Читать книгу Rayan - Der Stich des Skorpions - Indira Jackson - Страница 16
Anfang September 2015 – München – Je später der Abend …
ОглавлениеWieder einmal war Carina von der Vielseitigkeit Rayans fasziniert. Immer, wenn sie glaubte, sie würde jetzt alle Seiten von ihm kennen, packte er eine neue aus. Diesmal war es die „Normalo-Seite“, wie sie sie heimlich taufte.
Nachdem sie sich noch einige Minuten lang im Pavillon unterhalten hatten, waren sie zum Tisch zurückgekehrt. Carinas Befürchtungen, dass das Zusammentreffen mit ihren Freundinnen ein Desaster werden würde, zerstreuten sich innerhalb weniger Minuten. Rayan war charmant und wich allen brisanten Fragen so geschickt aus, dass keine der drei es realisierte. Mit Gegenfragen brachte er sie dazu, stattdessen von sich zu erzählen. Er sprach in fehlerbehaftetem Englisch und streute hier und da wenige deutsche Worte aus, als hätte er diese mühsam von Carina neu gelernt, was die Mädchen als besonders charmant auslegten. Alles in allem schien er sich in dieser Rolle gut zu amüsieren. Seine mangelnde Auskunftswilligkeit bemerkten die drei Damen nicht.
Nur in einem Punkt wurde Rayan auf einmal ungeahnt kommunikativ: als er völlig unvermittelt ein Foto von ihrer kleinen Tochter Sheila herauszog und Carina im Beisein der anderen fragte, ob sie ihnen denn von ihrem Nachwuchs berichtet hatte. Diese Nachricht schlug ein, wie eine Bombe. „Was? Du warst schwanger?“, „Du hast ein Kind?!“ Danach wollte jeder natürlich das Foto sehen, welches Rayan wie eine Trophäe präsentierte. Und es folgten die üblichen Behauptungen, von wem welcher Teil des süßen Babygesichts geerbt war. Über eines waren sich natürlich alle einig: Die Augen waren die des Vaters. Dieses intensive Blau konnte selbst ein Blinder problemlos zuordnen. Carina war glücklich. Nie hatte sie gedacht, dass Rayan es gutheißen könnte, wenn sie über Sheila sprach. Dass er selbst diese Nachricht verkündete, war ein weiterer Punkt auf ihrer Liste der Überraschungen für diesen Tag.
Einmal wurde ihr heiß und kalt, als sich der männliche Part der Frauen dazugesellte und das Thema auf ihr Buch zu sprechen kam. Ohne, dass sie eine Ahnung davon hatten, dass das Objekt des Buches direkt neben ihnen saß, begannen sie Carina Fragen zu stellen. Diese zu beantworten, war ihr vorher schon schwergefallen, aber mit Rayan an ihrer Seite war sie einer Panik nahe. Wie viel durfte sie verraten? Welche Punkte würde er lieber für sich behalten?
Doch auch aus dieser Situation half er ihr selbst galant heraus, indem er einen Teil der Fragen an ihrer Stelle beantwortete. Er behauptete einfach, den Scheich ebenfalls persönlich zu kennen, was ja so gesehen auch keine Lüge war.
Selbst als die üblichen Vorurteile über mangelnde Hygiene und ausbleibendem Fortschritt zur Sprache kamen, korrigierte er sie mit Geduld, ohne dabei belehrend zu wirken. Und vor allem, ohne die Behauptungen als Beleidigung zu empfinden. Carina fiel ein Stein vom Herzen.
„Dein Freund ist viel auskunftswilliger als du“, musste sie sich schließlich den Vorwurf gefallen lassen. Carina war es egal. Sie hielt Rayans Hand fest, als hätte sie Angst, er wäre nur in ihrer Fantasie hier und könne wieder verschwunden sein. So verging der Nachmittag rasant und bald ging die Sonne unter. Schnell wurde es aufgrund der Jahreszeit empfindlich kalt und man verlagerte die Gesellschaft ins Haus und den dazugehörigen Wintergarten. Einige der Gäste nutzten die Gelegenheit, um sich zu verabschieden.
Eine Zeit lang wurde Rayan auch von den männlichen Besuchern in Beschlag genommen und erstaunt sah Carina, als er sich wieder zu ihr gesellte, ein Glas mit einer bräunlichen Flüssigkeit in seiner Hand.
„Whisky“, antwortete er ihre unausgesprochene Frage. Er trank davon, ohne mit der Wimper zu zucken, als Joachim, der Bräutigam zu ihnen stieß. „Dein Freund hat einen exklusiven Geschmack, was Whisky angeht“, klärte er Carina auf. „Und er ist ein richtiger Kenner! Du weißt, dass Whisky meine Leidenschaft ist, aber dieser Mann hier, der stellt mein Wissen in den Schatten – wo hast du ihn bloß die ganze Zeit versteckt gehalten?!“ Er schlug Rayan lachend auf die Schulter und widmete sich wieder anderen Gästen.
„Soso, du bist also ein Kenner, ja?“, zog Carina ihn auf. Rayan war ein wenig verlegen, denn als Moslem trank er normalerweise keinen Alkohol. Aber er war ja schließlich auch öfter einmal als Amerikaner Yasin Tanner unterwegs. Manchmal fragte Carina sich, wie Rayan es machte, zwischen diesen beiden Welten zu leben. Sandra gesellte sich zu ihnen und man tauschte die üblichen Komplimente über die gelungene Feier aus. Dann sah die Gastgeberin in Richtung Tür, wo offenbar noch ein später Nachzügler aufgetaucht war. Sie verzog das Gesicht.
