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Die Stagnation

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Manchmal kann man am eigenen Erfolg scheitern. Unter unangefochtener Führerschaft von Nokia hatte das Handy geschafft, was noch keiner Technologie davor gelang: Eine de facto 100-prozentige Marktsättigung in einer Dekade. Epidemiologen kennen das Phänomen, dass grassierende Seuchen besonders aggressiver ansteckender Krankheiten wieder zusammenbrechen, sobald der Krankheitserreger niemanden mehr findet, den er noch anstecken kann. Darum zeichnete sich am Handymarkt Mitte der 2000er-Jahre das Abklingen der Manie ab, nachdem ein Handy (fast) in jeder Hand und jeder Tasche war.

Der weltweite Verkauf stagnierte, die Geräte wurden nicht mehr so häufig durch neue Modelle ersetzt wie noch zur Jahrtausendwende. Prominente Hersteller wie Ericsson, Siemens oder Alcatel zogen sich aus dem Handymarkt zurück. Hitziger Wettbewerb sorgte für billigere Gesprächsgebühren. Gut für Konsumenten, schlecht für Mobilfunker: Die Umsätze, die zuvor in den Himmel zu wachsen schienen, begannen zu schrumpfen.

Handys waren jetzt im Alltag allgegenwärtig. Mit einer Vielzahl an Klingeltönen hatten sie das Ende des guten alten Festnetztelefons eingeläutet. In den Haushalten wurden Telefonanschlüsse abgemeldet, eine Festnetznummer war ein Zeichen fortgeschrittenen Alters. Telefonbücher verschwanden aus Büros und Wohnungen.

Ein Grund für die nachlassende Liebe: Handys schafften es nicht, mit der anderen rasanten digitalen Entwicklung dieser Jahre mitzuhalten, dem Internet. Mail hatte schon vor der Jahrtausendwende Brief und Fax weitgehend abgelöst. Das Zeitwort »googeln« wurde bereits 2004 durch Aufnahme in die 23. Auflage des Duden geadelt. Printmedien kämpften gegen Einkommens- und Bedeutungsverlust durch junge Onlinemedien an und kannibalisierten sich selbst mit Gratisausgaben. Amazon wurde zum Schrecken des Handels, Facebook begann sich im Freundeskreis breit zu machen. Ein Drittel der Bankkunden nutzte schon Onlinebanking. Von YouTube bis Spotify breitete sich Streaming von Video und Musik anstelle von Downloads aus. Aber zu dieser neuen digitalen Affäre war ein PC nötig. Die exorbitanten Datenpreise der Mobilfunker verhinderten, dass Internet am Notebook außerhalb vom WLAN im Café populär wurde. Natürlich versuchten die Handyhersteller mitzuhalten. Als »MMC«, Multimedia-Computer, propagierte jetzt Nokia seine internetfähigen Handys. Damit wollten die Finnen der Kundschaft beibringen, dass sie alle Segnungen des Internets auch am Handy nutzen konnten. Vor allem Musik, was mit der Erfindung des iPods 2001 und seines Musikdienstes iTunes unangefochten die Domäne von Apple geworden war. Später wurde diese aufgemotzte Handy-Generation »Feature-Phones« getauft. Dank billiger Preise sind sie heute noch in Ländern der Dritten Welt beliebt.

Aber mit Ausnahme von E-Mail am BlackBerry und am Nokia Communicator gelang es nicht, das Handy zu einem Teil des Internetbooms zu machen. Statt wie bisher zu emotionalisieren, wurde das Publikum mit technoiden Kürzeln bombardiert, wie WAP, UMTS, MMS oder DVB-T (Auflösung: Wireless Application Protocol, Universal Mobile Telecommunications System, Multimedia Messaging Service, Digital Video Broadcasting Handheld). So kompliziert wie die Abkürzungen waren Einstellungen, Menüs und Bedienung des Internet in der Tasche. Die Geräte waren eben in erster Linie zum Telefonieren und für SMS-Texte gemacht – der schrittweise Umbau zu »Multimedia-Computern« überforderte die technische Basis und die Kunden.

Der Spion in meiner Tasche

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