Читать книгу Zerrissen - I. Tame - Страница 20

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Zwei Wochen nach John’s Ankunft hat sich Keno noch immer nicht bei Mika gemeldet. Langsam breitet sich ein unbehagliches Gefühl in ihm aus. Wieso dauert das so lange? Inzwischen müsste sich doch irgendeine Gelegenheit ergeben haben, miteinander zu reden! Oder sich mal bei Mika zu melden!! Mika schwankt zwischen „sich verarscht vorkommen“, „vor Sehnsucht sterben“ und „so wütend werden, dass er platzen könnte“.

Drei Wochen nach John’s Ankunft hat Keno sich noch immer nicht bei Mika gemeldet. Und jetzt kristallisieren sich zwei Gefühle heraus „Zweifel“ und „Depression“. Soll Mika vielleicht mal bei Keno anrufen? Oder eine E-Mail schreiben? Oder eine SMS? Doch Keno hatte ihm klar befohlen, sich nicht bei ihm zu melden. Er würde Mika anrufen, sobald es Neuigkeiten gäbe.

Vier Wochen nach John’s Ankunft hat Keno sich noch immer nicht bei Mika gemeldet. Und bei Jana übrigens auch nicht. Und jetzt befindet sich Mika im gleichen desolaten Zustand wie vor ihrer letzten gemeinsamen Nacht. Der gesamte Vertrauens-Vorschuss ist verbraucht. Mika’s Herz ist eine einzige schmerzende Wunde. Was soll er nur tun? Keno zeigt sich nirgendwo. Nicht im „Crawlers“, in dem er inzwischen kein Hausverbot mehr hat – danach hat Mika sich extra erkundigt. Nicht im „Kolosseum“ und erst Recht nicht im „Café Bohne“.

Und – wie immer – wenn er über Keno nachdenkt, folgt unweigerlich ein Wasserfall von traurigen Gedanken an Jana. Das hatte er ja von Anfang an befürchtet. Sie hat ihre neue Berufung gefunden und hängt nur noch mit Edwina ab. Nein, „abhängen“ wäre ein zu oberflächlicher Begriff – und auch ungerecht. Sie organisiert deren Bürokram, kontrolliert die Mitarbeiter, reist mit ihr von Club zu Club und ist fast nur noch unterwegs. Wenigstens sie schafft es, sich aus dieser unbefriedigenden emotionalen Situation zu befreien. Mika und sie mailen oft und sie telefonieren auch regelmäßig miteinander. Doch das ist natürlich nicht mit ihrem früheren Beisammensein vergleichbar. Manchmal denkt Mika, dass er nur noch aus Sehnsucht besteht. Niemand scheint ihn mehr zu wollen. Alle entfernen sich von ihm und geben einen Scheißdreck darauf, wie er sich fühlt.

Seine Mutter wird bald nach Hause kommen. Sie ist so gut drauf – zumindest am Telefon – dass es Mika fast schon ankotzt. Er schiebt den Gedanken an ein Zusammenleben mit ihr immer weiter von sich. Doch er weiß, dass er sich damit auseinander setzen muss. Er weiß, dass er einfach nicht bei ihr bleiben kann. Eigentlich ein guter Moment, um sich abzuseilen. Sie ist jetzt stark. Sie wird das schaffen. Herrgottnochmal, sie hat sogar jemanden kennengelernt. Ist das zu fassen?! Seine Mutter schießt wie Phönix aus der Asche – mit breiten Schwingen in den Himmel. Und Mika? Mika fühlt sich, als hätte ihn jemand angeschossen. Da ist diese innere Wunde, die irgendwie nicht heilen will.

Es klingelt. Es klingelt. Es klingelt.

„Ja!“, meldet sich Keno leicht genervt.

Mika‘s Herz rast wie ein D-Zug. Er räuspert sich verlegen und stottert kleinlaut vor sich hin.

„Ääh … ja … ich bin‘s, Mika. Ich wollte einfach mal hören wie‘s dir so … also wie‘s so geht?“

Ein lautes Durchatmen am anderen Ende der Leitung. Mika sieht förmlich vor seinem geistigen Auge, wie Keno sich fahrig mit einer Hand durch die Mähne kämmt.

„Geht so …“, raunt er leise. „Ist momentan nicht grad einfach …“

Mika hatte es sich so fest vorgenommen, doch er kann es sich einfach nicht verkneifen.

„Du fehlst mir so …“, haucht er verzweifelt in den Hörer. Ein erneutes tiefes Seufzen

„Du fehlst mir ja auch, Kleiner …“

„Hast du ihm schon von uns …“

„Nein!“, unterbricht Keno ihn ein wenig barsch. „Das ist alles nicht so einfach“, faucht er leiser hinterher. Ich hab‘ ihm so viel zu … erklären. Setz‘ mich jetzt nicht unter Druck, Mika! Mir geht’s echt nicht gerade gut.“

„Mir auch nicht“, erwidert Mika immer leiser werdend. „Eigentlich geht’s mir furchtbar, weil Jana sich auch kaum noch … und ich … ich fühl‘ nichts mehr …“

„Ich kann jetzt nicht länger mit dir reden, Mika!“, unterbricht Keno ihn.

Mika‘s letzten leise gestammelten Satz hatte er sowieso kaum wahrgenommen, so sehr ist er in seinem eigenen Drama gefangen.

„Ich hab‘ dir doch gesagt, dass ich mich melde!“ wirft er Mika fast flüsternd vor. Mika schluckt schwer vor Enttäuschung. Kein weiteres Wort schafft es mehr über seine Lippen. Allein! Ich bin wieder ganz allein! schießt es ihm durch den Kopf. Und ohne einen weiteren Kommentar von Keno abzuwarten, legt er auf.

