Читать книгу Der Spion in meiner Tasche - Helmut Spudich - Страница 18
Berührende Revolution
ОглавлениеDoch Erlösung war in Sicht und sie kam von keinem der »üblichen Verdächtigen«, wie Steve Jobs vor tausenden Fans Anfang 2007 die Branchenriesen des Handymarkts auf der Bühne des jährlichen Apple-Hochamts »Macworld« spöttisch abkanzelte. Dank der Rückkehr seines charismatischen Gründers in den 1990er-Jahren hatte Apple ein beachtliches Comeback geschafft. Mit dem MP3-Player iPod und der Musikbibliothek iTunes hatte Jobs die Musikindustrie auf den Kopf gestellt. Auf der Gerüchtebörse wurde seit langem ein Apple-Handy gehandelt. Ein Motorola-Handy mit integriertem iTunes war bisher der einzige Ausflug in diesen Bereich geblieben. Nokia hatte Grund, der Herauforderung gelassen entgegen zu blicken: Mit 50 Milliarden Euro Jahresumsatz und 437 Millionen verkauften Handys jährlich waren die Finnen mehr als doppelt so groß wie Apple.
All das hinderte Jobs nicht an vollmundigen Ansagen. »Von Zeit zu Zeit gibt es ein revolutionäres Produkt, das alles verändert«, leitete er seine mehr als einstündige Show ein. Der Mac habe nicht nur Apple, sondern die ganze Computerindustrie transformiert. Der iPod krempelte Musikkonsum samt Musikbranche um. Und jetzt bringe Apple »gleich drei neue revolutionäre Produkte« auf einmal auf den Markt: Einen iPod mit großem Touchscreen, ein revolutionäres Mobilfunkgerät und einen »sensationellen Internet-Kommunikator« – »es sind drei Geräte in einem, und wir nennen es das iPhone«.
Noch mehr als ein Jahrzehnt später ist die Präsentation des ersten iPhones ein überragendes Ereignis. Im Rückblick lässt sich sagen, dass Jobs sein Versprechen vom »revolutionären Handy« gehalten hat. In seiner Keynote (weiterhin auf YouTube) führt er vor, wie schon wenige Jahre später die meisten Menschen ihre Handys benutzen würden, gleich ob iPhone oder Geräte mit Googles Android.
Anstelle einer fixen Plastiktastatur tritt das Touch Display: Ein Bildschirm wie die grafische Benutzeroberfläche des Computers, mit Fingern statt einer Maus zu bedienen. Durch den Entfall der Tastatur wird das Display größer, Bildschirm-Tasten erscheinen je nach Notwendigkeit und passen sich dem jeweiligen Programm an – der »App«. Bilder und Texte werden durch Auseinanderziehen zweier Finger vergrößert, durch zusammenzwicken verkleinert. Mit dem Finger von links nach rechts wischen, um das Gerät zu entsperren (womit Apple später ein Patentverfahren gegen Samsung gewinnen sollte) oder von einem Bild zum nächsten zu kommen. Von oben nach unten »scrollen«, um am iPod durch die Songs zu »blättern«, oder auf einer Webseite weiter zu gelangen. Telefonnummern auf einer Webseite antippen, um einen Anruf zu machen. Webbrowser und Mailprogramm, wie es Benutzer vom Computer gewohnt waren. Google Maps, um den Weg zu finden. Ein einziger Home Button, um wieder an den Anfang zurückzukehren, wenn man sich in den Apps verirrt hatte. Mit Sonderapplaus bedacht: Ein separater kleiner Schalter, um Klingeln zum falschen Zeitpunkt sofort abdrehen zu können. Und dazu den iPhone-Klingelton, der bald so bekannt sein sollte wie davor die Nokia-Tunes.
Es ist bemerkenswert, wie Steve Jobs mit dieser Vorführung im Jahr 2007 die neue Welt der Smartphones so definierte, wie sie bis heute funktioniert. Erstaunlicherweise kamen in dieser Premiere zwei essenzielle Bausteine unserer Smartphones zu kurz. Das war einerseits Fotografie am Handy: Zwar zeigte Jobs die iPhone-Foto-App und die integrierte 2-Megapixel-Kamera. Aber zu Recht hätte er bei seiner Einführung auch digitale Fotografie auf seine revolutionären Fahnen heften können. Nokia hatte dies zuvor durch eine Kooperation mit dem deutschen Traditionshersteller von Präzisionsoptiken Zeiss probiert. Doch die Daten von Fotosites wie Flickr zeigten bald, dass sich die (noch vergleichsweise inferiore) Kamera des iPhones rasch an die Spitze aller geknipsten Bilder setzte. Einfache Benutzung zählte mehr für den Erfolg als technologische Überlegenheit.
Andererseits fehlte jeder Hinweis auf einen App-Store und damit auf die schier unbegrenzten weiteren Verwendungsmöglichkeiten für das iPhone, die Abertausende von Apps bald eröffnen sollten. Gerade darin lag das »Revolutionäre« der neuen Handygeneration: Durch Apps können sie sich immer wieder neu erfinden. Ein Jahr später, im Sommer 2008, sollte schließlich der App-Store mit 500 Angeboten seine virtuellen Tore öffnen. Heute werden über zwei Millionen Anwendungen angeboten, zu denen täglich Hunderte neue kommen.
Der Rest ist Geschichte. Bei der Apple-Messe, bei der Jobs die Revolution verkündete, konnte das iPhone nur als sakrales Kultobjekt hinter Glas bewundert werden, wie Kronjuwelen geschützt. Bis zum Sommer 2007 durfte kein Sterblicher Hand an das Wunderwerk legen. Wie das Stehplatzpublikum bei Ballettvorstellungen der Wiener Staatsoper warteten schließlich tausende Fans in einer Juni-Nacht vor Verkaufsbeginn vor den amerikanischen Apple-Stores, um die Segnungen des von Medien nur halb-ironisch »Jesus-Phone« getauften Geräts empfangen zu dürfen. Szenen, die sich in Hauptstädten rund um den Globus wiederholten.