Читать книгу Heute beißen die Fische nicht - Ina Westman - Страница 21
EMMA
ОглавлениеPlötzlich scheint sich der Wind zu legen, es wird ruhig und sonnig, ein wolkenloser Morgen folgt dem anderen, und keine Boote sind in Sicht. In diesem Stadium des Sommers sind die Segler weit draußen, bei Jurmo und Kökar oder den Åland-Inseln. Dort wäre auch Joel am liebsten, wehmütig späht er zum Horizont und geht ruhelos auf der Insel hin und her.
Schließlich bricht er mit Fanni für einen ganzen Tag zum Fischen auf dem offenen Meer auf. Ich selbst rechne mit Gewitter, ich weiß, dass das Wetter überraschend und ohne Vorwarnung umschlagen kann, wir hören uns nicht einmal den Seewetterbericht im Radio an. Ich warne die beiden, zu weit hinauszufahren, aber Joel macht sich nicht die Mühe, mir zu antworten. Zu dem übrigen Proviant im Boot lege ich noch eine zusätzliche Wasserflasche und eine Banane.
Die Kopfschmerzen hämmern wieder mit scharfen Spitzen in meinen Schläfen. Ich setze mich auf die Terrassenstufen und ziehe spontan einen Joint aus der Tasche. Ich habe keine Lust, mich damit im Wald zu verstecken, jetzt, da Fanni weg ist und vor allem Joel mit seiner mürrischen Miene.
Großvater erscheint nach seinem Mittagsschlaf auf der Terrasse, als ich noch rauche. Zuerst will ich den Joint intuitiv ausdrücken, aber dann rauche ich doch ruhig weiter. Die befreiende Gleichgültigkeit ist bereits bis in mein Gehirn vorgedrungen, und die Kopfschmerzen sind bald nicht mehr als ein mattes Rauschen. Ich will mir keine Gedanken machen. Großvater setzt sich neben mich auf die Stufen.
»Ich kiffe gegen die Kopfschmerzen. Das ist das Einzige, das hilft. Hoffentlich stört es dich nicht«, sage ich, nachdem wir eine Weile die Seevögel beobachtet haben, die sich auf einer Klippe scharen.
»Mich stört es nicht«, sagt Großvater ruhig. »Stört es Joel?«, fragt er dann.
»Er hat Angst, dass Fanni es sieht, und will auch nicht, dass sie es weiß. Für Joel ist das natürlich eine Flucht vor den Problemen. Aber er weiß nicht, was es heißt, ständig Schmerzen zu haben. Es ist ein Medikament, das muss auch er einsehen. Ich höre sofort damit auf, wenn es mir irgendwann einmal besser geht. Ich werde davon nicht sonderlich high, aber die Kopfschmerzen werden schwächer. Und aus irgendeinem seltsamen Grund verschwinden auch die Halluzinationen, obwohl es eigentlich umgekehrt sein sollte. Ich habe das Gefühl, dass ich einen klaren Kopf bekomme, wenn ich kiffe, und irgendwie wird auch mein Gedächtnis besser.«
Großvater schmunzelt.
»In den Siebzigerjahren habe ich ein paarmal LSD probiert. Die Erfahrung war so großartig, dass ich damit aufhören musste. Großmutter hat damals ziemlich viel gekifft, das war sehr in Mode. Aber dann kam Joel auf die Welt, und die Party war vorbei. Mit dem Ausprobieren hatte es sich. War bestimmt auch ganz gut so. Vielleicht sehe ich deshalb heutzutage diese Engel. Manchmal spüre ich sie nahe bei mir, aber vielleicht ist das nur ein Nachhall der LSD-Trips. Eine tolle Zeit war das schon, das muss ich zugeben, frei und revolutionär.«
Ich kann dazu nichts sagen. Mit dem eigenen Schwiegervater über Drogen zu reden, ist etwas, das ich mir in meinem früheren Leben und zu Hause nicht hätte vorstellen können. Auf der Insel ist alles anders. Wir befinden uns außerhalb von Gesetz und Ordnung, in unserem eigenen Reich, wo die Normen gewöhnlicher Gespräche und Verhaltensweisen gedehnt werden.
In Ermangelung von Worten biete ich ihm einen Zug an.
»Aha«, sagt er. »Vielleicht sollte ich doch mal.«
Er nimmt ein paar genussvolle Züge. Von Stille erfüllt sitzen wir nebeneinander, weiche Watte hüllt mein Gehirn ein und dämpft das Hämmern so weit, dass es aus meinem Bewusstsein verschwindet. Ich schließe die Augen in der Sonne, hoffe, dass Joel und Fanni lange wegbleiben, lausche dem unablässigen Rauschen der Insel wie einem Atmen: ein und aus. Wir werden von hier verschwinden, aber die Insel wird bleiben. Dieser Gedanke hat etwas Tröstliches, das ist Großvaters Einfluss auf mich. Er ist voller Trost, er ist der Einzige von uns, der noch an das Leben glaubt.