Читать книгу Rayan - Der Stich des Skorpions - Indira Jackson - Страница 7
Anfang August 2015 - Alessia: Hummers Haus - Eine besondere Form der Gnade
ОглавлениеJassim ließ sich mittlerweile kaum noch zurückhalten, diese Unverschämtheit des Burschen, ihren Herrn direkt anzusehen, brachte ihn in Rage.
„Ich habe Euren Freunden geholfen! Sie wollen die Hintermänner stellen …“
Irgendwo ganz tief unten begann eine Ahnung in Rayan aufzusteigen und er fragte nun misstrauisch: „Welche Freunde?“, sein Tonfall war kühler geworden.
„Ich kenne ihre Namen nicht, Herr. Aber sie sind nicht von hier. Einer ist Asiat, der Zweite riesig und muskelbepackt …“ Er wollte noch mehr sagen, doch Rayan brachte ihn zum Schweigen: „Schon gut. Ich weiß, wen du meinst. Wie ist dein Name?“
„Ich heiße Adnan und habe als Techniker am Flughafen gearbeitet …“
Rayans Gesicht war starr geworden, und selbst Jassim hatte alle Gedanken an Etikette inzwischen verworfen. Hier gab es wichtigere Entwicklungen! Der Scheich zog sein Handy hervor und wählte eine Nummer. Bereits nach dem zweiten Klingeln meldete sich eine fröhliche Stimme auf Englisch: „Hey Guy, what’s up?“ Rayan ging nicht auf den scherzhaften Tonfall seines Freundes Cho ein und antwortete ohne Einleitung: „Ein Junge namens Adnan behauptet, er habe mich und das Flugzeug auf dem Gewissen - stimmt das?“
Auf einmal war es mehrere Sekunden lang völlig still in der Leitung. Dann folgte ein Fluch: „Dieser verdammte Idiot! Ich habe ihm gesagt, er soll sich irgendwo verkriechen und neu anfangen.“
Rayans Blick war eisig geworden. Denn dieser eine Satz war sowohl eine Bestätigung der Absturzursache als auch der Schuld des Flughafentechnikers. Gefährlich leise fragte er: „Und ist es korrekt, dass er euch geholfen hat?“
Cho antwortete nun vorsichtiger, er hatte die Stimmung seines Freundes bemerkt und wusste, dass Gefahr drohte. „Ja, das stimmt. Ohne ihn wären wir echt nicht weiter gekommen.“ Sein Tonfall wurde fast flehentlich, als er fortfuhr: „Hör zu Yasin. Er ist ein dummer Junge, der einen Fehler gemacht hat. Er ist naiv und noch viel zu jung! Bitte …“ Doch in diesem Moment hatte Rayan das Gespräch bereits unterbrochen. Kurz ging es ihm durch den Kopf, dass er Cho nicht einmal gefragt hatte, warum er über diese wichtige Entwicklung nicht informiert worden war, doch das würde er später mit Cho und Hummer klären. Jetzt würde er sich erst einmal um diesen feigen Verräter kümmern.
Seine sonst so strahlend blauen Augen waren dunkel geworden. Jassims kompletter Körper war nun angespannt. Er kannte seinen Herrn und wusste, dass etwas Entscheidendes passieren würde. Es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dem Scheich dabei nichts passierte. Und so verfolgte er jede Bewegung seines Anführers nun mit Argusaugen.
„Nun Adnan“, sagte Rayan kalt. „Mein Freund … “, dabei betonte er das zweite Wort so, dass Jassim seinen Ärger auf den japanischen Amerikaner bemerkte, „ … hat deine Geschichte bestätigt. Warum hast du diesen Verrat begangen? Hast du Geld dafür genommen?“
Die Veränderung in der Haltung des Scheichs war auch Adnan nicht entgangen. Einen Moment lang zweifelte er, ob es nicht doch besser gewesen wäre, Alessia hinter sich zu lassen. Vorsichtig antwortet er: „Ja Herr, anfangs schon. Aber als ich erfahren habe, dass es um Euer Flugzeug geht, habe ich mich geweigert und wollte es zurückbezahlen! Ich schwöre!“ Er sprach jetzt hektisch und das Zittern war in seine Stimme zurückgekehrt.
