Читать книгу Zerrissen - I. Tame - Страница 16

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Langsam tauchte Keno aus einem tiefen Schlaf empor. Er lag auf dem Bauch, sein Kopf ruhte auf einem weichen Kissen. Verschlafen kämpfte er mit seinen schweren Augenlidern. Ein leises Stöhnen entfuhr ihm, als er probeweise die Schultern bewegte. Sein Rücken schmerzte mächtig. Wo war er nur? Vorsichtig stützte er sich auf seine Ellbogen und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Dieses Zimmer kannte er nicht. Es war so ganz anders eingerichtet, als das Zimmer, in dem er sonst immer gefangen gehalten wurde.

Keno bewegte sich noch ein wenig und sein Bett knarzte gemütlich. Ein großes schweres Bett aus Holz mit einem leichten Federbett. Jetzt ließ er seinen Blick weiter durch den Raum schweifen. Hier war alles sehr rustikal. Dielenboden, dunkel und bestimmt schon tausende Male eingeölt. Eine Landhaus-Tapete mit unschuldigen Motiven. Ein zweitüriger Bauernschrank mit gedrechselten Verzierungen. Ein Holztisch mit zwei Stühlen. Eine alte Truhe vor dem Fenster.

Keno drehte den Kopf zur anderen Seite des Bettes. Eine braune Hundeschnauze … Und noch bevor er sich wundern konnte, stützte sich der Hund mit den Vorderpfoten auf die Bettkante, schnellte mit der Schnauze vor und gab ihm einen Begrüßungskuss. Keno lachte spontan auf und wischte sich die feuchte Liebesbekundung von der Wange.

„Na, du bist ja ein unerzogener Hund“, flirtete er den Vierbeiner an. Der winselte begeistert und hüpfte auf den Hinterbeinen immer höher, um anzutesten, ob er vielleicht ganz ins Bett durfte.

„Nein!! Geh sofort da weg, du freches Mädchen!“, ertönte eine warme Frauenstimme aus Richtung Zimmertüre. „Los! Ab mit dir!“

Keno musste wieder lächeln. Es schien tatsächlich, als ob der Hund betrübt seine Unterlippe herunterziehen würde. Schließlich folgte er dem Befehl und trottete aus dem Zimmer.

Jetzt trat eine Frau in Keno’s Blickfeld. Er schätzte sie auf zirka fünfunddreißig Jahre. Keine besonders auffällige Erscheinung, mittelgroß, braune schulterlange Haare – doch ihre Augen … sanft. Solch einen Ausdruck hatte Keno in der bisherigen Zeit seiner Gefangenschaft noch nicht gesehen. Vorsichtig setzte sie sich zu ihm auf die Bettkante.

„Hallo, Keno!“, begrüßte sie ihn freundlich. „Ich bin Annabelle. Wie geht es dir?“

Keno versuchte sich aufzusetzen und verzog das Gesicht, weil sein Rücken sofort protestierte.

„Geht so …“, keuchte er auf. Denn als er sich auf seinen Hintern setzte, fuhr ein scharfer schneidender Schmerz in seinen Darm. Das trieb ihm ungewollt etliche Tränen in die Augen.

Sanft legte Annabelle eine Hand auf Keno’s Schulter.

„Bleib liegen, Keno. Du bist noch lange nicht gesund und musst dich schonen. Wir kriegen das schon wieder hin.“

Ihm fiel auf, dass Annabelle einen niedlichen Akzent hatte.

„Bist du Französin?“, fragte er auf Französisch, denn das war eine der Sprachen, die er vor – wie es ihm schien – Jahren studiert hatte.

Annabelle’s Gesicht leuchtete auf. „Ja!“, erwiderte sie ebenfalls auf Französisch. „Wie schön, dass jemand in diesem Land meine Muttersprache spricht.“ Ihre Augen wurden ein wenig feucht. „In diesem verfluchten Land!“, ergänzte sie leise.

Keno senkte kurz seinen Blick. „Du hast Recht, Annabelle! Tut mir leid, dass du auch hier festgehalten wirst …“

Sie nickte und ihre Hände griffen ineinander, um sich gegenseitig zu trösten.

„Mein Mann – Cyrille – und ich werden hier festgehalten. Wir hatten lange auf diesen Urlaub in den Staaten gespart. Wir sind getrampt und gewandert … Wandern ist eines unserer Hobbies … war es … bis vor ungefähr zwei Monaten.“ Sie seufzte und knetete weiter Keno’s Hände.

