Читать книгу Rayan - Der Stich des Skorpions - Indira Jackson - Страница 19
Anfang September 2015 – München – Eine kleine Lektion
ОглавлениеAls Peter kurz drauf einige Minuten lang abgelenkt war, weil der Gastgeber und zukünftige Bräutigam ihn ebenfalls begrüßte, beugte sich Rayan zu Carina und flüsterte ihr ins Ohr: „Wenn du willst, schaffe ich uns den Kerl vom Hals …“
Als Carina ihn daraufhin entsetzt ansah, fuhr er lächelnd fort: „Keine Angst, ich will ihn nicht umbringen. Wobei … der Gedanke hat seinen Reiz.“ Doch Carina merkte, dass er sie diesmal nur aufzog.
Sie schaute hinüber zu ihrer Freundin Sandra und bemerkte erneut, wie angespannt diese seit Peters auftauchen war. Als erwarte sie jeden Moment, dass dieser sich von „Dr. Jekyll“ in „Mr. Hyde“ verwandelte. Aus nachvollziehbarem Grund war auch die aktuelle Begrüßung zwischen Sandras Exfreund und ihrem zukünftigen Ehemann Joachim eher steif. Es schien also niemand traurig zu sein, wenn Peter wieder verschwinden würde. Was wollte er überhaupt hier? Sie musterte ihn kritisch und musste zugeben, dass sie durchaus verstehen konnte, was Sandra an ihm gefunden hatte. Er konnte - wenn er wollte - charmant sein und bei seinem Lächeln schlug so manches Frauenherz höher. Dann wieder war er einfach nur besserwisserisch und forderte mit seinen Sprüchen jeden heraus.
„Also gut. Was hast du vor?“, traf sie ihre Entscheidung. Rayan grinste kurz und wandte sich dann wieder mit völlig ernster Miene an den Münchner: „Du hattest vorhin mein Auto bewundert. Und deines ist ja auch nicht schlecht, wie du eben berichtet hast. Hier ist es doch ohnehin langweilig – wollen wir beide die Zeit nicht an einem spannenderen Ort verbringen?“
Überrascht fragte Peter: „Und wo soll das sein?“ – „Na hinter dem Lenkrad“, grinste Rayan ihn an: „Wie wäre es mit einem kleinen Rennen?“
Einen derartigen Vorschlag hatte der Münchner noch nie bekommen und nach einigen Überlegungen, wo man die Idee am besten in die Tat umsetzen konnte, machten sich die beiden auf den Weg. „Kommst du mit?“, fragte Rayan Carina galant. Schon aufgrund des skeptischen Blickes von Peter stimmte Carina begeisterter, als sie sich wirklich fühlte, zu.
Als die Drei gemeinsam den Raum verließen, fing Carina den dankbaren Blick von Sandra auf und zwinkerte ihr zu. Lautlos formte Sandra ein „Danke“ und lächelte erleichtert.
Draußen schlich Peter schon um Rayans Auto herum, um dieses von allen Seiten ausgiebig zu bewundern, als dieser sich entschuldigte, er müsse noch kurz telefonieren. Carina vermutete, dass er mit ihren beiden Leibwächtern sprach, die auf der gegenüberliegenden Seite in einem Volvo saßen und mit Engelsgeduld warteten. Anfangs hatte sie sich entsetzt geweigert, diesen Personenschutz anzunehmen, doch Rayan war hart geblieben: wenn sie allein nach München gehen wollte, müsse sie diese Bedingung von ihm akzeptieren. Sie hatte dann klein beigegeben, zu deutlich stand ihr noch das Erlebnis von Anfang Februar hier in München vor Augen, als sie alle beinahe erschossen worden waren. Aber sie hatte ihm abgerungen, dass die Männer sich im Hintergrund hielten und ihr unauffällig folgten, sodass ihre Freundinnen nichts bemerkten.