„Und? Warum hast du es dann trotzdem gemacht?“, fragte Rayan mühsam beherrscht. Jassim sah, dass sein Herr kurz davor stand, zu explodieren und trat noch einen Schritt näher heran.
„Sie haben mich bedroht! Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Außerdem haben sie mir gesagt, dass es lediglich um ein Aufzeichnen der Flugdaten geht … Niemand sagte mir, dass ihr an Bord sein würdet …“ Seine Stimme brach ab, als würde er erst jetzt verstehen, wie dumm diese Erklärung klang.
„Ach so, wenn sie über diese Software den genauen Standort von Zarifa und vor allem der Landebahn gefunden hätten, wäre der Verrat weniger groß gewesen. Ist es das, was du mir gerade als Entschuldigung sagen willst?“, entgegnete Rayan. Seine Stimme triefte vor Sarkasmus.
Noch immer hielt er sich zurück, als er fragte: „Und warum kommst du nun hierher, anstatt dem Rat meines Freundes zu folgen? Was erhoffst du dir von mir?“
Adnans Stimme überschlug sich: „Ich konnte es nicht mehr ertragen! Hinter jedem Baum und jeder Hausecke sah ich Schatten lauern. Seit Wochen kann ich nicht mehr richtig schlafen. Man sagt, dass Ihr gerecht seid, mein Herr. Deshalb erhoffe ich mir Gnade von Euch …“
Rayan, der bis zu diesem Zeitpunkt noch immer auf der Sitzgelegenheit im Pavillon gesessen hatte, war aufgestanden. Das veranlasste Jassim dazu, seinen Männern ein Zeichen zu geben, nun besonders achtsam zu sein. Dieser Adnan hatte schließlich selbst gestanden, ein Verräter zu sein, wer weiß, ob er nicht gekommen war, um seinen Auftrag zu Ende zu führen.
Der Scheich blieb neben dem Jungen stehen.
„So? Gnade?“ Mit diesen Worten riss er Adnan so plötzlich mit der rechten Hand an den Haaren nach oben, dass dieser vor Schmerz laut aufschrie. Seine panisch geweiteten Augen richteten sich auf den Tarmanenführer.
Mit vor Wut zitternder Stimme zischte Rayan: „In diesem Flugzeug, sind drei meiner Männer gestorben. Und dass meine Frau mit meinem ungeborenen Kind überlebt hat, ist wohl kaum DIR zu verdanken - von mir ganz zu schweigen. Ich sollte dich für diesen Verrat so lange auspeitschen lassen, bis deine Haut sich vom Körper löst!“ Er umklammerte mit der Linken nun seinen Hals und ließ stattdessen die Rechte nach unten sinken. Jassim kannte diese Bewegung und wusste, was folgen würde.
Rayan betrachtete Adnan einen Moment lang wie ein Insekt - voller Ekel und Hass - und fuhr dann ätzend fort: „ Du willst Gnade von mir? Die sollst du bekommen: Weil du dich freiwillig bei mir gemeldet hast, werde ich dir statt eines qualvollen, langsamen Todes einen Schnellen verschaffen.“
Bei den letzten Worten brachte er so abrupt seine Hand wieder nach oben, dass der unglückliche Flugtechniker nur noch ein silbernes Blitzen sah, und nicht einmal mehr das Messer erkannte, das ihm den Hals durchbohrte.
Der Scheich hielt den Blickkontakt mit seinem Opfer, bis die Augen des Sterbenden brachen. Dann zog er den Dolch wieder heraus und ließ den Leichnam achtlos zu Boden fallen.
Er wandte sich an Jassim: „Sag Jamal, er soll ihn wegschaffen. Und sorg dafür, dass ich morgen den Mittagflug von München nach Charlotte erreiche!“
Damit drehte er sich um und erstarrte. Wenige Meter vom Pavillon entfernt stand Carina. Ihr geschockter Ausdruck, die Hand vor dem Mund verkrampft beantwortete die Frage, wie viel sie gesehen hatte. Eine Sekunde trafen sich ihre Blicke, doch sie sah ihn an wie einen Fremden. Dann drehte sie sich um und hastete davon.
