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II. Mindest- und Höchstmaß der Jugendstrafe

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An die Stelle der auf die einzelnen Delikte zugeschnittenen speziellen Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts tritt im Jugendstrafrecht ein genereller Strafrahmen, der durch Mindest- und Höchstmaß bestimmt wird. Er beträgt bei Jugendlichen sechs Monate bis zu fünf Jahren, bei Verbrechen, für die nach dem allgemeinen Strafrecht wie z.B. bei Raub, schwerer Brandstiftung, Meineid, Vergewaltigung, Mord und Totschlag eine Höchststrafe von mehr als 10 Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, zehn Jahre. Bei Heranwachsenden ist das Höchstmaß der Jugendstrafe nach § 105 Abs. 3 zehn Jahre, bei Mord und Vorliegen der besonderen Schwere der Schuld 15 Jahre. Da die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts nicht gelten, können auch die gesetzlichen Strafänderungsgründe (seien sie obligatorisch oder fakultativ, seien sie benannt oder unbenannt) nicht zu einer Strafrahmenverschiebung im Jugendstrafrecht führen. Insoweit hat z.B. § 243 StGB („Besonders schwerer Fall des Diebstahls“) keine Bedeutung und gehört von daher auch nicht in den Urteilstenor, BGH NStZ 1999, 205. Die obligatorischen Strafmilderungsgründe wie die §§ 27 Abs. 2, 28 Abs. 1, 30 Abs. 1 und 35 Abs. 2 StGB erlauben keine Unterschreitung des Mindestmaßes von sechs Monaten Jugendstrafe. Die Grenze gilt absolut. Auch im Rechtsmittelverfahren darf deswegen eine z.B. viermonatige Freiheitsstrafe gegenüber einem Heranwachsenden, auf den zu Unrecht allgemeines statt Jugendstrafrecht angewendet worden ist, nicht durch eine Jugendstrafe von vier (oder gar sechs) Monaten ersetzt werden (vgl. § 55 Rn. 46; Ostendorf § 18 Rn. 3). Eisenberg (§ 18 Rn. 7 u. § 55 Rn. 89) geht davon aus, dass das Verschlechterungsverbot das in § 18 Abs. 1 verankerte Mindestmaß der Jugendstrafe bricht. Dem Grundsatz der reformatio in peius ist in diesen Fällen jedoch dadurch Rechnung zu tragen, dass eine andere jugendstrafrechtliche Sanktion unterhalb der Schwelle der Jugendstrafe gewählt wird. Der generelle Strafrahmen wird auch hinsichtlich des Höchstmaßes absolut begrenzt, so dass auch bei Anwendung von § 31 eine Überschreitung unzulässig ist (Einzelheiten bei § 31 Rn. 14, 40, 65; zur Untergrenze der Einheitsjugendstrafe nach Einbeziehung eines früheren Urteils einerseits LG Mannheim NStZ 1997, 388 (nicht notwendig höher) und andererseits führe nach Seiser NStZ 1997, 374 neues Tatunrecht zu höherer Einheitsjugendstrafe; dazu Brunner NStZ 1999, 36, wonach diese aufgrund besserer Erkenntnis der Täterpersönlichkeit milder ausfallen kann).

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Mindest- und Höchstmaß der Jugendstrafe sind umstritten. Nach Nr. 1 RiJGG a.F. zu § 18 beruht das gesetzliche Mindestmaß auf der Erkenntnis, dass in einem Zeitraum von weniger als sechs Monaten eine wirksame erzieherische Einwirkung grundsätzlich nicht möglich ist. Kriminologisch ist diese Erkenntnis höchst zweifelhaft. Das erhöhte Mindestmaß widerspricht auch der internationalen Entwicklung, die zu einem kurzfristigen Freiheitsentzug tendiert, wenn ein solcher schon nicht zu vermeiden ist (besonders deutlich in den Niederlanden, der Schweiz und Skandinavien; zusammenfassender Überblick bei Dünkel 1990, S. 625 und bei Dünkel/Grzywa/Horsfield/Pruin Juvenile Justice Systems in Europe 2010 – 4 Bände). Im Spektrum der freiheitsentziehenden Sanktionen des Jugendstrafrechts ergibt sich zwischen dem Dauerarrest von höchstens vier Wochen und der Jugendstrafe von mindestens sechs Monaten eine Lücke, die signalisieren soll, wie hoch die Hürde zur Jugendstrafe als ultima ratio ist. Eine „Hochstufung“ der kurzfristigen Freiheitsstrafe ist im JGG gerade zu vermeiden (Schaffstein/Beulke/Swoboda S. 177). Die erhöhte Mindeststrafe des § 18 Abs. 1 führt zu einer weit höheren Durchschnittsdauer bei Jugendlichen und Heranwachsenden als bei Erwachsenen. Mit wachsender Zahl früherer Verurteilungen steigt sie zudem überproportional an (Pfeiffer DVJJ-J 1991, 117). Bei Mord ist durch das Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten die bisherige Höchststrafe (bei Heranwachsenden) von bisher 10 Jahren auf 15 Jahre angehoben worden (kritisch hierzu Dünkel NK 2010, 2; Pfeiffer ZRP 2012, 157).

