Читать книгу Rayan - Der Stich des Skorpions - Indira Jackson - Страница 5
Anfang August 2015 - Alessia: Hummers Haus - Ein Geständnis
ОглавлениеRayan hatte sich gerade einige Minuten lang in den Pavillon gesetzt, um sich von der Reise auszuruhen, als Jamal sich näherte. Der Scheich unterdrückte ein Lächeln. Wie üblich gelang es dem Haushälter, sich formvollendet zu nähern. Aber hier in Alessia war die Etikette großgeschrieben, während Rayan in Zarifa weitaus weniger Ansprüche hatte und ihm nur einige Grundregeln wichtig waren.
Es war einer der Gründe, warum der Scheich spätestens nach zwei bis drei Tagen regelmäßig die Flucht ergriff. Er hasste die Zwänge, die sein Status mit sich brachte, aber Jamal bestand darauf, sie bis ins letzte Detail zu exerzieren. Manchmal fragte Rayan sich, wer eigentlich der Herrscher war - er oder Jamal?
So blieb dieser in respektvollem Abstand stehen, bis Rayan ihm mit einer Geste zu verstehen gab, dass er bereit war, ihn zu empfangen. Innerlich schüttelte der Scheich den Kopf über derart viel Steifheit und wünschte sich schon jetzt zurück nach Zarifa.
Die Ankündigung des Haushälters riss ihn jedoch aus diesen Gedanken: „Mein Herr, es ist ein Mann hier, der euch untertänigst um eine Audienz bittet. Ich möchte dazu ergänzen, dass diese Person bereits dreimal während eurer Abwesenheit nach Euch gefragt hat.“
„Hat er gesagt, was er will?“, fragte Rayan ein wenig gereizt. Er hatte gehofft, wenigstens einige Minuten durchschnaufen zu können. Dann ermahnte er sich selbst, denn er war schließlich nicht oft hier. Da war es verständlich, dass die Menschen ihre Bitten vortrugen, sobald es sich herumsprach, dass er angekommen war.
Jamal zögerte kurz, was den Scheich stutzen ließ: „Er sagte, er müsse Euch ein Geständnis machen“, er zauderte erneut: „und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Er sieht nicht gut aus. Ihm scheint tatsächlich etwas auf der Seele zu liegen …“
Nun war die Neugier des Scheichs geweckt: „Dann bring ihn herein.“ - „Ja, mein Herr. Sofort.“
Vorsichtshalber rief er per Handy Jassim an, seinen Leibwächter, der irgendwo auf dem Grundstück unterwegs war. Man konnte schließlich nie wissen, welche Absichten der Besucher verfolgte. Doch der antwortete knapp: „Ich bin schon auf dem Weg, Herr. Jamal hat mich bereits informiert.“
Rayan nickte zufrieden, steckte das Telefon weg und überprüfte den Sitz seiner beiden Dolche, die er stets bei sich trug. Er verstand es perfekt, diese Waffen zu benutzen. Vor allem als Wurfgeschoss trafen sie ihr Ziel rasend schnell und punktgenau. Um einen raschen Zugriff zu gewährleisten, hatte er diese in Spezialfutteralen aus Leder, die an seinen beiden Unterarmen befestigt waren. In entspannten Moment wie jetzt trug er diese offen sichtbar, zu offizielleren Anlässen unter den Ärmeln seines Gewandes verborgen.
Erst als Jassim nicht weniger als vier Männer rund um den Pavillon und sich selbst direkt neben seinem Herrn platziert hatte, ließ Jamal den Bittsteller eintreten. Wieder seufzte Rayan innerlich - als könne er sich nicht selbst gegen einen einzelnen Mann verteidigen. Natürlich hatten weitere Wachtposten bereits an der Eingangstüre zum Anwesen sichergestellt, dass der Mann unbewaffnet war.
Rayan war sich nicht sicher, was er erwartet hatte, aber auf keinen Fall jemanden, der gerade einmal Anfang Zwanzig sein mochte. Er musste dem Haushälter recht geben: Der Besucher war blass, abgemagert und hatte tiefe Ringe unter den Augen, als hätte er schon länger nicht mehr sonderlich gut geschlafen. Sein Blick war gehetzt und er schlotterte förmlich vor Angst.
Ohne ein Wort kniete er vor dem Scheich nieder und neigte sein Gesicht zu Boden, so wie es die Etikette verlangte.
„Sprich mein Junge, was kann ich für dich tun?“, fragte Rayan freundlich. Es gelang ihm dabei nicht ganz, sein Erstaunen über diese Erscheinung zu verbergen. Außerdem hatte er spontan Mitleid, denn jemand schien diesen Jüngling zu bedrohen.
„… M … mein … H ... Herr …“, stotterte der. Rayan und Jassim tauschten einen fragenden Blick: Was sollten sie von diesem Kerl halten? Im Scheich regte sich die Ungeduld.
Endlich brach es aus dem Jungen hervor: „Es ist meine Schuld! Ich war es! Durch mich ist Euer Flugzeug abgestürzt!“
Einige Sekunden lang war es still und wiederum sah Rayan Jassim fragend an, der jedoch auch nur die Achseln zuckte. War der Junge krank? Sorge regte sich in Jassim, er hoffte nicht, dass Jamal eine Person mit einer ansteckenden Krankheit in die Nähe ihres Herrn gelassen hatte!
„Hör zu - ich weiß nicht, wie du darauf kommst, aber es war ein Sturm, der …“, begann Rayan, nur um von ihrem Besucher unhöflich unterbrochen zu werden: „Nein! Ihr irrt Euch! Es war die Software, die ich installiert hatte…“ Jassim gab ein ärgerliches Knurren von sich und machte einen Schritt auf den am Boden Knieenden zu - was für eine Frechheit, seinen Herrn einfach zu unterbrechen und ihn dann auch noch in diesem Ton anzureden!
Bevor er den Mann jedoch erreichte, hielt ihn eine Handbewegung Rayans zurück. Der wollte den Ängstlichen nicht noch mehr verschüchtert sehen, sonst würde er vermutlich erst recht herumstottern und die wenigen Worte hatten ihn neugierig gemacht.
„Ganz langsam: Du behauptest, es war gar kein Unfall?“, fragte er lauernd.
„Ja - genau!“, kam es erleichtert, als wäre ihm gerade eine schwere Last von den Schultern gefallen. „Aber ich habe es wieder gut gemacht! Das müsst ihr mir glauben!“ Und bei dieser Aussage hob der junge Mann den Kopf, um Rayans Blick zu suchen. Er wirkte nun weniger ängstlich, eher erleichtert, dass er die Nachricht endlich losgeworden war, aber auch verzweifelt. Rayan dagegen spürte, dass ihm bereits jetzt jegliches Mitleid vergangen war, denn in ihm begann es, gefährlich zu brodeln.