Rayan fluchte. „Was macht sie hier? Wofür habe ich eigentlich Wachtposten? Damit meine Frau solchen Szenen ungehindert beiwohnen kann? Das hat noch ein Nachspiel!“
Er wollte Carina nacheilen, als Jassims Stimme ihn aufhielt: „Herr! Ihr solltet euch erst reinigen, bevor ihr zu ihr geht …“
Unwirsch sah Rayan an sich herunter und musste Jassim recht geben: das Blut des unglücklichen Flugzeugtechnikers haftete an seinem Gewand und auch seine Hände bedurften einer Reinigung. Kein schöner Anblick. Er fluchte erneut und verschwand wortlos in Richtung seiner Gemächer.
Jassim sah seinem Herrn mit einem Stirnrunzeln nach. Wie dieser da soeben gestanden und ohne jegliche Gewissensbisse ein Leben beendet hatte, das flößte selbst dem hartgesottenen Leibwächter ein wenig Angst ein. Er wollte niemals diesen Mann als Gegner haben! Und die beiden Amerikaner - Cho und Hummer - die beneidete er auch nicht. Auch die würden sich warm anzuziehen haben, wenn der Scheich morgen Nachmittag dort eintraf. Nachdem sie diese Flugverbindung öfter einmal verwendeten, wusste er, dass der Flug selbst zwar etwas mehr als zehn Stunden dauerte, aufgrund der sechs Stunden Zeitverschiebung die Ankunft aber trotzdem noch am gleichen Nachmittag erfolgen würde.
Er machte sich daran, den Learjet auftanken zulassen, damit sie morgen rechtzeitig in München eintreffen konnten, um den Liniendirektflug nach Amerika zu erreichen.
Danach würde er sich mit dem Anführer der Leibgarde treffen, um gemeinsam zu überlegen, wie mit Carinas Hereinplatzen umzugehen war. Ihr Herr machte nie leere Drohungen. Also war die Frage, wen das angekündigte „Nachspiel“ treffen würde und in welcher Form eine Strafe verhängt werden würde. Ende Juni 2015 – Zarifa: Bergwelt – Ein überraschendes Treffen
Aleser sah sich mehrfach um, als er aus der Stadt ritt. Er wollte sicher sein, dass ihm niemand folgte. Seitdem er vor wenigen Wochen aus der Gruppe der Krieger offiziell ausgeschieden war, nutzte er jede freie Minute für diese Art von „Ausflügen“.
Drei Stunden später kam er an seinem üblichen Lagerplatz an. Er baute zunächst sein kleines Zelt auf und bereitete das Feuerholz für den Abend vor. Wenn er sich mit den Vorbereitungen beeilte, würde er vielleicht noch eine halbe Stunde trainieren können, bevor der Abend fiel und es zu dunkel werden würde.
Und tatsächlich, die Arbeiten gingen ihm schnell von der Hand. Mit zitternden Fingern entnahm er anschließend die Waffe aus dem Lederbeutel, in der er sie verborgen hielt. Liebevoll streichelte er über das gut gepflegte Holz und das fleckenlos polierte Metall. Ihm war klar, dass er gewaltigen Ärger bekommen würde, wenn er mit der Armbrust erwischt werden würde. Er war freiwillig ausgeschieden, also war ihm das Tragen einer Waffe nun verboten. Aber dieses Risiko war er bereit einzugehen. Er brauchte dieses Training wie die Luft zum Atmen.
Er spannte die Pfeile ein, visierte und schoss sie auf den mit Stroh gefüllten Sack, den er sich als Ziel aufgehängt hatte. Alle drei fanden mühelos ihr Ziel. Aber nicht genau in der Mitte, so wie der Junge es sich erhofft hatte. Es ärgerte den 18-Jährigen, dass er für sein Alter recht klein war, umso mehr war es ihm wichtig gewesen, zu beweisen, dass er es verstand mit der Armbrust umzugehen. Bereits nach kurzem Training hatte er alle anderen in seiner Gruppe überflügelt. Umso schwerer war ihm der Abschied gefallen.
