Читать книгу Venezianischer Dämonenfluch: Gruselroman Großband 3 Romane 10/2021 - Hendrik M. Bekker - Страница 16
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VOM LIDO HATTE PHILIPPA sich völlig falsche Vorstellungen gemacht. Es war eine riesige, langgezogene Insel: ein Café am anderen, abgezäunte Bezirke, Strandkorb an Strandkorb, an anderen Stellen stand wiederum Haus an Haus – und Tausende von Menschen, ein gewaltiges Stimmengewirr betäubte sie fast, ein wahnsinniges Gefühl. Vom weißen Strand sah sie herzlich wenig und alles kostete Geld, viel Geld.. Ein paar kleine Kanälchen zogen sich auch durch die Gassen, um dem Lido wenigstens einen Hauch von Venedig zu geben. Aber damit hatte es sich auch schon.
Hier fuhren Autos, die mit der Fähre herübergebracht wurden. Die Reichen leisteten sich den Luxus, auf dem Lido mit dem Wagen mobil zu sein. Schließlich konnte ja keiner von ihnen erwarten, dass sie die paar Kilometer vom Casino zum Golfplatz zu Fuß oder mit einem Fahrrad zurücklegten ...
Philippa zuckte zusammen, als sie das Dröhnen eines Flugzeugs hörte, das im Landeanflug heranstrich. Die Maschine ging auf dem Aeroporte Nicelli im Norden der Insel nieder.
„Unfassbar“, murmelte Philippa Carnor. Den FKK-Strand suchte sie vergebens – einen freien Platz irgendwo anders am Wasser, wo sie nicht von anderen Urlaubern belagert wurde, ebenfalls. Enttäuscht schlenderte sie durch die Straßen und über die Wiesen. Sie hatte sich diese Gegend etwas anders vorgestellt.
Eine Cola und eine Minipizza später glaubte sie ihren Augen nicht trauen zu dürfen. Sie sah Luigi Campa! Er saß vor einem Straßencafé, vor sich ein Glas Wein, und winkte Philippa zu, als ihre Blicke sich kreuzten.
„Das darf nicht wahr sein“, murmelte sie.
Wie lange war Campa schon hier auf der Insel? Gerade angekommen konnte er nicht sein, denn die Weinkaraffe, die vor seinem halb gefüllten Glas stand, war leer. Er musste also schon geraume Zeit hier gesessen haben.
Sie ging auf ihn zu und blieb an seinem kleinen Rundtisch stehen. „Bist du mir etwa gefolgt? Ich mag das nicht!“
„Ich auch nicht. Deshalb war ich schon vor dir hier. Ich dachte mir, dass du zum Lido wolltest, Philippa. Aber du siehst enttäuscht aus. Hast du nicht gefunden, was du suchtest? Du solltest dich wirklich meiner Führung anvertrauen.“
„Ich denke nicht dran“, fauchte sie. „Lass mich in Ruhe!“
Sie wandte sich ab. Luigi Campa hielt ihre Hand fest.
„Warte, Philippa“, sagte er. „Ich kenne eine Stelle, an der der Strand nicht so überlaufen ist. Da kommt kaum ein Mensch hin. Da kannst du baden und dich sonnen. Es ist ein Privatgelände.“
„Und ausgerechnet du hast da Zutritt, wie?“
„Es gehört einem Freund“, sagte Campa. „Was ist? Magst du?“
„Nicht unter diesen Voraussetzungen“, sagte sie. „Lass mich in Ruhe. Läufst du mir noch einmal über den Weg, gehe ich zur Polizei und zeige dich wegen Belästigung an. Oder ich schreie. Es gibt hier bestimmt ein paar Kavaliere, die dir liebend gerne beibringen, was ich offenbar nicht schaffe.“
„Du bist mir böse“, sagte er. „Das macht mich traurig. Ich will dir helfen.“
„Ich brauche deine Hilfe nicht.“ Sie riss sich los und schritt davon. Der Knabe hatte ihr gerade noch gefehlt. Er war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie kehrte zur Anlegestelle zurück, wartete auf das nächste Vaporetto zurück zum Markusplatz und ließ sich hinüberfahren. Zum Übernachten musste sie doch wohl anderswo unterkommen. Der Lido eignete sich nicht. Durch das Casino, die unzähligen Lokale und auch die Kinos, das Programm ausschließlich in deutscher Sprache und somit voll auf den Tourismus abgestimmt, würde auch nachts Hochbetrieb herrschen. Sie überlegte kurz, ob sie Venedig nicht sogar total aus dem Programm streichen sollte, vor allem, wenn dieser Papagallo ihr ständig in die Quere kam und anzubandeln versuchte. Aber andererseits hatte sie sich so sehr darauf gefreut und wollte wenigstens auch etwas von der Lagunenstadt gesehen haben. Und das war heute nicht mehr zu schaffen. Die meisten öffentlichen Gebäude und Museen hatten nur bis achtzehn oder neunzehn Uhr geöffnet, und für richtige Besichtigungen reichte die Zeit schon jetzt nicht mehr. Sie konnte sich nun also völlig darauf konzentrieren, ein Nachtlager ausfindig zu machen. Vielleicht gab es auf einer der anderen Inseln ein ruhiges Fleckchen ... sie wollte sich anhand des Stadtplans erst einmal gründlich orientieren.
Sie sah voraus bereits den Markusplatz auftauchen.
Da glaubte sie zu träumen – ein offensithlicher Albtraum! Vorn im Wasserbus – stand Luigi Campa!
Da wurde er ihr wirklich unheimlich, und sie begann sich zu fürchten ...