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Bei Heranwachsenden führt die Höchststrafe von fünfzehn Jahren ebenfalls zu einem durchschnittlich längeren Freiheitsentzug und damit bei Anwendung des JGG zu einer Schlechterstellung (Dünkel 1990, S. 625), obwohl der Gesetzgeber, wie u.a. § 106 Abs. 1 beweist, das Gegenteil erreichen wollte. Sowohl bei Jugendlichen, bei denen sich nach § 18 Abs. 1 S. 2 nach abstrakter Betrachtungsweise (BGHSt 8, 79) der Rahmen der Jugendstrafe nach oben hin verschärft, als auch bei Heranwachsenden mit der ausnahmsweise bis zu fünfzehn Jahren möglichen Jugendstrafe ergeben sich Spannungen zu der zwingenden Strafzumessungsregel des § 18 Abs. 2. Eine Jugendstrafe zwischen fünf und zehn Jahren lässt sich allein erzieherisch nicht begründen (BGH NStZ-RR 2020, 32; BGH StV 1996, 269 = NStZ 1996, 232 = NK 3/96, 55 m. Anm. Sonnen; Böhm StV 1986, 71; Mollenhauer MSchrKrim 1961, 162 ff.; Schaffstein/Beulke/Swoboda S. 178; Stenger in: DVJJ (Hrsg.), 1984, S. 463 ff.). Maßgebend sind hier Aspekte des Schuldausgleichs (Vergeltung und Sühne und allgemeine Sicherungsinteressen). Zutreffend merkt Albrecht 2000, S. 254 an, dass haftbedingte Entwicklungsschäden junger Menschen für die Allgemeinheit wesentlich gefährlicher sein können als die vorübergehende Sicherheit in der Zeit der Inhaftierung. Inzwischen begründet der 4. Senat auch Jugendstrafen von 6 Jahren und 6 Monaten (BGH NStZ-RR 1998, 285), von 8 Jahren (BGH StV 1998, 333) und von 10 Jahren (BGH StV 1998, 336) mit Argumenten erforderlicher Erziehung. Diese Rechtsprechung widerspricht der Entstehungsgeschichte (BT-Drucks. I/3264, S. 41), der Gesetzessystematik (enge Anbindung des erhöhten Strafrahmens an besonders schwere Taten, § 18 Abs. 1 S. 2) und der Zielsetzung des JGG. Streng StV 1998, 336, 339 wendet sich zu Recht gegen den „Versuchsballon“, über den Erziehungsaspekt Vergeltungsbedürfnisse der Allgemeinheit sowie Sicherheitsinteressen zu transportieren und auf diesem Weg zur getarnten Einführung einer Jugendsicherungsverwahrung zu gelangen.

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Kriminalpolitische Forderungen gehen dahin, das Mindestmaß der Jugendstrafe auf einen Monat herabzusetzen und damit dem allgemeinen Strafrecht anzugleichen, Jugendstrafen zwischen einem Monat und sechs Monaten auf besonders gelagerte Ausnahmefälle zu begrenzen und die bisherigen Höchstgrenzen der Jugendstrafe von fünf auf zwei bzw. von zehn auf fünf Jahre zu reduzieren (Dünkel 1990, S. 625 und Pfeiffer DVJJ-J 1991, 127). In einem so veränderten Sanktionsspektrum bliebe dann für den Jugendarrest kein Raum mehr. Auf dem Regensburger Jugendgerichtstag 1992 wurde dagegen für die Beibehaltung des Dauerarrestes und der Strafrahmenuntergrenze von 6 Monaten plädiert, während die Strafrahmenobergrenze bei Jugendlichen auf 4 bzw. 8 Jahre und bei Heranwachsenden auf 5 bzw. 10 Jahre abgesenkt werden soll (DVJJ-J 1992, 290). Genau in die entgegengesetzte Richtung zielt das Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten vom 4.9.2012, das für Mord durch Heranwachsende bei besonders schwerer Schuld die Höchststrafe auf 15 Jahre festgesetzt hat.

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Geht das Gericht fälschlicherweise vom Strafrahmen des § 18 Abs. 1 S. 1 (sechs Monate bis fünf Jahre) statt von § 18 Abs. 1 S. 2 (sechs Monate bis zehn Jahre) aus, so soll die Bemessung der Jugendstrafe regelmäßig fehlerhaft sein (BGH NStZ 1984, 446 [Böhm], bei Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG statt von § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG). Im Hinblick darauf, dass die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts nicht gelten, und bei konsequenter Anwendung des Erziehungsgedankens zur Bemessung der Jugendstrafe ist diese Entscheidung nicht zwingend. Sie belegt nur, dass die Praxis außer dem Erziehungsaspekt weitere Zumessungskriterien berücksichtigt. Im umgekehrten Fall (höherer Strafrahmen) ist die Bemessung der Jugendstrafe fehlerhaft, BGH Beschl. v. 24.7.1997 – 4 StR 259/97 – NStZ-RR 1998, 290 [Böhm].

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