Читать книгу Zerrissen - I. Tame - Страница 12

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Keno lag ganz still. Er war gerade erst zu sich gekommen und völlig verwirrt. Wo bin ich? Was ist mit mir geschehen? Er konnte nichts sehen, da er eine Augenbinde trug. Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Er lag seitlich auf einer Art Couch. Ganz vorsichtig bewegte er sich und merkte, dass auch seine Fußgelenke zusammen gebunden waren. Sein Kopf schmerzte leicht und sein Hals fühlte sich wund und dick an. Er hatte fürchterlichen Durst. Und ehe er sich zusammenreißen konnte, musste er husten. Sein kratzender Hals ließ ihm keine andere Wahl. Kaum keuchte er hustend und würgend nach Luft, öffnete sich eine Zimmertüre. Ein Radio dudelte irgendwo im Hintergrund und schwere Schritte traten auf ihn zu.

„Er ist wach“, hörte er eine tiefe Stimme murmeln. „Sag der Chefin Bescheid.“

Fast im gleichen Moment wurde ihm die Augenbinde heruntergezogen, so dass der Stoff wie ein Tuch um seinen Hals hing. Keno blinzelte in den nur schwach beleuchteten Raum. Einige Rollläden waren nicht ganz geschlossen, so dass ein wenig Sonnenlicht schräg herein schien.

Vor ihm stand ein großer Typ in schwarzen Klamotten. Schräg vor seiner Brust trug er ein Gewehr.

Keno traute seinen Augen nicht: tatsächlich! Der Typ war bewaffnet wie in einem Vin-Diesel-Film. In was war er da bloß reingeraten?

Kaum hatte der Typ Keno die Binde abgenommen, packte er ihm mit seiner riesigen Hand ins Gesicht und drückte ihm die Wangen zusammen.

„Du verhältst dich ruhig, hast du mich verstanden?! Ich will keinen Ton von dir hören. Solltest du anfangen zu schreien, wirst du geknebelt, klar?“

Keno nickte und hustete wieder ein wenig. „Durst“, keuchte er mit belegter Stimme.

Der Typ drehte sich um und ging aus dem Raum. Keno blickte sich benebelt um. Immer wieder musste er die Augen zukneifen, um scharf sehen zu können.

Das Zimmer war nichts Besonderes. Sauber. Einfach. Ein Bett, eine Couch, ein kleiner Schreibtisch, eine Kommode. Wie ein typisches Gästezimmer. Schon kam der Bewacher wieder rein. In einer Hand hielt er eine Plastikflasche Wasser.

„Setz dich“, befahl er Keno ruhig. Dieser versuchte, so gut wie möglich, dem Befehl Folge zu leisten. Ihm wurde dabei ein wenig schwindlig. Erst als er senkrecht saß und einige Male tief durchatmete, wurde es besser. Der Typ hielt ihm die geöffnete Flasche an den Mund und Keno saugte lange und gierig daran. Er schluckte so viel wie möglich, weil er befürchtete, dass die Flasche zu schnell weggezogen würde. Doch am Ende verschluckte er sich natürlich.

„Langsam!“, ermahnte der Typ ihn und stellte die Flasche weg. „Ich glaub‘, du hast erst mal genug!“

„Wo bin ich?“, hechelte Keno hervor.

Der Typ hielt ihm einen ausgestreckten mahnenden Zeigefinger vor’s Gesicht. „Du hast hier keine Fragen zu stellen, merk‘ dir das! Machst du dein Maul jetzt noch einmal auf, wirst du geknebelt!“

„Mann“, versuchte Keno zu insistieren, „sag‘ mir doch, was los ist…“

Schneller als er es realisierte, bekam er eine mächtige Ohrfeige. Der Typ beugte sich vor, hob die Augenbinde an und drückte sie Keno zwischen die Lippen. Der Knoten im Nacken wurde geöffnet und neu verschlossen, so dass Keno nur noch undeutlich stöhnen konnte. Der Wachmann hockte sich vor ihn hin und blickte starr in seine Augen.

„Merk‘ dir das für die Zukunft: Tu‘ direkt das, was man dir sagt. Frag‘ nicht und protestier‘ nicht! Deine Strafe bei Nichtbeachtung folgt auf der Stelle! Und jetzt rührst du dich nicht mehr, bis wieder jemand zu dir kommt!“

Ohne weiteren Kommentar stand er auf und verließ den Raum. Anscheinend stand noch jemand davor, denn der Wachmann wandte sich nach rechts, während er die Türe schloss und sagte zu der unsichtbaren Person: „Mit dem kriegen wir viel Freude. Das kann ich dir jetzt schon sagen!“

Keno atmete heftig durch die Nase. Sein Verlangen, hier rauszukommen wurde schier unerträglich. Er zappelte im Sitzen herum und versuchte, seine Hände von den Fesseln zu befreien. Doch er war so geschickt verschnürt worden, dass er bei dem Versuch nur die empfindliche Haut am Handgelenk aufscheuerte.