„Wir kamen bis zu dieser Farm und dachten, vielleicht könnten wir etwas arbeiten, um unsere Urlaubskasse zu schonen. Du weißt schon, ein bisschen Arbeit auf dem Feld … was auch immer. Zu Hause in Frankreich werden wir wohl bald einen kleinen Hof mit ein paar Pferden erben. Wir sind beide in der Landwirtschaft groß geworden. Das haben die hier gleich gemerkt und uns unsere Pässe und das Geld weggenommen. Jetzt sitzen wir hier fest. Cyrille wurde … wie du …“

Sie strich vorsichtig über Keno’s rechten Oberarm. Annabelle liefen einige Tränen über die Wange. Da war ein leichter Verband angelegt worden. Den hatte Keno noch gar nicht bemerkt.

„Was ist denn da?“, fragte er erstaunt. Noch eine Verletzung? dachte er verwundert.

Annabelle streichelte Keno zärtlich über eine Wange.

„Denk dran, es hat nichts zu bedeuten. Du darfst das nicht auf dich beziehen. Es ist nur äußerlich!“, flehte sie ihn geradezu an.

Keno begann fahrig, den Mull abzuwickeln. Als er die letzte Wundauflage abnahm, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Die fünf Buchstaben waren ihm mit schwarzer Tinte in den Arm tätowiert worden. Ein geschwungener Schriftzug – fast verspielt.

„Diese verdammten …“, ihm fiel einfach kein Fluch ein, um sein Entsetzen auszudrücken. Am liebsten hätte er ein großes Messer genommen und das tätowierte Stück Fleisch aus seinem Oberarm geschnitten. Das war so … beschämend … so entwürdigend.

„Sie haben mich wie ein Stück Vieh …“, keuchte er, ließ sich zurücksinken und verdeckte mit einem Arm seine Augen. Er musste das erst mal verkraften. Annabelle strich ihm tröstend durch die Haare.

„Keno“, flüsterte sie eindringlich, „du musst lernen, das zu ignorieren!! Es ist nur die Oberfläche! Es darf dich nicht erreichen, verstehst du?“

Immer weiter strich sie durch sein Haar und massierte seine verkrampften Finger. „Sie haben sonst gewonnen, Keno!! Du darfst das nicht zulassen!“

Er hob schnell seinen Kopf und atmete tief durch. „Das werd‘ ich nicht, Annabelle, verlass dich drauf! Ich hau hier ab. Ich schaff‘ das schon. Und euch nehm‘ ich auch mit, versprochen!“

Annabelle lächelte nachsichtig. „Ach, Keno! Das wäre so schön!“

Doch Keno merkte ihr an, dass sie nicht daran glaubte.

Ein leises vorwurfsvolles Winseln aus Richtung Türe zog ihre Aufmerksamkeit auf sich.

Annabelle lächelte. „Was willst du schon wieder, du ungezogener Hund?“, rief sie gespielt ärgerlich.

Und der Hund schien genau zu verstehen, dass Annabelle eigentlich ziemlich verliebt in ihn war. Sein Winseln bildete fast eine eigene Sprache. Laute in unterschiedlichen Tonlagen wurden klagend ausgestoßen, während die klickenden Pfoten auf dem Dielenboden sehr langsam näher tapsten.

Keno lachte wieder auf. Er konnte gar nicht anders.

„Na, komm mal her!“, lockte er schmeichelnd. Jetzt gab‘s kein Halten mehr. Wer so nett bat, dem konnte der Hund nicht widerstehen.

„Wie heißt sie denn?“, fragte Keno, während er das Tier hinter den seidigen Schlappohren kraulte.

Annabelle zuckte mit den Schultern. „Sie hat noch keinen Namen! Ja, sieh‘ mich nicht so erstaunt an. Der Hund war bisher wohl immer mit auf der Jagd und ist erst seit ein paar Tagen hier auf der Farm.“

„Auf der Farm …“, wiederholte Keno gedankenverloren.

„Ich zeige dir alles, wenn’s dir etwas besser geht, Keno. Du wirst erst mal hier bleiben. So haben sie es uns zumindest gesagt. Du sollst wieder gesund werden …“

Annabelle schwieg verlegen. Aber sie musste gar nicht weiter reden. Sie wussten beide, was mit Keno passieren würde, wenn er wieder gesund war. Schnell schoben sie diese dunklen Gedanken beiseite.

„Sie soll Annie heißen!“, beschloss Keno. „Schließlich ist sie so was wie deine kleine Tochter!“

Annabelle lachte.

„Ein schöner Name! Passt zu ihr. Kurz und frech. Man kann ihn schnell rufen. Und das musst du bei ihr auch. Sie macht nur Unsinn!“


Zerrissen

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