„Nicht schlecht, aber deine Füße sind dir im Weg, du stehst falsch“, vernahm er plötzlich eine leise Stimme so nahe hinter sich, dass sein Herz vor Schreck einen Moment lang aussetzte. Erstarrt blieb er stehen und überlegte, was er nun tun sollte. Wer trieb sich in diesem einsamen Teil des Gebirges herum? Oder war ihm jemand gefolgt? Nein, ausgeschlossen, das hätte er bemerkt. Er kam zu dem Schluss, dass der Mann hinter ihm sehr wahrscheinlich genauso viel zu verbergen hatte, wie er. Konnte es sein, dass sich hier in den Bergen Halunken versteckten? Alle Pfeile aus seiner Armbrust waren verschossen, der Gauner hatte lange genug gewartet, bis er quasi unbewaffnet war. Alles, was er tun konnte, wäre die Armbrust als Schlaginstrument zu verwenden. „Was für ein Unsinn!“, schalt er sich selbst. Er wäre viel zu langsam. Ihm fiel das Messer an seinem Gürtel ein. Konnte er es erreichen?
„Mach keinen Blödsinn, Junge. Ich könnte dich töten, bevor du deine Hand auch nur am Griff des Messers hättest. Keine Sorge! Ich bin nicht hier, um zu kämpfen. Lass uns ins Lager gehen, es ist schon spät und die Dunkelheit bricht nun schnell herein. Wir wollen uns schließlich nicht die Füße brechen.“
Aleser nahm all seinen Mut zusammen: „Ich gehe mit dir nirgendwo hin, Halunke. Wer hier so einsam in der Gegend herumschleicht, der kann nichts Gutes im Schilde führen. Aber ich muss dich enttäuschen, auch in meinem Lager habe ich nichts von Wert. Ich bin ein einfacher Bäcker, ich backe Brot. Davon wird man nicht reich.“
Der Mann hinter ihm lachte leise. „Wie ich gehört habe, ist dein Brot nicht einmal schlecht, Aleser.“
„Du kennst mich?“ Aleser drehte sich ruckartig um. Doch es war bereits zu dunkel, als dass er das Gesicht des Mannes hätte erkennen können. Vor allem, weil dieser das Tuch seines Turbans, das bei Wüstenritten vor dem Sand schützen sollte, vor das Gesicht gezogen hatte. Auch dessen Robe verriet ihm nichts, denn er hatte einen dunkelgrauen Umhang übergezogen. Vermutlich um in den Felsen weniger erkennbar zu sein. Der Junge grinste kurz, hatte er doch gleich gewusst, dass dieser Mann auch etwas zu verbergen hatte.
Aber er sah ein, dass sie tatsächlich gehen mussten. Das Lager war nur zwei Minuten entfernt, aber der Weg dorthin war steinig. Es war zu gefährlich bei Dunkelheit, wollte man nicht riskieren, sich die Beine zu verstauchen oder gar das Genick zu brechen.
Wortlos drehte er sich um, holte seine Pfeile aus dem Strohsack und ging voran ins Lager.
Dort angekommen staunte er nicht schlecht: Der Fremde hatte sein Pferd neben dem seinen angebunden und ebenfalls ein kleines Zelt für sich aufgebaut.
„Was fällt dir ein?“, begann er entrüstet, doch der Unbekannte ließ sich nicht beirren. „Los, mach das Feuer an“, befahl er ungerührt. Etwas in seiner Stimme hielt Aleser von weiteren Protesten ab. Er musste ohnehin nur noch die Flamme entzünden. Es war ein warmer Tag gewesen, das Holz war trocken, und so dauerte es nur zwei Minuten, bis das Feuer heimelig brannte.