Der Schweiß rann ihm über das Gesicht. Ich muss mich entspannen, befahl er sich selber. Und er atmete so tief wie möglich durch die Nase. Doch seine Gedanken rasten in D-Zug-Geschwindigkeit durch seinen Kopf. Was war nur passiert? Hatte er sich etwa geprügelt? Nein!

Was war das Letzte, an das er sich erinnern konnte?

Genau! Er war mit John ausgegangen. Da gab’s diesen neuen Jazz-Laden in der Nähe der Sixth-Street. Keno wollte Getränke holen. John war pinkeln und ein Typ hatte Keno angesprochen – gerade als er seine Getränke auf die Theke gestellt bekam. Der wollte nur was Banales. Die Uhrzeit wissen, oder so was. Dann muss er wohl an seinem Bier getrunken haben … und dann … alles schwarz. Das waren bestimmt K.O.-Tropfen. Aber wer verdammt nochmal sollte daran ein Interesse haben? Scheiße, der Typ vor der Türe war schwer bewaffnet! Keno verstand die Welt nicht mehr. Konnte er irgendjemandem vom organisierten Verbrechen auf die Füße getreten sein? Aber das war doch lächerlich!! Im normalem Leben passierte so was nicht – nur im Film. Warum? Warum saß er hier und atmete verkrampft durch den fusseligen Knebel in seinem Mund? Er kämpfte wieder mächtig, um eine Panik zu unterdrücken. Vielleicht klärte sich ja alles im nächsten Moment auf. Doch Keno konnte einfach nicht aufhören. Er versuchte verbissen, die Fesseln zu lockern.

Eine gefühlte Ewigkeit später öffnete sich erneut die Türe und zwei Wachmänner traten herein. Der Typ von eben und noch ein zweiter. Der trug ebenfalls schwarze Cargohosen und ein schwarzes Shirt. Die gleichen schweren Stiefel rumpelten über den Holzboden, als er auf Keno zu trat. Er trug kein Gewehr, doch dafür zierte ein Pistolenholster seine breite Hüfte.

Als hätten sie diese Aktion schon öfters durchgeführt, packten sie Keno links und rechts kräftig unter die Achseln und hoben ihn auf die Füße. Mit einem schnellen Griff wurden seine Fußfesseln entfernt. Auch die Fesseln im Rücken wurden gelöst. Doch seine Hände wurden sofort nach vorne gezogen und mit Handschellen aneinander gekettet.

Der erste Wachmann packte Keno hart am Schopf und riss seinen Kopf in den Nacken. „Meinst du, ich krieg nicht mit, wenn du an deinen Fesseln rumzerrst? Lass das in Zukunft besser sein! Die Chefin mag es nicht, wenn ihr Spielzeug verletzt wird.“

Spielzeug!! Spielzeug??!! Dazu bekam Keno keinen logischen Gedanken zusammen. Das konnte doch alles nur ein Scherz sein – einer der geschmacklosen Sorte. Er starrte den Wachmann mit böse zusammengekniffenen Augen an.

„Spar dir den Blick! Eigentlich wollte ich dir ja anbieten, den Knebel zu entfernen, aber …“

„Mmhmm“, Keno konnte es sich nicht verkneifen quasi darum zu bitten. Das war so ekelhaft mit dem Stoff im Mund und an der Zunge!

„Kann ich dir den Knebel abnehmen, ohne dass du mich bei der Chefin gleich blamierst?“, fragte der Typ drohend.

Keno nickte heftig. Er würde alles versprechen, um dieses Ding aus dem Mund zu kriegen. Er hustete heftig, als er endlich von dieser Marter erlöst wurde.

Der Typ drückte ihm erneut die Flasche in die Hand und Keno trank erleichtert ein paar Schlucke.

„Deine Handgelenke versorgen wir später. Wir müssen los. Die Chefin wartet nicht gerne!“

Na endlich, dachte Keno Vielleicht kommt jetzt etwas Licht in die ganze Angelegenheit.

Dann wurde er aus dem Raum geführt … und war erst mal sprachlos. Wow, was für ein Haus. Es war riesig! Wie ein altes Herrenhaus. Alle Flure waren mit kostbaren Läufern, Gemälden, Kerzenleuchtern und Antiquitäten ausgestattet. Hohe Decken und Fenster mit Butzenscheiben. Die abzweigenden Türen waren ebenfalls riesig und aus edel geschnitztem Holz.

Sie bogen um diverse Ecken und blieben schließlich vor einer dieser großen Türen stehen.

Der erste Wachmann klopfte und öffnete, ohne auf eine Antwort zu warten. Der zweite Typ hakte sich bei Keno unter und schob ihn mit sich in den Raum. Eine Bibliothek tat sich vor Keno’s staunendem Blick auf. Links und rechts erstreckten sich bestimmt an die vier-fünf Meter hohe Regale mit Büchern. Vor Kopf des Raumes stand ein massiver drei Meter langer Mahagoni-Schreibtisch. Dahinter erstreckte sich der Blick durch die Glasscheiben einer monumentalen Doppeltüre auf Wiesen und Wälder. Schritt man durch die Türe, dann könnte man den Ausblick von einer wunderschönen Terrasse aus genießen.

