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Das Nokia-Jahrzehnt

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Innerhalb eines Jahrzehnts ein Handy in jeder Hand. Mit dieser Revolution unseres Alltags verbinden wir an erster Stelle einen Namen: Nokia. Niemand hatte mit dem biederen Konzern aus Finnland gerechnet, dem damaligen politischen wie industriellen Hinterland Europas mit exotischer Sprache, langen, finsteren Winternächten und dem skurrilen Humor von »Leningrad Cowboys«. Nokia war alles andere als ein High-Tech-Unternehmen. Im 19. Jahrhundert aus einer Papierfabrik am namensgebenden Fluss Nokianvirta entstanden, wurde es im 20. Jahrhundert ein Mischkonzern. Nokia produzierte Gummistiefel und Radmäntel für Rollstühle, Traktor- und Autoreifen und Strom. Erst ab 1975 stellte Nokia Radio- und Fernsehgeräte und ab den 1980er-Jahren Autotelefone her: Das war die unglaubliche Mixtur, aus dem ein Handy-Champion entstehen sollte.

In einer der radikalsten Wetten auf die Zukunft, die je das Management eines Traditionsunternehmens einging, setzte der visionäre Nokia-Chef Jorma Ollila in den 1980er-Jahren alles auf eine Karte. Er verkauft die verlässliche, aber langweilige Gummi-, Kabel- und TV-Geräteproduktion, die 90 Prozent des Umsatzes ausmachte, und macht Nokia zu der Marke, die zum Weltmarktführer bei Mobiltelefonen werden sollte. Nokia macht und beherrscht den Handyboom: Zur Jahrtausendwende bringt es das legendäre Nokia 3310 heraus, das in fünf Jahren mit 126 Millionen Stück zum populärsten Handy des Nokia-Jahrzehnts wurde.

Mehr als zehn Jahre vor Apple emotionalisiert Nokia das Handy und macht es zum modischen Accessoire. Individuelle Cover für die Geräte ermöglichen jeder und jedem sein ureigenes Handy. Damit Benutzer ihren persönlichen Talisman oder angeblich strahlenabschirmende Steinchen befestigen konnten, integrieren die Designer eine winzige Schlaufe in der Hülle. Man experimentiert mit Designerstoffen anstatt kaltem Metall, um Handys das Technoide zu nehmen. Aus der Modeindustrie übernimmt der Konzern das Ritual von Frühjahrs- und Herbstkollektionen, die in Cannes, Helsinki, Barcelona, Berlin, London und New York als mediale Spektakel inszeniert werden.

Mit seinen Innovationen sorgte Nokia dafür, dass es immer öfters einen Grund gab, zum Handy zu greifen. Vom 2-Zeilen- zum 4-Zeilen-Display, von schwarz-weiß zu Farbe, von Textzeilen zu grafischen Displays. Freisprechfunktion, Wecker, Organizer, Vibrationsalarm. Ein eingebautes UKW-Radio und eine Taschenlampe. Dafür verschwindet die Antenne, damit das Handy beim Herausziehen aus der Tasche nicht hängenbleibt. Immer kleiner, immer dünner. Die ersten Datenverbindungen GPRS und EDGE, und mit Mail und »WAP« (Wireless Application Protocol) Babyschritte Richtung Internet. 1996 kam der erste Nokia Communicator heraus, ein vollwertiger Organizer für den Arbeitsalltag, der sogar faxen konnte. Mit der Jahrtausendwende wurden aus den Handys immer öfter Unterhaltungsgeräte: Als MP3-Player, Spielkonsole, Fotoapparat, portabler Fernseher. Mit jedem neuen Feature wurde die Beziehung zu unseren Handys inniger, der Suchtfaktor stärker. Zweijahresverträge mit dem Mobilfunker stellten sicher, dass die neuen Geräte mit ihren neuen Funktionen rasch weite Verbreitung fanden.

Der Spion in meiner Tasche

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