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2. Psychische Störung

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Mit dem Begriff psychische Störung in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG knüpft der Gesetzgeber an die vom EGMR zu Art. 5 Abs. 1 S. 1 Buchst. e EMRK entwickelten Voraussetzungen für eine Freiheitsentziehung an (Hutchinson Reid ./. UK, Urt. vom 20.2.2003, Nr. 50272/99; Morsink ./. NL, Urt. v. 11.5.2004, v. 48865/99, beides zitiert in BT-Drucks. 17/3403, S. 53 f. In den Gesetzesmaterialien ist dazu ferner ausgeführt: „In diesem Sinne ist auch der Begriff der psychischen Störung“ in (§ 1 Abs. 1) Nummer 1 (ThUG) zu verstehen, der sich zugleich an die Begriffswahl der heute in der Psychiatrie genutzten Diagnoseklassifikationssysteme ICD-10 (Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO, 10. Revision, Kap. V) bzw. DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung, 4. Aufl.) anlehnt. Die Annahme einer der im ICD-10 oder DSM-IV aufgeführten Diagnosen erfordert, dass sich ein klinisch erkennbarer Komplex von solchen Symptomen oder Verhaltensauffälligkeiten zeigt, die mit Belastungen und Beeinträchtigungen auf der individuellen und oft auch der kollektiven oder sozialen Ebene verbunden sind. Soziale Abweichungen oder soziale Konflikte allein, ohne persönliche Beeinträchtigungen der betroffenen Person, werden danach nicht als eine psychische Störung bezeichnet. Spezifische Störungen der Persönlichkeit, des Verhaltens, der Sexualpräferenz, der Impuls- oder Triebkontrolle hingegen können sich als psychische Störung darstellen. Dies gilt insbesondere für die dissoziale Persönlichkeitsstörung und verschiedene Störungen der Sexualpräferenz, etwa die Pädophilie oder den Sadomasochismus. Letztlich deckt der Begriff der ‚psychischen Störung‚ ein breites Spektrum von Erscheinungsformen ab, von denen nur ein Teil in der psychiatrisch-forensischen Begutachtungspraxis als psychische Erkrankung gewertet wird“ (BT-Drucks. 17/3403, S. 54). Demnach handelt es sich bei dem Begriff der psychischen Störung i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der mit den überkommenen Kategorisierungen der Psychiatrie nicht deckungsgleich ist. Ob seine Merkmale im Einzelfall erfüllt sind, hat das Gericht, wenn auch regelmäßig mit Unterstützung eines Sachverständigen, eigenständig zu prüfen (BVerfG StV 2012, 25 ff., 26 f. mit krit. Anm. Krehl). § 1 Abs. 1 ThUG ist mit der Maßgabe verfassungsgemäß, dass die Unterbringung oder deren Fortdauer nur angeordnet werden darf, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder Verhalten des Unterzubringenden abzuleiten ist (BVerfG – 2 BvR 2302/11 = StV 2014, 160 m. abl. Anm. Höffler StV 2014, 168 ff.).

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