Читать книгу Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer - Страница 365

III. Aufgaben und Rollenkonflikt

Оглавление

14

Die Aufgaben des Bewährungshelfers bestehen in der Aufsicht und Leitung des straffällig gewordenen jungen Menschen. Der Aufgabenbereich wird in § 24 Abs. 3 näher umschrieben. Hilfe, Betreuung und Förderung der Erziehung, wobei der Erziehungsbegriff in seiner limitierenden Funktion als spezialpräventive Orientierung zu verstehen ist, ist die eine Seite, die Überwachung der Erfüllung von Weisungen, Auflagen, Zusagen und Anerbieten die andere. Umschrieben ist damit ein Spannungsfeld zwischen Betreuung und Kontrolle, das zu einem Rollenkonflikt führen kann (Schipholt 1993, S. 470 plädiert für eine Belehrungspflicht gegenüber dem Probanden aus §§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 3 2, 163a Abs. 4 StPO analog als Mittel der Konfliktbewältigung). Bewährungshilfe bedeutet strafrechtliche Sozialkontrolle. Als Sozialarbeiter und Sozialpädagogen zählen die Bewährungshelfer(-innen) zu den sanften Kontrolleuren (Peters/Cremer-Schäfer 1975 und Winter/Winter 1974). Der Bewährungshelfer „begegnet seinem Klienten nicht nur als persönlicher Helfer und Berater, sondern immer zugleich auch als Repräsentant von Gesellschaft und Staat“, der „dem Einzelnen die gerade seiner Situation angemessene Hilfe der Gemeinschaft verschaffen“ soll, andererseits aber auch „die Belange der Allgemeinheit gebührend zu beachten“ hat (BVerfGE 33, 367, 382). Dieser Rollenkonflikt, den das Bundesverfassungsgericht recht anschaulich umschreibt, ist im Gesetz angelegt.

15

Dazu die von Pfeiffer 1984, S. 66 ff. thesenartige Zusammenfassung:

„Die vom Gesetz für die Strafaussetzung zur Bewährung vorgezeichnete Kombination von Repression und Sozialpädagogik behindert den Aufbau des Vertrauensverhältnisses zwischen Proband und Bewährungshelfer;
die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Bewährungshilfe und die zu hohe Fallzahl fördern den Typ des autoritären Bewährungshelfers, der seinen Probanden eher bevormundet und verwaltet als betreut;
der beschriebene Trend wird durch die dienstrechtliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses der Bewährungshelfer weiter verstärkt;
die Bewährungshilfe klammert sich nach wie vor an die Rockschöße der „Mater Justitia“, statt endlich selbstständig zu werden und eine eigene Identität neben der Strafjustiz zu entwickeln;
die hohe Fallzahl legt den Bewährungshelfer auf die Rolle des sozialen Feuerwehrmannes fest, der sich jeweils mit den Probanden intensiver beschäftigt, die sich durch Problemverhalten deutlich bemerkbar gemacht haben;
die für die Bewährungshilfe typische, starre Verknüpfung von ausgesetzter Freiheitsstrafe und Sozialpädagogik sollte gelockert werden (in Richtung einer der Betreuungsweisung entsprechenden, weniger repressionsorientierten Maßnahme)“.

Eine gegenwärtig immer noch viel zu selten genutzte Chance, den Rollenkonflikt wenigstens abzumildern, bietet die Nr. 55 der Probation Rules 2010 (abgedruckt in BeWi 3/2012). Danach ist die Beaufsichtigung nicht als eine Kontrollaufgabe zu verstehen, sondern beinhaltet auch die Beratung, Unterstützung und Motivierung von Straffälligen. Falls erforderlich wird sie mit anderen Interventionen und Ausbildungsmaßnahmen, Kompetenzentwicklung, Förderung der Beschäftigungsmaßnahmen, die von Bewährungshilfe oder anderen Einrichtungen durchgeführt werden, kombiniert.

16

Konsequenz müsste für die Bewährungshilfe sein, sich vom strafrechtlichen Denken zu lösen, und wieder Sozialarbeit zu betreiben „nach bewährten Regeln ihrer höchsteigenen Kunst“ (Schüler-Springorum 1990, S. 30). Dies sollte umso leichter gelingen, als sich Bewährungshelfer nach einer umfangreichen Analyse beruflicher Einstellungen in der Rolle des Sozialarbeiters, Beraters und in einer Rolle sehen, die sich als „Hilfe zur Selbsthilfe“ beschreiben lässt – „also in einer Rolle mit gesellschaftlicher Orientierung und emotionaler Probandenbeziehung“ (Kerner/Hermann/Bockwoldt S. 60). Nach dieser Untersuchung erwartet die Justiz folgende Berufsrollen/-ziele der Bewährungshelfer: Kontrolleur, Anpassung, Krisenmanager und Verwaltung. Diese juristische Perspektive wird der eigenen fachlichen Kompetenz der Bewährungshilfe nicht gerecht. Die im Interesse der Probanden erforderliche Kooperation sollte im Wege einer fachlichen Konfrontation erfolgen, wobei Konfrontation nicht negativ zu bewerten, sondern als wechselseitiges „Feedback“ zu verstehen ist in Anerkennung und Respekt gegenüber der unterschiedlichen fachlichen Kompetenz. Vgl. auch Egg/Jehle/Marks (Hrsg.), 1996. Zu den Standards der Sozialarbeit/Sozialpädagogik und Leitlinien für das Arbeitsfeld Bewährungshilfe s. Rensmann 2007, S. 227 (229 f.); Klug 2007, S. 235 ff. und die Schwerpunkthefte „Profession Bewährungshilfe“, BewHi 4/2014, „60 Jahre Bewährungshilfe. Rück-Ein- und Ausblick“, BewHi 372013, „Organisation der Sozialen Dienste und berufliche Standards“, BewHi 2/1994, und „Neue Konzepte der Sozialen Dienste – Neue Bundesländer“, BewHi 3/1994.

