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1936 - Zarifa: Großes Tal - Ein anderer Mensch

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Bei der nächsten Audienz war Rabia erstaunlich ruhig. Ein wenig fühlte sie sich wie bei einem Déjà-vu, denn es war sogar derselbe Bedienstete, der sie in die Bibliothek einließ. Und wie beim letzten Mal saß Scheich Amir über irgendwelchen Papieren.

Doch Rabia selbst hatte sich im letzten halben Jahr verändert. Das naive Mädchen war zusammen mit seinen romantischen Gefühlen bei der Geburt von Yuemnue gestorben. Nun war sie eine Mutter, die ihren Nachwuchs mit allen Mitteln verteidigen würde. Sie war hart geworden, weil ihre Umgebung unnachgiebig zu ihr war. Sollten sie doch reden! Gab es nicht immer Leute, die sich das Maul zerrissen? Sollten sie doch glotzen! Mittlerweile gelang es ihr überraschend gut, die anderen Tarmanen zu ignorieren.

Sie war froh, dass sie in Genna wenigstens einen Menschen gefunden hatte, der sie nicht verurteilte. Obwohl sie sechs Jahre trennten, waren sie Freundinnen geworden. Yuemnue war das erste Kind gewesen, dem Genna in die Welt geholfen hatte. Und daher hatte sie eine ganz besondere Beziehung zu dem Kleinen. Wenn Rabia sie dabei beobachtete, wie sie ihn im Arm hielt, fühlte sie sich glücklich. „Nicht alle hassen dich mein Kleiner!“, sagte sie dann. Denn Genna wirkte fast, als würde sie ihr eigenes Kind wiegen.

Die beiden jungen Frauen hatten lange darüber geredet, wie es mit Rabia weitergehen sollte und sie waren zu dem Schluss gekommen, dass es nur eine sinnvolle Lösung gab - aus diesem Grund war die Audienz bei Scheich Amir notwendig geworden.

Während Rabia wartete, dass sich seine Hoheit ihr zuwendete, beobachtete sie ihn unauffällig und erforschte ihre Gefühle. Verwundert stellte sie fest, dass sie ihn nicht hasste. Selbst ihre Wut war verflogen. Wenn, dann verachtete sie sich selbst, denn ihr war klar geworden, dass sie sich nur allzu leicht hatte benutzen lassen. Sie hatte sich selbst in der Rolle der Beute gefallen. Und für diese Naivität bezahlte sie jetzt den Preis. Doch sie war wild entschlossen, dass ihr Sohn nicht ebenfalls unter ihrer Dummheit leiden würde.

„Was kann ich für dich tun?“, fragte Amir. Seine Stimme war weicher als beim letzten Mal. „Wahrscheinlich hat er damals schon erraten, warum ich ihn sprechen wollte“, vermutete Rabia. „Und er hat auch nur seinen Sohn beschützt“, führte sie den Gedanken weiter. „Denn Yuemnue ist vier Wochen älter als Sedat. Das hätte ihn zu seinem Erben gemacht.“

„Ich möchte Euch um die Erlaubnis bitten, Zarifa verlassen zu dürfen“, kam sie dann ohne Umschweife zum Thema. Der Tonfall ihrer Stimme war höflich, aber bestimmt.

Jetzt legte Amir seinen Stift weg und sah sie interessiert an. Es war offensichtlich, dass er überrascht war. Anscheinend hatte er erwartet, dass sie nun, da er seinen ehelichen Sohn Sedat offiziell als Erben präsentiert und gefeiert hatte, mit einem erneuten Versuch ihrerseits gerechnet hatte, zumindest die Vaterschaft anzuerkennen.

„Wohin möchtest du gehen? Und wie lange willst du wegbleiben?“, stellte er routinemäßig die üblichen Fragen. Es war Gesetz, dass man beim Scheich für jede Reise, die aus dem Gebirge wegführte und nicht dem Handel in anderen Oasen diente, zuerst eine Genehmigung einholen musste.

„Das weiß ich noch nicht. Und ich werde nicht zurückkehren.“ Erneut gelang es Rabia, jegliche Emotion aus den Worten zu verbannen. Es klang, als spräche sie über das Wetter und nicht darüber, ihrer Heimat für immer den Rücken zu kehren.

„Unter den gegebenen Umständen brauche ich nicht nach dem Grund für diesen Wunsch zu fragen“, stellte Amir fest. Doch das Erstaunen war ihm anzusehen.

„Du hast dich in den letzten Monaten verändert“, fügte er hinzu. Dann biss er sich auf die Lippe, als wäre das schon zu viel Vertrautheit.

Rabia gönnte sich ein ironisches Lächeln, dann wurde sie wieder ernst. „Ich muss jetzt für mein Kind sorgen“, sagte sie fest.

Amir nickte nachdenklich. „Ich erteile dir die Erlaubnis“, sagte er und machte eine Pause. Es schien, als wollte er noch etwas sagen, doch dann schluckte er seine Worte hinunter.

„Ich danke Euch, Herr“, Rabia verneigte sich. „In drei Tagen verlassen unsere Händler das Tal und machen sich auf den Weg nach Farah. Mit ihnen werde ich reisen. Dort werde ich sicher eine Möglichkeit finden, weiterzukommen.“

Wieder sah der Scheich aus, als läge ihm noch etwas auf der Zunge, doch er nickte lediglich und wendete sich stattdessen demonstrativ seinen Papieren zu.

Rabia entfernte sich rückwärts, wie es Protokoll war. Als sie sich an der Tür umdrehte, um die Klinge zu betätigen, hörte sie ihn noch leise sagen: „Ich wünsche dir alles Gute!“

Es waren die ersten Worte seit ihrer Liebesnacht, die so etwas wie Emotionen verrieten. Doch ohne innezuhalten, ging sie hinaus. Es war alles gesagt, was gesagt werden musste.

Rayan - Das Blut Von Zarifa

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