Eine weitere einsame Woche später hat Mika angefangen, seiner Gefühllosigkeit und dem damit verbundenen inneren Druck Luft zu verschaffen. Er kommt sich selbst ziemlich krank vor, doch es hilft ihm.

Und so nimmt er auch jetzt ein Küchenmesser zur Hand, sprüht es mit Desinfektionsspray aus der Apotheke ein und wischt es mit einem sauberen Küchentuch ab. Nach diesen Vorbereitungen sprüht er seinen Unterarm ebenfalls ein und wischt mit einem weiteren Tuch darüber. Jetzt setzt er entschlossen das Messer auf seinem Unterarm an und ritzt sich tief. Das Blut quillt sofort hervor. Auch diese Wunde wird desinfiziert.

Meistens kann er bereits unter Tränen ein neues Tuch draufpressen. Das Weinen ist solch eine Erleichterung für ihn … das ist unbeschreiblich. Vorher hat er sich gefühlt wie ein bis zum Platzen gefüllter Sack. Und jetzt schluchzt und weint er … und das ist ein tolles Gefühl! Es scheint, als würde jede Träne ein bisschen Seelenschmerz wegwaschen.

Mika atmet tief aus und setzt sich betrübt auf die Wohnzimmer-Couch. Dass er sich so was antut, darf seine Mutter nie mitkriegen! Sie würde ihm die Hölle heiß machen. Würde dafür sorgen, dass er zu einer Therapie geht oder so’n Quatsch!

Es klingelt. Es klingelt. Es klingelt.

Mika grapscht hastig nach seinem Handy.

„Ja …?!!“, ruft er erwartungsvoll, ohne auf die Nummer zu achten, die ihn anwählt.

„Hey! Hallo Mika! Hier ist David!“

„Oh … Hey Dave“ Seine Stimme klingt schon nicht mehr so euphorisch.

„Bist du erkältet?“, fragt David besorgt. „Du hörst dich so verschnupft an!“

„Ach …!“ Mit Mika’s Spontanität ist es auch nicht mehr weit her. „Ich …“

„Bist du traurig?“, fragt David vorsichtig. Er kennt Mika inzwischen schon ganz gut. Und er ist bis jetzt der Einzige, der Mika nicht bedrängt, Keno doch einfach zu vergessen.

„Mhmm“ Mika schnüffelt seine Tränen weg.

„Hast du Lust, mich zu sehen?“, fragt David vorsichtig. „Ich häng alleine zu Hause ab. Ben hat einen Geschäftstermin heute Abend.“

„Klar!“, erwidert Mika und seine Stimmung hellt sich ein wenig auf.

„O. k., so um halb Acht?“, schließt David das Telefonat ab. „Ich bring ‘ne Flasche Wein mit.“

„Ja … super, Dave! Ich freu‘ mich … echt!“

„Bis gleich, Mika!“

Mika lächelt vor sich hin. David ist der Einzige, der nicht „Kleiner“ oder „Blondie“ zu ihm sagt. „Blondie“ ist Ben’s Lieblings-Kosename für Mika. Inzwischen hat er sich ein wenig an Ben gewöhnt. Der wirkt schon nicht mehr ganz so bedrohlich und beängstigend auf Mika.

Was Mika nicht ahnt ist, dass David sich vorgenommen hat, ihm heute mächtig ins Gewissen zu reden. Er hat Mika richtig in sein Herz geschlossen und er ahnt, dass da mehr kaputt gegangen ist als Mika zugibt.

Da ist nur noch wenig von dem offenherzigen süßen Jungen, den David im „Kolosseum“ kennengelernt hatte. Sein Kummer frisst ihn geradezu auf und David hat nicht vor, das länger zuzulassen.

Er selbst ist zweiunddreißig Jahre alt und hat eine ganze Menge gesehen. Da kommt man in der S/M-Szene nicht dran vorbei. Zartbesaitete Seelen sind ein gefundenes Fressen für viele Doms. Sie saugen es geradezu auf, wenn jemand wie Mika verzweifelt kämpft und sich dabei verzehrt.

Doch Keno ist in David’s Augen auf keinen Fall ein professioneller Dom wie Ben. Auch wenn Ben’s distanzierte Art manchmal zu wenig Gemeinsamkeit zulässt, so kann David sich doch darauf verlassen, dass er immer aufgefangen wird, wenn er sich ihm hingibt. Ohne „Wenn und Aber“. Ben hat die Kontrolle – will sie haben – und er hält die Zügel schmerzhaft fest in der Hand.

Keno hingegen – David seufzt bei dem Gedanken an ihn – Keno hat überhaupt nichts unter Kontrolle. Irgendetwas schüttelt dessen ganzes Wesen durch und lässt nicht zu, dass er seine Dominanz in halbwegs geordnete Bahnen lenkt. Er ist wild, ungestüm und ein Chaot vor dem Herrn; ganz klar, dass sich ein Sub wie Mika magisch davon angezogen fühlt. Und wenn dann noch die Liebe, die richtig große verzehrende Liebe, hinzukommt … David presst unbewusst die Lippen aufeinander. Ich muss ihn wachrütteln, denkt er entschlossen.

Einige Stunden später sitzen sie in Mika’s kleinem Wohnzimmer im Schneidersitz auf dem verschossenen Sofa. Eine Pizza musste bereits dran glauben und die Flasche Wein neigt sich dem Ende zu. Mika ist seit langem nicht mehr so locker und halbwegs fröhlich drauf gewesen. David hat ganze Arbeit geleistet.

Zerrissen

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