Читать книгу Bibel, Blech und Gottvertrauen - Hildi Hari-Wäfler - Страница 21
Die erste gemeinsame Résidence
ОглавлениеAls frisch vermähltes Paar fuhren wir am Dienstag darauf in unserem zweitürigen Kabinenroller, einer Vespa 400, nach Lausanne und zogen in „La Résidence“ ein. Peter hatte sich seit einigen Wochen in den Betrieb eingearbeitet. Ich betrat Neuland. Ein Jahr vor meiner Ankunft hatte der Umzug vom alten, baufälligen Schulhaus unter der Brücke, das als Männerheim diente, in den Neubau am Place du Vallon stattgefunden.
Das Haus bot Platz für etwa 120 Personen. Da waren die zum Teil suchtgeschädigten Männer, hinzu kamen viele jüngere Spanier mit ihren Frauen. Es handelte sich um Migranten und auch Saisonarbeiter aus Spanien, die Arbeit in der Schweiz suchten. Einzelne waren in Ouchy am See von der Polizei aufgegriffen worden, als sie nachts von Frankreich her über den Genfersee gerudert waren. Die Polizei brachte sie dann zu uns. Die Ehepaare wurden in Zimmern untergebracht. Um die zwölf Frauen fanden eine Beschäftigung in unserem Hause und für ihre Ehepartner war es nicht allzu schwierig, Arbeit auf Baustellen in der Stadt und in der Umgebung zu finden. In unserem Selbstbedienungsrestaurant wurden jeden Abend um die 100 Nachtessen ausgeliefert. An den Wochenenden waren es je 130 Mittag- und Nachtessen. Der Küchenchef, der einst für Nobelhotels in der Karibik gekocht hatte, war nun froh, bei der Heilsarmee eine Anstellung gefunden zu haben. Sein verstecktes Problem war der Alkohol. So war da also eine recht gemischte Gesellschaft beieinander und es war die Aufgabe der Verantwortlichen, hier ein Gleichgewicht herzustellen. Es musste auf die Bedürfnisse der Alteingesessenen eingegangen werden und auch die Migranten wollten nicht vernachlässigt sein.
Da die Arbeit im Haus ziemlich gut aufgeteilt war, musste ich meinen Platz finden, half bald hier, bald dort aus, hatte keine spezielle, mir zugeteilte Aufgabe, aber war nie arbeitslos. Für mich war es wichtig, einen Einblick in einen solchen Betrieb zu erhalten und diese Art Arbeit kennenzulernen – mitsamt der Probleme einzelner Personen. Regelmäßig fanden französisch-spanische Gottesdienste statt, die von Heilsarmee-Offizieren mit den jeweiligen Sprachkenntnissen durchgeführt wurden. Wir übten dazu passende Lieder ein, die wir mit ihnen zusammen vortrugen.
Nach Neujahr kam für uns die Gelegenheit, unsere „Flittertage“ nachzuholen. Dazu fuhren wir hinauf nach Leysin in die Waadtländer Alpen und ließen den Nebel im Tal unter uns zurück, Dort mieteten wir uns Skier mit allem Zubehör, fuhren auf die Berneuse und genossen die Winterfreuden in vollen Zügen und bei herrlichstem Sonnenschein. Als wir später den Angestellten in Lausanne die Dias aus unseren Ferien zeigten, wollten sie uns kaum glauben, dass wir solch strahlendes Wetter erleben durften, während sie im dichten Nebel ihren Dienst versahen.
Neben den vielen Eindrücken jener Monate in Lausanne blieb mir die Begegnung mit einem Frauenarzt in besonderer Erinnerung. Als ich ihn nach der Untersuchung bat, die Rechnung zu stellen, antwortete er nur kurz und knapp: „Non jamais! – Nein, auf keinen Fall!“ Er wollte nichts entgegennehmen und es folgte auch keine weitere Erklärung. Ohne noch eine Frage zu stellen, bedankte ich mich verwundert für sein Zuvorkommen. Dabei blieb es.
Nach sechs Monaten kam unser Aufenthalt in der Romandie zum Abschluss. Wir wussten ja im Voraus, dass er begrenzt sein würde. Unser nächster Einsatzort würde im Berner Mittelland sein.
Flittertage auf der Berneuse.