Ein bereits leicht angetrunkener Schönling kam auf sie zu. Zwar torkelte er nicht, aber seinen überschwänglichen Gesten konnte man leicht entnehmen, dass er nicht mehr nüchtern war. „Das ist Peter“, sagte sie lahm. Sie konnte einen abfälligen Unterton nicht ganz verbergen. „Er weiß immer alles am besten. Stets ist bei ihm alles besser und schneller und teurer als bei anderen. Entschuldigt mich bitte.“ Dann machte sie sich fluchtartig davon.
Etwas erstaunt sah Rayan ihr nach. „Wenn sie ein Problem mit ihm hat, warum hat sie ihn dann eingeladen?“, fragte er Carina.
„Vor Joachim war er mit Sandra verlobt“, erklärte diese. „Aber er hat sie dauernd betrogen. Und mir hat er im Gymnasium einmal einen bösen Streich gespielt. Seitdem mache ich einen großen Bogen um den Kerl! Leider ist er der Sohn eines der einflussreichsten Männer hier in München und damit sind die Familien offiziell befreundet.“ Auch sie wollte sich schnell abwenden, doch Peter ließ sich davon nicht ablenken. „Hey, wenn das nicht unsere berühmte Schriftstellerin ist.“ Entsetzt befürchtete Carina, Peter würde nun Beleidigungen von sich geben. Doch auch wenn er egozentrisch war, er hatte Benehmen.
„Ich habe gehört, der Lamborghini Aventador da draußen gehört deinem Freund hier. Würdest du uns vorstellen?“, fragte er mit freundlichem und eigentlich ganz sympathischem Lächeln.
Erstaunt und vor allem misstrauisch sah Carina ihn an. Dann kam sie seinem Wunsch nach und nannte beide Namen, wobei sie sich mit „Peter“ und „Rayan“ begnügte. Sie vermutete korrekt, dass es ihrem Begleiter nicht recht gewesen wäre, wenn sie seinen vollen Namen - oder gar noch Titel - genannt hätte. Ein wenig wunderte sie sich ohnehin, dass noch keiner aus dem Vornamen Schlüsse gezogen hatte, dass hier die Hauptperson aus ihrem Buch anwesend war.
Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Sandra aus einiger Entfernung Peter unbehaglich musterte. Sie hatte schmerzhaft in der Vergangenheit beide Seiten des Münchners kennengelernt - den Charmeur und den Rüpel - und hatte Angst, er würde die Stimmung auf der Party negativ beeinflussen.
Rayan war die Ruhe selbst. Er ließ zu, dass der Kerl ihm Honig um den Bart schmierte und eine Weile diskutierten sie über schnelle und vor allem teure Autos. Dann entdeckte Peter Rayans Armbanduhr.
Er pfiff leise durch die Zähne: „Wow – eine ‚Glashütte Original‘! Die ‚Richard Lange Ewiger Kalender‘, wenn ich mich nicht irre?“ Als Rayan wortlos nickte, wollte Peter ganz offenbar an Carina gewandt mit seinem Wissen über die Luxusuhr auftrumpfen. Doch da lag auf einmal wie unbeabsichtigt Rayans Hand auf seinem Arm und Peter bemerkte dessen Gesichtsausdruck. Er war klug genug, schnell das Thema zu wechseln. Der Scheich legte normalerweise keinen Wert auf Protz. Allerdings liebte er seltene Uhren. Dass sie in der Regel ein Vermögen kosteten, konnte er sich locker leisten - so wie diese, die etwa 180.000 Euro wert war. Sollte dieser Peter ruhig mit seinen eigenen Trophäen angeben, aber sich nicht mit seinem Wissen über Rayans Besitztümern brüsten. Carina sah verwundert von einem zum anderen. Trotz der schlechten Beleuchtung war ihr aufgefallen, dass die Augen des Scheichs eine Nuance dunkler geworden waren. „Nicht gut!“, dachte sie hektisch. Offenbar war seine entspannte Stimmung auf Sturm umgeschlagen. Verzweifelt überlegte sie, wie sie eine Explosion verhindern konnte.
Und tatsächlich ärgerte sich der Scheich sehr über die Art und Weise dieses Peter. Er wusste, dass Carina seine Vorliebe für teure Uhren nicht teilte, deshalb vermied er das Thema grundsätzlich. Sie machte sich, Allah sei Dank, auch nie die Mühe, sich mit diesem Gebiet intensiver zu befassen, sonst wäre ihr aufgefallen, dass Rayan zwar keine Rolex mehr trug, die Exemplare aber weiterhin durchaus exklusiv waren. Sie war offenbar der Meinung, die Uhr eines deutschen Herstellers könne nicht so hochwertig sein. Weit gefehlt.
Er ärgerte sich nun also sowohl über Peter, aber genauso auch über sich selbst, weil er ein schlechtes Gewissen hatte. Das wäre ja noch schöner, wenn er sich vor einer Frau rechtfertigen müsste. Am liebsten hätte er seine nun schlechte Laune an diesem aufgeblasenen Besserwisser ausgelassen. Er war der Anführer eines ganzen Volkes, wieso sollte er es nötig haben, sich zu verstellen? Erst zwei Tage vorher hatte er endlich den langjährigen Feind, der ihm nach dem Leben trachtete, vernichtet. Und dies ohne jegliche Gewissensbisse. Was also hielt ihn nun davon ab, diesem Peter ein wenig angebrachten Respekt beizubringen?
Dann fiel sein Blick auf Carina und er sah die stumme Bitte in ihren wunderschönen, grünen Augen. Also atmete er tief ein und versuchte, weiterhin ruhig zu bleiben.
Dann kam ihm eine Idee …