzeile „Bal tragique à Colombey – 1 mort“ zu de Gaulles Tod verboten wurde und prompt eine Woche später als Charlie Hebdo wieder erschien), wohl der Goldschatz der französischen Republik versteckt sein müsse. Denn er war derart militärisch gesichert, dass tatsächlich mehrere hochbewaffnete Hundertschaften der Bürgerkriegstruppe CRS (Compagnies Républicains de Sécurité) aufmarschiert waren.

Ähnlich bewacht werden muss offensichtlich dieser Tage der Osterspaziergang – vom Eise befreit und schon von Corona bedroht. Allerdings betrifft es diesmal kein abgegrenztes Terrain, wie 1968 das Quartier Latin in Paris, sondern das ganze Land. Beziehungsweise den ganzen Kontinent und mehr. Auslöser ist überdies heutzutage keineswegs ein Aufstand der Bevölkerung oder ein von den Werktätigen organisierter Generalstreik, der das gesamte Land so gut wie komplett lahmlegt, sondern schlicht Angst. Die kein guter Ratgeber sein soll. „Ick bin de arme Kunrad“, hieß es in den Zeiten, die zum Bauernkrieg des 16. Jahrhunderts führen sollten, „un wiss mir kun Rat.“ Angst, Furcht, Ratlosigkeit. Furchtbare Zeiten.

(5. April 2020)

Ave Covid morituri te salutant

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