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Anfang Juni 2015 - Zarifa: Großes Tal - Der Kopf wird freier

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Als Anbar gemeinsam mit den Tarmanen den Tunnel am Talanfang durchritt und zum ersten Mal einen Blick auf das große Tal von Zarifa warf, stockte ihm der Atem. Er hatte vorsichtshalber angenommen, dass die Männer die Schönheit des Ortes übertrieben, denn er wollte nicht enttäuscht werden. Doch das saftige Grün, der Fluss, in dem sich die Sonne spiegelte und die friedlich grasende Pferdeherde vor der Kulisse der mächtigen Felsen, die das Tal einschlossen, versetzten ihn in Ehrfurcht. Seine Hoffnungen waren sogar noch übertroffen worden! Und er war so glücklich, wie schon lange zuvor nicht mehr.

Im Ort angekommen, verlor er schnell auch noch die restliche Scheu. Denn es hatte sich herumgesprochen, dass er es gewesen war, der ihrem Herrn die Flucht ermöglicht hatte. Und nicht nur Carina, Tahsin und Julie waren unendlich dankbar für sein Opfer. Sondern auch Hanif, Jassim und die meisten anderen Tarmanen. Man grüßte ihn respektvoll auf der Straße und vor allem in den ersten Tagen musste er die meisten der vielfältigen Hilfsangebote ablehnen, weil es einfach zu viel des Guten war. Nach einigen Tagen legte sich die Aufregung ein wenig, doch die Freundlichkeit der Menschen um ihn herum blieb. Carina lud ihn immer wieder zu kleinen Erkundungen ein, sie erinnerte sich nur zu gut an ihre ersten Tage in Zarifa und wie sie selbst vor gerade einmal etwas länger als einem Jahr die Wunder dieses Ortes erforscht hatte. Mit dem ihr eigenen Temperament hatte sie sich in den Kopf gesetzt, ihm in kürzester Zeit jeden noch so kleinen Winkel zu zeigen. Es war ihre Art, ihre Dankbarkeit auszudrücken und Anbar freute sich über die erfrischende Gesellschaft. In den ersten Tagen nach dem Verlust seiner Zunge hatte Anbar sich mit der Gebärdensprache versucht, doch dies war eine schwierige Form der Kommunikation, da auch sein Gegenüber die Zeichen zu deuten wissen musste. Tahsins Idee war es dann gewesen, dass man im Zeitalter der heutigen Technologien doch ganz einfach das Display des Mobiltelefons zum Schreiben verwenden könnte. Auch WhatsApp und SMS machten ihm das Leben leichter. Im Austausch mit Carina konnte er manchmal seine Antworten oder Bemerkungen gar nicht so schnell auf seinem Smartphone tippen, um mit der Deutschen zu kommunizieren, wie diese schon wieder ein neues Thema anschnitt. Es war wie Balsam auf seiner Seele. Immer wenn sie und Tahsin nicht da waren, fühlte er sich fast ein wenig alleine, trotzdem die Menschen um ihn herum stets freundlich waren.

Eines Tages lernte er in der Bäckerei der kleinen Stadt einen jungen Mann kennen, der sein Interesse weckte. Unbeabsichtigt wurde er Zeuge einer Diskussion zwischen zwei Personen, die er als den Bäcker und seinen Sohn erkannte. Die beiden bemerkten ihn nicht, und obwohl Anbar sich sofort diskret zurückzog, hörte er doch genug, um zumindest zu ahnen, über welches Thema die beiden stritten: die „Karriere“ des Jungen. Es schien, als sei er bei den Kriegern aufgrund eines Fehlers ausgeschieden und hatte sich nun in den Kopf gesetzt, in die Fußstapfen seines Vaters treten zu wollen. Doch dem alten Bäcker war klar, dass seine Gene sich nicht auf seinen Erstgeborenen übertragen hatten. Der war viel zu wild und ungestüm, um den ganzen Morgen Teig zu kneten und das Feuer anzuheizen. Zuerst war es nur das Schicksal des Jungen, das ihn interessierte. Warum änderte jemand seinen „Berufswunsch“ derart drastisch? Und er nahm sich vor, mehr darüber herauszufinden.

Die Situation fiel genau damit zusammen, dass Anbar klar wurde, wie sehr er sich selbst in der Gefangenschaft verändert hatte. Einige Wochen in Freiheit und die friedvolle Umgebung hatten bewirkt, dass es ihm immer häufiger gelang, darüber nachzudenken, wie er mehr zu sich selbst finden konnte. Seine Schlussfolgerung war, dass er ein „Projekt“ brauchte. Zuerst dachte er, dass eine Beschäftigung die Lösung wäre und er bat den Scheich um Erlaubnis, in den Stallungen mit den Pferden helfen zu dürfen. Der war der Bitte mit Freuden nachgekommen und hatte ihn den zuständigen Tarmanen sogar persönlich vorgestellt. Und in der Tat gelang es ihm auf diese Weise, einen immer freieren Kopf zu bekommen. Fürst Khalid und sein Handlanger Mulai rückten immer weiter in die Vergangenheit und es gab zunehmend längere Abschnitte, in denen er nicht an sie dachte.

Rayan - Das Blut Von Zarifa

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