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NEBEL LAG ÜBER DEM Wasser. Grau kroch er heran, und er verschluckte alles: Umrisse, Bewegungen, Stimmen, Licht. Er brachte Kälte mit – eine Kälte, die ungewöhnlich war für diese Gegend und für diese Jahreszeit. Aber vielleicht lag es nicht nur am Nebel, sondern an der Anwesenheit der Gestalten in den dunklen Kutten.

Sie bewegten sich lautlos und tauchten wie Schatten auf, um als Schatten wieder in den weißen Nebelschleiern zu verschwinden. Wenn sie die Köpfe bewegten, deren Gesichter von den Kapuzen beschattet wurden, waren Augen zu sehen, die niemals Menschen gehören konnten.

Sie leuchteten hellrot und verstrahlten einen unheimlichen Schein.

Rechts und links ragten Grabmäler auf, kaum zu sehen im dichten Nebel – gepflegte Grabstätten, andere unkrautüberwachsen und mit abblätternder Farbe an den ehemals weißen Steinen ... Kies auf den Wegen ... doch dieser Kies knirschte nicht unter den Schritten der Kuttenträger.

Es schien, als berührten ihre Füße den Boden überhaupt nicht.

Die Kapelle war längst im Nebelmeer versunken. Die sieben Kuttenträger legten etwas über vierhundert Meter zurück, bis sie rechtwinklig abbogen und schließlich am Ende des Weges anhielten. Hier befand sich keine Gruft.

Hier war nur Gras, wuchernd, ungepflegt. Und hier und da steckten ein paar einfach zusammengenagelte Holzkreuze im Boden, zum Teil verwittert, zerbrochen. Und hier lag eine Gestalt, ein Mädchen.

Zwei der Kuttenträger glitten auf das Mädchen zu, zerrten es vom Boden hoch und lösten die Fesseln. Es versuchte sich loszureißen, um sich zu schlagen. Aber eine Hand schoss vor, knochig und grau, und drei Finger berührten die Stirn des Mädchens.

Die hektischen Bewegungen erlahmten jäh.

Die Kuttenträger mit den rot leuchtenden Augen bildeten einen Kreis um einen Fleck, an dem sich kein Kreuz befand. Und doch musste hier ein Grab sein, denn es passte genau in den Freiraum, der zwischen den Grabreihen war.

Kehlige und dumpfe Laute ertönten. Es war eine Sprache, die das Mädchen nie zuvor gehört hatte, eine Sprache, die schon alt war, ehe es die ersten Menschen auf der Erde gab.

Die Kuttenträger nahmen das paralysierte Mädchen in ihre Mitte. Ein fremdartiges Leuchten ging von ihnen aus. Das Leuchten kroch unter ihnen hervor, breitete sich linienförmig aus und zog helle Streifen über den Boden. Ein siebenzackiger Stern entstand, an dessen Spitzen sich die Unheimlichen befanden. Die Spitzen wurden von einem Kreis berührt, und die Linien flammten immer heller, spien Feuer aus dem Boden – kaltes Feuer, das das Gras nicht verbrannte.

Die Augen des Mädchens waren angstvoll geweitet. Es wollte schreien, war aber dazu nicht in der Lage. Aber selbst wenn es hätte schreien können – es wäre niemand da gewesen, der es gehört hätte. Venedig war weit ...

Die Laute wurden zu monotonem Murmeln. Und als die sieben Kuttenträger ihre grauen knochigen Hände vorstrecken, floss dunkelrotes Glühen aus ihren Fingern und berührte das Mädchen. Die Kleidung zerfiel, wehte als Staub zu Boden. Und das Mädchen selbst begann zu schweben.

Der Körper bewegte sich wie von selbst, drehte sich langsam schwebend um die Längsachse, siebenmal. Nach der siebten Umdrehung brachten unsichtbare Kräfte das Mädchen in die Waagerechte.

Der Verfall begann.

Die Haut erschlaffte, wurde faltig. Der gerade noch schlanke, feste Körper magerte ab, alterte in wenigen Augenblicken. Die Haare bleichten und fielen aus, wurden zu Staub. Nach kurzer Zeit bestand das Mädchen nur noch aus Haut und Knochen.

Unten im Gras schimmerte es blutrot. Das Rote sickerte in den Boden, verschwand in der Tiefe, als habe es niemals existiert.

Dann war es vorbei.

Die ausgedörrte, teilweise mumifizierte Gestalt sank zu Boden, der leuchtende Siebenstern im Kreis verlosch jäh. Zwei der Kuttenträger hoben das, was von dem Mädchen übrig geblieben war, auf. Ein dritter formte ein Tor in der Luft vor sich. Sie schleuderten den Leichnam hinein. Lautlos verschwand er, und das Tor schloss sich wieder.

Die Kuttenträger schritten durch den Nebel davon. Nichts deutete mehr darauf hin, was sich hier eben in den frühen Morgenstunden abgespielt hatte. Als der Nebel wich, war von dem grausigen Geschehen nichts mehr zu sehen.

Dabei hatte sich dieses grässliche Schauspiel zum sechsten Mal ereignet, auf der Toteninsel von Venedig.

Die Leiche würde irgendwo wieder auftauchen, doch wo war ihnen gleichgültig. Es würde keine Spuren geben...


Venezianischer Dämonenfluch: Gruselroman Großband 3 Romane 10/2021

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