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Zuerst war es ein Witz. Ich dachte, ein Date mit einem uninteressanten Mann würde mir guttun. Meine Freundinnen gaben mir recht – ich könnte ich selbst sein, müsste nicht stundenlang mein Aussehen aufpolieren und einer Jury vorführen, was ich anziehen könnte. Zur ersten Verabredung ging ich so, wie ich war. Auch Joel hatte das offensichtlich getan.

Er schlug einen Spaziergang an der Töölö-Bucht vor, angeblich gehörte er nicht zu der Sorte Mann, die sich bei einem Dinner wohlfühlte. Also trafen wir uns bei kühlem Frühherbstwetter in dämlicher Outdoor-Kleidung.

Das erste Gefühl, als ich ihn sah, war eine leichte Enttäuschung. Er war gar nicht so gut aussehend, wie ich es in Erinnerung hatte, sondern ein ganz gewöhnlicher Mann. Ich dachte, ich bleibe für einen kurzen Spaziergang, aber nach der anfänglichen Steifheit hatten wir doch ziemlich viel Spaß. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass ich endlich einmal ich selbst war, jedenfalls fand ich es unkompliziert mit ihm. Wir waren keineswegs über alles gleicher Meinung, aber das machte das Gespräch umso interessanter. Wir gingen weiter als geplant, einmal um die Bucht herum, und dann zum Aufwärmen in ein Café. Ich hatte es überhaupt nicht eilig. Dann bedankte er sich und ging, bat mich aber, ihn anzurufen, falls ich ihn wiedersehen möchte.

Das war irgendwie rührend aufrichtig. Noch nie hatte mir ein Mann die Entscheidung über eine weitere Verabredung überlassen. Jetzt hatte ich keine Lust, diejenige zu spielen, die schwer zu haben ist. Wir hatten auf unserem Spaziergang über viele Filme diskutiert, also schickte ich ihm noch am selben Abend eine Nachricht, in der ich vorschlug, am nächsten Wochenende ins Kino zu gehen.

Ich war regelrecht begeistert von Joels normaler Art. Einem Mann wie ihm war ich noch nie zuvor begegnet. Er spielte keine Spielchen, rief an, wenn er es versprochen hatte, erschien an den vereinbarten Treffpunkten, war höflich und machte so lange keine Annäherungsversuche, dass ich fast verzweifelte. Ich wusste nicht, ob wir bloß Freunde waren oder ein künftiges Liebespaar. Auch Joel wusste es anscheinend nicht.

Er ist so normal, dass etwas mit ihm nicht stimmen kann, mutmaßte ich meinen Freundinnen gegenüber, die misstrauisch nickten. Irgendwo gab es mit Sicherheit eine heimliche Geliebte oder eine versteckte Familie, zumindest einen Bankrott oder irgendwelche Wirtschaftsvergehen, wenn nicht mehr. Ich hatte ihn im Verdacht, religiös zu sein, aber auch das war er nicht.

Die Tatsache, dass er Lehrer war, erklärte einen Teil seiner Moral und seines Anstands, aber nicht alles. Ich merkte bald, dass er in Diskussionen nicht leicht nachgab, und unsere ersten Streitigkeiten ließen nicht lange auf sich warten. Trotz seiner ruhigen Art konnte er aus der Haut fahren und sogar cholerisch werden, wenn ich mich irgendwie querstellte. Anfangs hatte ich mir noch Sorgen gemacht, ob er zu brav für mich sein könnte, aber diese Angst war unbegründet. Joel schaffte es, mich im Zaum zu halten, und machte gleich zu Beginn die Spielregeln klar. Das passte mir ausgezeichnet. Ich hatte genug von all den Wirrköpfen und Helden, mit denen ich früher ausgegangen war, und wünschte mir schon lange einen normalen, bindungsfähigen Mann. Hier war er nun endlich.

Nach und nach verliebte ich mich in ihn. Wegen meiner vielen Reisen gestaltete sich die Beziehung am Anfang eher locker, aber Joel beklagte sich nie über meine Arbeit. Er respektierte sie und legte Wert auf seine eigene Unabhängigkeit. Allmählich sehnte ich mich immer mehr nach den Ferngesprächen mit ihm und nach seiner beruhigenden Nähe. Wenn ich von meinen Reisen zurückkehrte, konnte ich über alles, was ich erlebt hatte, mit ihm reden – oder es bleiben lassen. Mit ausländischen Männern war es unmöglich, zu schweigen, mit ihnen musste man ständig über etwas reden, weil sie Stille als Schmollen interpretierten. Mit Joel konnte ich den ganzen Abend lesend auf der Couch verbringen, wenn mir danach war.

Das Boot und die Natur waren ihm wichtig, aber es überraschte mich ein bisschen, dass er sich nicht besonders viel aus Reisen machte, obwohl er Erdkundelehrer war. Flugreisen vermied er aus ökologischen Gründen, und mit ihm musste ich zum ersten Mal in meinem Leben zelten. Das war neu und romantisch.

Meine Freundinnen überraschte es, dass sich das, was ein Witz gewesen war, in eine ernste Beziehung verwandelt hatte, aber sie lobten Joel und bezeichneten ihn als guten Mann – vielleicht, weil ihnen nicht mehr zu ihm einfiel. Mit so einem lebte es sich leichter als mit einem schlechten. Viele probierten auch die Variante mit einem schlechten Mann aus.

Erst als ich Joels Mutter besser kennenlernte, verstand ich, dass seine Anständigkeit teilweise eine Gegenreaktion auf deren Leichtlebigkeit darstellte. Vielleicht war das eine zu simple Erklärung, schließlich war ich in seiner Kindheit nicht dabei. Vielleicht wurde er ja schon anständig geboren.

Es gibt zwei Arten von Beziehungen: die Sympathie der Seelen und die Anziehungskraft der Gegensätze. Einen Seelengefährten habe ich nie gefunden, Joel bildete eindeutig einen Gegensatz. Das funktionierte, bis das Kind kam.

Vor Fanni mussten wir in unserer Beziehung keine Kompromisse machen. Wir lebten in unseren eigenen Wohnungen, weil das wegen meiner Reisen einfacher war, wir trafen uns mit unseren eigenen Freunden, interessierten uns für verschiedene Dinge. Das passte uns beiden gut, aber im Nachhinein kann man durchaus die Frage stellen, ob wir uns überhaupt richtig kannten. Eine Beziehung zwischen selbstständigen Erwachsenen ist so lange angenehm, bis einer von beiden vom leichten Leben genug hat und ein Kind will.

Inzwischen kann ich den Menschen, der ich vor Fanni war, nicht mehr greifen. Und das ist gut so. Ich glaube nicht, dass ich mich damals besonders mochte, aber daran erinnern kann ich mich nicht mehr. Um mich herum ist Schicht für Schicht das Gefühl der Lebensmitte gewachsen, unmerklich und insgeheim.

Heute beißen die Fische nicht

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