Bereits eine Minute später war Rayan zurück und nickte den beiden Tarmanen kurz zu. Dann stiegen sie in Rayans roten Aventador LP 750-4 und Peter in seinen silbernen McLaren 675 LT. „Sag bloß, du hast dieses Auto gekauft?“, fragte Carina kopfschüttelnd, als sie auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Es hatte sie ein wenig Mühe gekostet, sich in den Wagen zu zwängen. Offenbar war dieser weniger für Bequemlichkeit gebaut. Erfreut stellte sie fest, dass die Stimmung ihres Partners durch das bevorstehende Ereignis wieder deutlich besser war. Er grinste jetzt wie ein Junge. „Nein“, sagte er vergnügt. „Ich fahre es nur Probe.“ Carina musterte ihn misstrauisch von der Seite. Ein wenig Ahnung hatte sie auch von Autos, und sie bezweifelte, dass der Besitzer eines derart teuren Gefährts „einfach so“ einen Fremden Probe fahren lassen würde. Rayan bemerkte ihren Zweifel und lachte: „Der Aventador gehört einem guten Freund von mir, aber das muss Peter ja nicht wissen, oder?“
Dann nahm er sein Mobiltelefon zu Hand und tätigte noch einen Anruf, der jedoch nur einige Sekunden dauerte. „Ihr bleibt hier. Wir kommen bald zurück“, befahl er in Tarmanisch kurz und legt auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Carina war verwirrt. Wenn das der Anruf für die Leibwächter war, mit wem hatte er dann vorher gesprochen? Aber sie hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn der Fahrstil der beiden Männer wurde ehrgeiziger und rücksichtsloser. „Sag mal, ihr könnt doch wohl nicht wirklich auf einer öffentlichen Straße einfach Rennen fahren? Das war doch sicher ein Scherz von dir, oder?“ Doch sie erhielt keine Antwort und wagte auch nicht darauf zu drängen, um Rayan nicht abzulenken, der sich mehr und mehr auf das Fahren konzentrieren musste. Denn obwohl sie die Bundesstraße 11, die Wolfratshauser Straße noch nicht erreicht hatten, auf der sie ihr Rennen abhalten wollten, schenkte keiner dem anderen etwas. Carina begann zu zweifeln, ob die Idee mitzukommen, wirklich so gut gewesen war.
Aber nun gab es kein Zurück mehr und sie wollte sich weder blamieren, noch das Klischee der ängstlichen Beifahrerin schüren. Also spielte sie tapfer mit. Dann standen sie nebeneinander am Startpunkt und ließen die Motoren heulen. Als die Ampel auf Grün sprang, rasten beide los. Carina konnte nicht glauben, dass dies wirklich passierte. Tausende von Dingen gingen ihr durch den Kopf, die alle mit „wenn …“ und „aber …“ anfingen. Doch sie verbiss sich jeglichen Kommentar und konzentrierte sich darauf, nicht vor Angst zu schreien.
Die ersten Kilometer nahmen sich die beiden sportlichen Autos nichts, doch dann kam ein Auto entgegen und Peter musste hinter Rayan einscheren. Was dieser ausnutzte, um einen kleinen Vorsprung herauszufahren. Carina mochte nicht darüber nachdenken, mit welcher Geschwindigkeit sie fuhren und vermied den Blick auf den Tacho bewusst. Dann war Peter wieder auf der anderen Spur, doch es gelang ihm nicht, näher heranzukommen.
Bis Rayan auf einmal leicht abbremste. Peter schoss vorbei und scherte vor ihnen ein, um zu verhindern, dass Rayan wieder nach vorne kam. Er war so selbstzufrieden, dass er die blinkenden Lichter einige hundert Meter weiter vorne erst bemerkte, als sie die Straßensperre bereits fast erreicht hatten. Mit Mühe gelang es ihm anzuhalten, während Rayan einige Sekunden später elegant zum Stehen kam. Kurz darauf waren beide Wagen von wütend dreinblickenden Beamten der Münchner Verkehrspolizei umringt.