Beachtung verdient das schleswig-holsteinische Bewährungs- und Gerichtshilfegesetz (Referentenentwurf v. 22.4.1994 = BewHi 1994, 258–260). Zur Diskussion s. BewHi 1995, 281. Zur Diskussion siehe BeWi 1994 und Berger Getrennte Soziale Dienste in der Justiz – eine Erfolgsgeschichte, BeWi 2018, 64-76.

17

Die eigene fachliche Kompetenz ist besonders gefragt bei Mehrfachauffälligen, bei Drogentätern und bei Aids-infizierten Probanden.

Zur Verwaltungsvorschrift des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 7.4.1987 „Probanden in der Führungsaufsicht und Bewährungshilfe, die besonderer Betreuung und Überwachung bedürfen“,
vgl. BewHi 1988, 352 und die Kritik aus kriminologischer Sicht von Sonnen 1988, S. 332;
Schwerpunktheft „Hochrisikotäter“, BewHi 2/2018
zur Bewährungshilfe mit Aids-Infizierten vgl. das Schwerpunktheft BewHi 1, 2/1989 „Aids, Sozialarbeit und Recht“; zum Thema „Gesundheit“ BewHi 1/2016.
zur Bewährungshilfe bei Drogentätern vgl. Lübbemeier 1990, S. 45: „Wir bekommen sie/ihn fix und fertig verurteilt, mehrere Male befragt, meist misstrauisch, sind selber eher misstrauisch, weil wir ziemlich sicher angelogen werden, und sollen ihn aus dieser Ausgangslage davon überzeugen, dass es der Staat gut mit ihm meint, ihm helfen will, von Drogen wegzukommen; wohl wissend, dass die staatlichen Strafmaßnahmen das eigentliche Problem höchstens berühren, meist die persönliche Lebenssituation durch die Strafe zusätzlich belastet wird, und die eigentlich notwendige Hilfestellung auf ganz anderer Ebene zu suchen ist. Noch deutlicher als bei vielen anderen Problemstellungen wird hier, dass eine durchgreifende Unterstützung nur darin bestehen kann, einen Lebenssinn finden zu helfen. Hinzu kommt, dass ich über mehrere Jahre – hoffentlich zufällig – nur Drogen-Probanden bekommen habe, die verurteilt waren auf Grund von polizeilich inszenierten Geschäften, in der Regel Konsumenten. Wie um alles in der Welt soll ich da so viel Vertrauen herstellen, dass ein solches Ziel auch nur theoretisch möglich wäre? Völlig erstaunt bin ich, dass sich manchmal tatsächlich Vertrauen bildet. Aber dann? Was habe ich anzubieten? Therapie, eine spezielle Drogenberatung. Aber ein Lebensziel, das all dem einen Sinn geben könnte?“; vgl. auch die Schwerpunkthefte „Drogen – Politik und Praxis“, BewHi 1/1993; Schwerpunkt Drogen und Alkohol, ZJJ 4/2009; Drogen- und Straffälligenhilfe – empirische Befunde, BewHi 1/2017; Drogen- und Straffälligenhilfe-Konzepte, BewHi 4/2016.
zur Lebenslage der Klientinnen und Klienten der Bewährungshilfe: Arbeitsgemeinschaft Deutscher Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer (ADB e.V.): Bundesweite Befragung in Zusammenarbeit mit EMNID, 1999, mit folgenden Ergebnissen: Von den 160 000 Klienten sind 85 % relativ arm (d.h. sie verfügen über weniger als 60 % des durchschnittlichen Einkommens), 60 % überschuldet, 45 % ohne Schulabschluss, 61 % ohne abgeschlossene Berufsausbildung, 45 % arbeitslos und 42 % suchtkrank (48 % unter ihnen werden von den Angeboten der Suchtkrankenhilfe nicht erreicht). Vgl. auch Cornel 2000, S. 302–321.
Jugendgerichtsgesetz

Подняться наверх