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Das Dorf ohne Kirche

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In Walliswil, einem kleinen Bauerndorf bei Wangen an der Aare, nisteten wir uns in unserer ersten gemeinsamen Wohnung ein und genossen die vertraute Zweisamkeit. Es gab keine Kirche im Dorf. Wir boten wöchentlich zwei Gottesdienste an, die Kinder des ganzen Dorfes kamen zur Sonntagsschule und viele Frauen besuchten die auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene wöchentliche Frauenstunde. Die Mitgliederzahl war nicht sehr groß, dafür waren die wenigen Leute sehr unternehmungslustig. Zu speziellen Feiern wie Erntedankfest und Weihnacht gehörten Aufführungen, die mit viel Begeisterung, Talent und auch Humor von Jung und Alt eingeübt und vorgetragen wurden.

Ein wichtiger Teil unserer Arbeit war der Besuchsdienst bei Dorfbewohnern und Mitgliedern zu Hause. Auf diese Weise erhielten wir Einblick in persönliche Freuden und Leiden. Und manchmal waren es ganz einfache Dinge, die uns den Zugang zu den Menschen öffneten. So war es auch bei einer Trauerfamilie, bei der mir eine plötzliche Eingebung die Gelegenheit zu einer persönlichen Begegnung gab. Das einzige Kind dieser Familie, ein Mädchen, das bereits die Schule abgeschlossen hatte, besuchte unsere Jugendveranstaltungen. Zu Hause betreute sie ihre kranke Mutter. Ihr Vater war dem Religiösen, vielleicht auch einer Freikirche gegenüber eher kritisch, ja ablehnend eingestellt. Nun war die Mutter verstorben und ich hätte mich gerne auf irgendeine Weise nützlich erwiesen, vor allem aus Loyalität zu der jungen Halbwaise, mit der ich so gut mitfühlen konnte. Die Tochter aber wagte es wegen ihres Vaters nicht, meine Hilfe anzunehmen. Vielleicht befürchtete sie, dass sie selbst oder ich mit ihm in eine Auseinandersetzung geraten könnten. Zudem schienen alle Arbeiten im Haus bereits erledigt zu sein. Da fiel mein Blick auf die trüben Fenster in der Wohnung. Das Mädchen war neben der strengen Pflege der letzten Wochen unmöglich dazu gekommen die Fenster zu reinigen. Nun willigte sie dankbar ein. Als der Vater im Laufe meiner Putzarbeiten hereinkam, konnte ich sofort sein Wohlwollen mir gegenüber spüren. Wie dankbar war ich um des Mädchens willen für diese Wende.

Samstagabends waren wir gewöhnlich unterwegs, um in den Restaurants zu singen. So auch am 22. November 1963. An diesem Abend waren wir im Balsthal und bis nach Welschenrohr unterwegs. Peter und ich wurden diesmal von einer älteren Kameradin aus Walliswil mit dem Namen Rösi begleitet. Sie wünschte sich ausdrücklich, ein uns bis dahin unbekanntes Lied zu singen, das sie speziell für diesen Abend ausgesucht hatte. Wir ließen uns darauf ein, auch wenn das Lied für unsere Ohren reichlich nostalgisch klang. Zunächst verlief der Abend so wie die vorausgegangenen. Meistens waren wir willkommen, erhielten auch gelegentlich Applaus und etwas zu trinken angeboten und kamen hier und dort ins Gespräch mit den Gästen. Mal ging es lauter zu in den Restaurants, mal war es etwas stiller, je nach Gästen. Doch dann betraten wir ein Gasthaus, in dem die Leute aufgeregt und wild durcheinander redeten und diskutierten. Sie waren wie vor den Kopf gestoßen. Im Radio war kurz vorher die Ermordung des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy durchgegeben worden. Ja, das war wirklich ein außergewöhnliches Ereignis! Wie sollten wir uns da verhalten? Wagten wir es noch, zu singen, oder sollten wir lieber aufhören damit und heimkehren? Jetzt kam uns das alte Lied von Rösi wie gerufen. Es hätte nicht passender sein können. So sangen wir: „Das menschliche Leben ist wie eine Rose, die heute noch blüht und morgen vergeht …“ Gerade weil alles auf unserer Erde zeitlich begrenzt ist, auch unser Leben, lohnt es sich, nach bleibenden, unvergänglichen Werten in Gott zu suchen. Dieses Verlangen drückte sich im Lied aus. Es war für uns sehr eindrücklich, wie die Leute sich beruhigten, auf die Worte hörten und ins Nachdenken kamen.

Bibel, Blech und Gottvertrauen

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