Carinas Herz schlug in ihrem Hals und sie war sich nicht sicher, ob sie erleichtert sein sollte, dass das kindische Rennen nun beendet war, und sie unverletzt geblieben waren, oder ob sie sich Sorgen machen sollte. Würde sie selbst nun – quasi als Mittäter – auch verhaftet werden? Und was würde mit Rayan passieren?
Der war mit undeutbarer Miene ganz entspannt einfach sitzen geblieben. Er wirkte weder besorgt, noch sonderlich überrascht. Als sich eine Beamtin in Uniform näherte, ließ er das Fenster herunter.
„Ihre Papiere bitte“, forderte die Polizistin ruhig auf Deutsch. Lächelnd kam der Scheich der Aufforderung nach.
Wortlos warf sie den Unterlagen einen kurzen Blick zu, dann drehte sie sich zu ihren Kollegen um und rief laut: „Wir haben hier einen Diplomatenpass, da können wir nichts machen.“
Woraufhin einer der Männer, an dessen Anzahl Sterne auf seinen Schultern man erkennen konnte, dass er hier das Sagen hatte, neugierig näherkam. Er studierte den Ausweis sorgfältig und sagte dann sichtlich enttäuscht: „Es stimmt tatsächlich, das übersteigt unsere Kompetenz. Er kann fahren.“ An Rayan gewendet sagte er: „Aber tun Sie uns einen Gefallen und fahren jetzt gemäß den Vorschriften. Wir haben hier schließlich öffentlichen Straßenverkehr und keine Rennstrecke vor uns!“ Dann drückte er die Papiere der Beamtin wieder in die Hand und drehte sich um. Dabei murmelte er etwas wie: „Dafür haben wir ja den anderen, der kommt uns nicht davon.“
Als die Frau in Uniform den Ausweis durch das Fenster zurück ins Innere reichte, lächelte sie einen Moment lang breit. „Du bist auf dem Foto aber nicht gut getroffen.“ Zu Carinas Überraschung sprach sie Arabisch. Auch Rayan grinste jetzt spitzbübisch: „Danke! Das hast du wirklich toll gemacht.“
Als die Polizistin vom Fenster zurücktrat und sich umwandte, um zu ihren Kollegen zurückzukehren, war ihr Gesicht wieder völlig ausdruckslos.
Fröhlich fuhr Rayan langsam an den Polizeiautos vorbei. Sie passierten dabei auch Peter, der neben seinem Auto stand und in eine heftige Diskussion mit den Beamten verwickelt war. Als er bemerkte, dass der Lamborghini im Gegensatz zu ihm ungehindert fahren durfte, entglitten ihm die Gesichtszüge. Sprachlos starrte er ihnen hinterher.
Carina begann, laut zu lachen. „Du bist sowas von hinterhältig! Du hast gewusst, dass sie uns hier aufhalten werden, nicht wahr?“
Auch Rayan stimmte nun in ihr Lachen ein. „Den sind wir erst einmal los. Hab ich dir doch versprochen, nicht?“
Ein wenig später hatte sich Carina wieder gefangen. Dann fragte sie: „Du kennst die Beamtin und hast sie angerufen und vorgewarnt, nicht wahr?“
Rayan nickte ruhig, aber er sagte nichts weiter. Er erklärte Carina nicht, dass es Miriam Abdullah gewesen war, die Frau, die für ihn übersetzt hatte, als er einige Monate zuvor, nach dem Anschlag auf ihr Leben, alleine in München zurückgeblieben war.
Aber das brauchte er auch nicht. Carina hatte bereits in der Vergangenheit ihre weibliche Intuition bewiesen und auch diesmal spürte sie die Verbindung, die die beiden hatten, oder zumindest gehabt hatten und fühlte Eifersucht in sich aufsteigen. Denn sie wusste, dass sie eben eine der vielen Frauen getroffen hatte, mit denen Rayan geschlafen hatte. An diesen Punkt in ihrer Beziehung würde sie sich nie gewöhnen: dass er ihr niemals ganz gehören würde. Auch wenn für ihn diese kurzen Affären bedeutungslos waren, für Carina war es ein Stich ins Herz.