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Wir wurden gewarnt

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Ein Vierteljahrhundert ist es her, als rund 100 Millionen Menschen vor ihren Fernsehern stundenlang dem Drama einer merkwürdigen Live-Verfolgungsjagd zuschauen. Unter strenger Einhaltung des gesetzlichen Tempolimits fährt ein weißer Ford Bronco in der kalifornischen Abendsonne die mehrspurige Interstate 5 in Orange County entlang. Mit Respektabstand folgt ihm eine Autokolonne der California Highway Patrol mit blau und rot blinkenden Lichtern, ohne je zu versuchen, den weißen SUV aufzuhalten. Über ihnen kreisen Polizei- und TV-Hubschrauber. Auf der Gegenseite halten Fahrer an und winken dem vorbeifahrenden Konvoi, als ob es eine Karnevalsveranstaltung wäre.

Auf dem Rücksitz des Bronco hält sich der zu einem beliebten Filmstar und TV-Entertainer gewandelte frühere Football-Star O.J. Simpson eine Pistole an die Schläfe und droht mit Suizid. Am Steuer des Wagens sein bester Freund und früherer Football-Teamkamerad Al Cowling. An diesem Tag hätte sich Simpson der Polizei stellen sollen: Er wird verdächtigt, seine Ex-Frau Nicole Brown Simpson und deren Freund Roland Goldman ermordet zu haben. Als Simpson nicht bei der Polizei erscheint und zuhause nicht angetroffen wird, leiten die Cops die Fahndung ein.

Um 17.51 Uhr begeht O.J. einen entscheidenden Fehler: Er meldet sich telefonisch bei 911, dem US-Polizeinotruf, um sich zu erklären. Jetzt kennt die Polizei seine Handynummer, wenige Minuten später lokalisiert sie ihn auf der Interstate 5 in Orange County nahe dem Friedhof, wo seine Ex-Frau bestattet ist. Eine Stunde später haben sie Sichtkontakt zum weißen Ford Bronco seines Freundes Cowling und nehmen die Verfolgung auf. Über das Handy hält Cowling Kontakt zu den Polizisten: Sie müssen Abstand halten, andernfalls schießt sich Simpson eine Kugel in den Kopf.

Die mehrstündige Fahrt durch das südliche Kalifornien wird zum filmreifen Spektakel: Von Autobahnbrücken jubeln Menschen Simpson zu, er möge durchhalten. Alle TV-Networks in den USA übernehmen die Live-Feeds aus den Hubschraubern. Dabei findet am Abend dieses 17. Juni 1994 ein prominentes Football-Finalspiel statt: Mit geteiltem Bildschirm können die Zuschauer auf der einen Seite den Bronco samt Polizeikonvoi verfolgen, auf der anderen Seite das Spiel. Gegen 21 Uhr gibt Simpson schließlich auf und wird verhaftet.

Erstmals wurde bei dem Spektakel die Öffentlichkeit auf einen neuen vertraulichen Informanten der Polizei aufmerksam: das Handy von O.J. Simpson. Zu einer Zeit, da erst Stars und Bosse über das neue, coole Gadget verfügten, gab es noch wenig Bewusstsein darüber, wie die Technologie eigentlich funktionierte. Man konnte auf der Straße, am Strand, am Swimmingpool und im Auto telefonieren: Das reichte den Meisten, um Handys cool zu finden und über eine Anschaffung nachzudenken. Viele Menschen dachten wohl, man könne bei einem mobilen Gerät im Gegensatz zu einem Festnetzanschluss nicht herausfinden, wo sich der Teilnehmer gerade aufhielt – wie denn, wenn das Handy ständig woanders war?

Welch kolossaler Irrtum. Das musste O.J. Simpson an diesem Tag erfahren, und mit ihm erstmals alle, die atemlos seine Flucht mitverfolgten. So neu war die Entdeckung, dass die »Los Angeles Times« und die meisten Medien diesem Umstand in ihrer Berichterstattung breiten Raum widmete: »Flüchtender verließ sich auf sein Handy und wurde von ihm verraten«, titelte die Zeitung in fetten Lettern. Bis in die kleinste Einzelheit wurde beschrieben, wie die Polizei mit Hilfe eines Durchsuchungsbefehls und der Mitarbeit des Mobilfunkbetreibers den ungefähren Aufenthaltsort von Simpson und seine Fahrt wenige Minuten nach seinem ahnungslosen Anruf beim Polizeinotruf ausmachen konnte. Und staunend erfuhren die Leser bei dieser Gelegenheit, dass sich Polizisten bereits seit längerem dieses neuen Werkzeugs in ihrem Ermittlungskoffer bedienten. Erst wenige Monate davor wurde so der flüchtige Drogenboss Pablo Escobar in Kolumbien aufgespürt. »Sobald Simpson einen seiner Freunde angerufen hätte, hätten wir ihn sofort gefunden«, erklärte ein stolzer Detektiv der »Los Angeles Times«. Praktisch, dass er sich gleich direkt an die Polizei wandte.

Der Spion in meiner Tasche

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