Читать книгу Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer - Страница 171
1. Verfassungsmäßigkeit der Weisungen
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Die richterlichen Weisungen dürfen keinen unzulässigen Eingriff in die verfassungsmäßigen Rechte des Betroffenen enthalten (allgemein zur verfassungsrechtlichen Problematik vgl. etwa Stree Deliktsfolgen und Grundgesetz, 1960, S. 198 ff.; Kremer Der Einfluss des Elternrechts auf die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nach dem JGG, 1984; Winter Verfassungsrechtliche Grenzen jugendrichterlicher Erziehungsmaßnahmen und Zuchtmittel, 1966; Grasnick Die verfassungsrechtlichen Schranken der Auflagen, NJW 1959, 1999 ff.).
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Sie dürfen nicht gegen die Menschenwürde und uneinschränkbare Grundrechte verstoßen allg. M. Unzulässig wären demnach Weisungen, eine Ehe einzugehen, regelmäßig den Gottesdienst zu besuchen (Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 63 ff., Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 78), einem bestimmten Verein beizutreten (Brunner/Dölling § 10 Rn. 9; Ostendorf § 10 Rn. 5; Eisenberg § 10 Rn. 10) oder aus einem rechtmäßigen Verein auszutreten (s. Rn. 52).
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Der Gesetzesvorbehalt für die Einschränkung von Grundrechten ist nur bei denjenigen Weisungen gewahrt, die ausdrücklich in § 10 genannt sind (Schönke/Schröder-Kinzig § 56c Rn. 8, jeweils zu dem insoweit inhaltsgleichen § 56c StGB; BVerfG StV 1982, 67 ff.); soweit sie nicht ausdrücklich aufgeführt sind, sind sie nur dann rechtmäßig, wenn sie sich im Rahmen der durch die Nrn. 1–9 aufgezeigten Richtung halten und einen gegenüber den gesetzlich normierten Weisungen minder schweren Eingriffsgehalt haben (OLG Stuttgart OLGSt § 57 Nr. 1; Mrozynski JR 1983, 398). Keinesfalls darf eine Weisung den Wesensgehalt eines Grundrechts beeinträchtigen (arg. e. Art. 9 Abs. 2 GG).
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Das richterliche Weisungsrecht im Rahmen des § 10 Abs. 1 verstößt nicht gegen das Elternrecht aus Art. 6 GG (BVerfG NStZ 1987, 276; absolut h.M.; vgl. mit teilweise unterschiedlicher Begründung: Stree Deliktsfolgen, S. 191, 195; Miehe/Schaffstein ZfStW 1981, 596 f.; Ostendorf § 10 Rn. 5; Streng Jugendstrafrecht, Rn. 346; Dallinger/Lackner § 10 Rn. 30, jeweils mit zahlreichen m.w.N.). Erziehungsmaßregeln nach dem JGG sind als Erziehungshilfen im Sinne der subsidiären staatlichen Erziehungsaufgabe zu qualifizieren, weil sie einer Fehlhaltung des Jugendlichen begegnen und abhelfen wollen, die sich gegebenenfalls trotz der elterlichen Erziehungsbemühungen eingestellt hat (BVerfG EzSt JGG § 10 Nr. 1). Das Weisungsrecht gemäß § 10 ist Ausfluss der Befugnis und der Pflicht des Staates, Straftaten zu verfolgen und mit geeigneten Maßnahmen – hier Erziehungsmaßregeln – weiteren Rechtsbrüchen vorzubeugen; diese Beschränkung ihrer Erziehungsgewalt müssen die Eltern als verantwortlich lebendes Glied der Gemeinschaft (BVerfGE 7, 323) hinnehmen (Stree Deliktsfolgen, S. 194 f.). Art. 6 GG setzt die Zulässigkeit strafrechtlicher Verbrechensbekämpfung, die hier eben durch Erziehung geschehen soll, voraus; die Rechte der Betroffenen und ihrer Eltern werden durch die allgemeinen (verfassungs-) rechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit jugendrichterlicher Weisungen gewahrt (Miehe/Schaffstein ZfStW 1981, 597 f.). Zum Verhältnis des elterlichen Erziehungsrechts und der staatlichen Strafrechtspflege s. auch VerfGH Rheinland-Pfalz ZJJ 2012, 445.
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Nach dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Zustimmung der Erziehungsberechtigten grundsätzlich keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für eine richterliche Weisung nach § 10 Abs. 1 (anders § 10 Abs. 2, siehe Rn. 59). Diese kann daher auch grundsätzlich gegen deren Willen angeordnet werden. Die vereinzelten abweichenden Meinungen (Böhm/Feuerhelm S. 181 ff.) möchten dies aus Zweckmäßigkeitsgründen verneinen oder gar von einer Prüfung abhängig machen, ob die Voraussetzungen für das „Eingreifen des staatlichen Wächteramts“ vorliegen und die Eltern zur Erziehung des Delinquenten willens und fähig sind (Wedler NStZ 2012, S. 293 ff.). Es versteht sich von selbst, dass richterliche Weisungen, die von den Erziehungsberechtigten mit Zustimmung aufgenommen und unter Umständen unterstützt werden, mehr Erfolg versprechen können, als solche, die ihnen widerstreben. Daher kann es zweckmäßig sein, sich unter Umständen der Zustimmung der Eltern zu vergewissern. Die Rechtmäßigkeit einer gegen oder ohne ausdrückliche Zustimmung der Erziehungsberechtigten angeordnete Weisung nach § 10 Abs. 1 wird jedoch davon nicht berührt. Die Versagung deren Einverständnisses kann deswegen – abgesehen von dessen rechtlicher Belanglosigkeit – grundsätzlich auch nicht mangels Zweckmäßigkeit zur Unzulässigkeit einer Weisung nach § 10 Abs. 1 führen. Würde man der gegenteiligen Ansicht folgen, so könnte sich der Richter, wollte er die strafbare Handlung nicht folgenlos lassen, allein deshalb gezwungen sehen, auf Zuchtmittel oder gar Strafe zurückzugreifen, weil die Erziehungsberechtigten beharrlich ihre Zustimmung zu seinen Weisungen versagen und käme die Rechtspflege bei einfacheren Verfehlungen zum Erliegen, wollte man den Richter rechtlich verpflichtet sehen, bei Weisungen von „größerem Gewicht“ (so Eisenberg § 10 Rn. 12) oder mit weniger geringfügiger zeitlicher Beanspruchung sich der Zustimmung der Eltern zu vergewissern oder gar deren erzieherisches Programm zu eruieren (so offenbar Böhm/Feuerhelm S. 182).