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VON EINEM MOMENT ZUM anderen sah Joe sich von unzähligen Flügeln, Schnäbeln und Klauen attackiert. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Valera nicht betroffen war. Die Tauben konzentrierten sich nur auf ihn. Er wollte noch den Dämon fassen und festhalten, ihn mit in die Gefahrenzone holen. Aber irgendwie hatte es der Schnurrbärtige geschafft, sich blitzartig außerhalb Joes unmittelbarer Reichweite zu begeben.

Der Ritter des Nimrod konnte ihm nicht mehr nachschauen. Er wurde angegriffen. Die Schnäbel und Klauen der Vögel waren mörderische Waffen. Joe riss die Arme hoch, um das Gesicht einigermaßen zu schützen, und rannte über den Platz auf die Cafés und die Geschäfte unter den Säulengängen zu. Er stieß Stühle und Tische beiseite, achtete nicht darauf, ob an diesen Menschen saßen, und brach sich seine Bahn. Die Musik der Freiluftkünstler hörte abrupt auf, als diese das Weite suchten, um nicht ebenfalls von der Taubenwolke angegriffen zu werden. Dabei waren sie gar nicht in Gefahr. Die Vögel waren ausschließlich auf Joe Gemmer fixiert.

Joe sah eine Glastür vor sich auftauchen. Er stürmte hindurch und schlug sie zu. Im nächsten Moment krachten die ersten Tauben gegen das Glas. Es zitterte. Joe verharrte. War er in Sicherheit? Hielt das Glas dem Ansturm der Tauben stand?

Der Besitzer des Ladens stürmte auf Joe zu und redete hastig auf ihn ein. Er war totenblass, stand auch unter dem Eindruck des unheimlichen, schier unmöglichen Geschehens. Was sich hier abspielte, durfte es nicht geben ...

„Gibt es hier einen Hinterausgang?“, wollte Joe wissen. Der Ladeninhaber verstand ihn nicht und zeterte weiter, wollte Joe gar zur Tür und wieder hinausschieben. Er fürchtete wohl um seine Schaufenster und um die Ware, die dahinter stand: Murano-Glas – dasselbe wie in den Geschäften weiter drinnen in den kleinen Gassen, aber hier am Markusplatz mindestens fünfmal so teuer. „Hinterausgang!“, verlangte Joe. Dann, als er sah, dass der Mann ihn in seiner Aufregung nicht verstand oder nicht verstehen wollte, drängte er sich an diesem vorbei und in die hinteren Räume des Ladens. Im nächsten Moment barst die Glastür.

Splitter flogen meterweit nach drinnen, und eine graue Masse aus Tauben quoll in den Laden, breitete sich blitzschnell aus. Der Ladeninhaber ließ sich rückwärts fallen. Die Tauben fegten über ihn hinweg, ohne ihn zu behelligen. Joe riss einen Vorhang zu, obgleich er wusste, dass die Vögel sich davon nicht würden aufhalten lassen. Er sah eine weitere Tür, schlüpfte hindurch und befand sich an einem kleinen Kanal ohne Gehweg. Er schmetterte die etwas massivere Tür hinter sich zu. Augenblicke später knallte es dumpf, als die verfolgenden Tauben gegen die Tür prallten.

Joe atmete tief durch.

Er hoffte, dass die Tauben jetzt von ihm abließen. Durch die feste Holztür kamen sie nicht. Aber sie konnten auf die unselige Idee kommen, draußen weiter nach ihrem Opfer zu suchen. Vielleicht waren sie auf Joes Bewusstseinsaura eingestellt.

Der Ritter des Nimrod wartete. Gleichzeitig sah er sich nach einem weiteren Fluchtweg um. Hier kam er aber nur weg, wenn er schwamm oder an der Fassade des Gebäudes emporkletterte.

Hinter dem Kanälchen befand sich ein kleiner abgezäunter Park, der hier und da Tore besaß. Im Park ruhten sich auf den Bänken besichtigungsmüde Touristen aus, mehr oder weniger mit Schatten gesegnet. Niemand achtete auf Joe.

Zwei Meter weiter seitwärts sah er ein Boot. Es besaß keinen Motor, war wohl nur ein kleines Transportfahrzeug, um diese oder jene Dinge zu einem der Läden zu bringen. Vielleicht war auch jemand vom Personal damit gekommen. Joe fragte nicht lange, was es mit diesem Boot auf sich hatte oder wem es gehörte. Er schob sich bis an die äußerste Kante seines winzigen Standplatzes und stieß sich ab.

Er erreichte das Boot knapp, taumelte und drohte ins Wasser zu stürzen, zumal dieses Boot sich naturgemäß bewegte. Joes Bewegungsimpuls wurde weitergegeben, und das Boot wollte sich unter ihm wegdrehen. Er schaffte es gerade noch, sich auszubalancieren.

Rasch löste er die Vertäuung, stemmte sich gegen die Hauswand und stieß sich mit dem Boot ab. Damit es nicht geklaut wurde, hatte der Besitzer wohl die Paddel mit ins Haus genommen. Nun, Joe gab sich genug Schwung, auf der anderen Seite ans Ufer zu gelangen. Dort stieg er aus und schubste das Boot zurück. Diesmal reichte der Schwung nicht ganz aus, und es blieb drei Meter vor der Hauswand und dem Eingang, zu dem es gehörte, zurück.

Joe verzog das Gesicht. So hatte er sich das eigentlich nicht vorgestellt. Aber jetzt ließ sich nichts daran ändern. Es gab auf diesem Mini-Kanal keine Strömung, das Boot würde also kaum davontreiben können. Schulterzuckend ging Joe zum Park und von da aus in Richtung Markusplatz zurück.

Die Tauben ließen sich nicht sehen, aber er hörte auf dem Platz Menschen schreien und rufen, und er hörte das Brausen ungezählter Flügel. Da war offenbar immer noch der Teufel los. Joe lächelte grimmig. So ganz hatte der Dämon die Tiere doch nicht unter Kontrolle; sie hetzten Joe nur, solange sie ihn sehen konnten. Er wagte es nicht, den Platz wieder zu betreten, solange sich die Tauben in Aufruhr befanden. Hoffentlich schaltete Valera und suchte hier nach ihm. Joe verzog das Gesicht. Er hatte auch keine Ahnung, wohin der Dämon sich jetzt gewandt haben mochte. Er griff nach seinem Handy, um Valera zu sagen, wo er war. Er war wütend auf sich selbst, wie sich alles entwickelt hatte. Kaum war die Spur gefunden, war sie auch schon wieder verloren.

Der Ritter des Nimrod kehrte in den Park zurück und ließ sich auf einer Bank nieder. Er hörte die Sirenen. Über den Canal Grande jagten zwei Motorboote der Stadtpolizei, die jemand alarmiert hatte. Die Jungs würden allerdings kaum etwas ausrichten können.

Joe fragte sich, was dieser Schnurrbärtige für ein Dämon war. Ein Tierhypnotiseur? Joe wusste, dass es in einigen Sippen Dämonen gab, die Tiere beeinflussen konnten. Das war in diesem Fall natürlich ungünstig. Tiere konnten gefährlicher werden als so manche Menschen. Wenn es dem Dämon gefiel, auch noch die unzähligen Katzen auf Joe oder Valera zu hetzen, konnte es recht ungemütlich werden.


Venezianischer Dämonenfluch: Gruselroman Großband 3 Romane 10/2021

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