Zwei Meter vor dem Schreibtisch blieben sie stehen. Dahinter stand eine kleine zierliche Frau von ungefähr Mitte Vierzig. Ihr braunes Haar trug sie zu einer modernen Kurzhaar-Frisur geschnitten. Im Gegensatz dazu kleidete sie sich mit strengem schwarzem Outfit. Einen engen Rock, schwarze Seidenstrümpfe und eine ebenfalls enge Bluse mit gewagtem Ausschnitt. Sie blickte Keno ruhig an und taxierte ihn von oben bis unten.

Die beiden Wachmänner hatten ihn losgelassen und standen nun zirka einen Meter links und rechts hinter ihm.

Schließlich räusperte sich die Frau und fragte mit ruhiger warmer Stimme: „Warum kniet er nicht?“

Wachmann Eins löste das Problem, indem er Keno mit einem kurzen Tritt in die Kniekehlen überraschte. Wie ein Stein sackte der zusammen und kam hart auf seinen Kniescheiben auf. Gleichzeitig wurde sein Kopf nach unten auf die Brust gedrückt.

„Bleib so“, zischte ihm Eins zu.

Keno atmete schwer und hatte tatsächlich eine höllische Angst vor dieser Frau. Diese warme freundliche Stimme war nicht echt. Das spürte er instinktiv. Vor ihr musste er sich in Acht nehmen; mehr als vor den Waffen der Wachleute.

Und somit zerschlug sich fast gleichzeitig seine Hoffnung auf ein klärendes Gespräch, eine Lösung seines Dilemmas. Er wurde fast verrückt!

Am Rascheln ihrer Kleidung erkannte Keno, dass sie nun um den Tisch herum ging und auf ihn zukam. Sie blieb direkt vor ihm stehen. Unauffällig sog Keno die Luft ein. Ein sanfter Rosenduft begleitete ihre Bewegungen. Dann spürte er, wie eine zierliche Hand durch seine Haare strich. Automatisch wandte er seinen Kopf ein wenig von ihr ab.

„Sehr schön“, murmelte sie und zog die Worte leicht in die Länge. „Das widerwillig Devote steht ihm sehr gut!“, sagte sie dann etwas lauter.

„Ja, Madam!“, bestätigte Nummer Eins.

Jetzt schob sie den Zeigefinger der anderen Hand unter Keno’s Kinn und zwang ihn, nach oben zu sehen.

„Du hast grüne Augen … wie eine Katze!!“ Sie musterte sein Gesicht sehr aufmerksam. „Und du bist wunderschön!“

Dann ließ sie Keno’s Kinn los und blickte über seine Schulter. „Was sind das für Spuren an seinen Handgelenken?“

„Er hat versucht, sich von den Fesseln zu befreien, Madam!“

Die Chefin blickte wieder auf Keno herab. Ihr Blick war fast gleichgültig … geschäftsmäßig. „Ihr gebt ab jetzt besser auf ihn Acht.“

„Ja, Madam!“

„Ich sehe, du hast ihn geschlagen?“

„Eine Ohrfeige, Madam. Er wollte nicht gehorchen.“

„Er wollte nicht gehorchen?“

„Er hat ungefragt geredet, Madam!“

Sie nickte und taxierte dabei ununterbrochen Keno’s Gesicht. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und senkte wieder den Kopf.

„Er gehört einem unserer wichtigsten Gäste. Und ich will an seinem Körper nur die Spuren der für ihn gewählten Züchtigungen sehen, hast du mich verstanden?“

„Ja, Madam!“

„Aber auf keinen Fall wird dieses Gesicht verunstaltet. Merkt euch das! Solltet ihr ihn im Gesicht verletzen, dann bekommt ihr eine Strafe, die sich gewaschen hat. Ist das klar!!?“

„Ja, Madam!“

„Er ist unserem Gast sehr wichtig … behandelt ihn anständig. – Jetzt bringt ihn hoch in eines der Zimmer. Er soll sich duschen, essen und etwas schlafen. Heute Abend will ich ihn im kleinen Salon seh’n. Sein Besitzer kommt und ihm soll er vorgeführt werden. Er wird auf Wunsch des Gastes Leder tragen. Eine Hose und Handmanschetten. – Das war’s. Raus jetzt!“

Schnell legte Keno seinen Kopf in den Nacken.

„Nein!“ protestierte er mit Nachdruck. In seinem Rücken hörte er den Wachmann scharf die Luft einziehen. Doch die Chefin hob eine Hand in dessen Richtung.

„Schon gut!“

Sie legte Keno zärtlich einen Zeigefinger auf die Lippen.

„Schsch, keine Fragen jetzt“, tadelte sie ihn sanft, wie ein kleines Kind. „Heute Abend wirst du mehr erfahren!“ Sie strich Keno langsam mit der flachen Hand über eine Wange.

„Aber … ich hab‘ nichts gemacht!“ stieß er zornig hervor, so als müsste er sich verteidigen.

„Ich weiß!“, beruhigte die Chefin ihn sachte. „Sei gehorsam, dann geschieht dir nichts!“

Keno senkte deprimiert den Kopf – als wüsste er bereits jetzt, dass dies die erste von tausend weiteren Lügen war.


Zerrissen

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