„Und was machen wir nun?“, fragte er den Fremden mit genervtem Unterton. „Essen?“, kam prompt die Antwort. „Ich nehme an, du hast etwas von deinem selbst gebackenen Brot mitgebracht. Das würde ich gerne probieren.“ „Ja klar, sonst noch Wünsche Eure Hoheit?“, fragte Aleser ätzend. Seine Stimme triefte vor Ironie: „Kann ich Euch sonst noch mit etwas behilflich sein?“ Sein Gegenüber lachte leise. „Nein, für den Moment wäre das alles. Na los, jetzt setzt dich schon zu mir.“
Wütend holte Aleser den Leinensack mit Brot, den er natürlich für seine eigene Verpflegung mitgebracht hatte aus seinem Zelt. Als er zum Feuer zurückkehrte, überlegte er eine Sekunde lang, ob er sich nun auf den Fremden stürzen sollte. Er hatte noch immer sein Messer am Gürtel … Doch eine innere Stimme warnte ihn. Er ahnte, dass er einen erfahrenen Krieger vor sich hatte, der ihn, wenn er es gewollte hätte, schon lange erledigt hätte. Aber was wollte er dann? Aleser wurde neugierig. Er sah, dass der Mann es sich auf einem flachen Stein am Feuer bequem gemacht hatte. Die Nacht war warm und das Feuer strahlte zusätzliche Hitze ab. Daher legte der andere gerade seinen grauen Umhang ab, als Aleser sich näherte. Er nahm sich vor, die Gelegenheit zu nutzen, wenn er ihm das Brot reichte, sein Gegenüber genau zu mustern. Vielleicht kannte er ihn ja? Nachdem er Tarmanisch sprach, musste es einer der Krieger ihres Stammes sein. Soviel war ihm inzwischen klar geworden. Er wollte ihn gerade darauf ansprechen, als ihm das Wort im Hals stecken blieb. Natürlich kannte er den Mann, der da im Flammenschein an seinem Feuer saß. Und wie er ihn kannte! Wer nicht?
„Ihr, Herr?!“, stammelte er entsetzt, denn vor ihm saß der Scheich höchstpersönlich. „Verzeiht mir Herr, ich habe Euch nicht erkannt …“, seine Stimme versagte dem Jungen. Er fiel vor seinem Herrn auf die Knie. Nur zu deutlich wurde ihm bewusst, wie unverschämt er vorhin mit ihm gesprochen hatte. Was sollte er nun tun?
Doch Rayan lachte wieder leise. „Das habe ich gemerkt. Na komm schon, jetzt setzt dich endlich hin, lass uns essen. Noch einmal möchte ich mich nicht wiederholen.“
Der junge Tarmane erhob sich. Bevor Aleser jedoch der Aufforderung sich hinzusetzen, nachkam, verneigte er sich abermals tief vor seinem Scheich. Dann setzte er sich völlig angespannt auf den Platz neben seinem Herrn, den dieser ihm vorhin zugewiesen hatte.
Seine Gedanken überschlugen sich. Sollte er etwas sagen? Sich nochmals entschuldigen? Aber dann beschloss er, einfach weiter zu schweigen. Er war zu dem Schluss gekommen, dass er ohnehin nichts mehr an den Worten ändern konnte, die er vorher gesagt hatte. Wenn sein Herr es ihm verübelte und dafür bestrafen wollte, würde er es früh genug erfahren.
Aber andererseits schien dieser Humor zu haben, denn das Lachen hatte ehrlich amüsiert geklungen. Nun war ihm auch klar, warum. Aleser konnte nicht umhin zu vermuten, dass Rayan die Situation vorhin genossen hatte. Zumindest hoffte der Junge dies. Eine Weile aßen beide schweigend. Mit Bedauern wurde Aleser bewusst, dass er morgen bereits würde zurückreiten müssen, wenn er abends nicht hungern wollte, denn seine Vorräte waren für eine Person gedacht gewesen. Eigentlich hatte er den morgigen Tag mit dem Training verbringen und erst am Morgen danach zurückreiten wollen. Dann fiel ihm siedend heiß ein, dass der Scheich ihn dabei gesehen hatte: wie er mit seiner Armbrust trainierte! Sein Herzschlag beschleunigte sich erneut – er war erledigt! Aber wieso sollte sich ihr oberster Anführer um einen einzelnen Bäckerjungen kümmern? War es Zufall, dass er ihn überrascht hatte? Vielleicht führte ihn ein ganz anderer Grund in diese Gegend? Zufall oder Schicksal? Wäre möglich, dass alles nur eine unglückliche Fügung war?
Aleser nahm all seinen Mut zusammen und brach das Schweigen: „Ihr habt gesehen, Herr, was mich hierher in diese Einöde führt – darf ich Euch fragen, was Ihr hier zu finden hofft?“
Rayan ließ sich Zeit mit der Antwort, und der Junge dachte schon, er habe seine Frage nicht gehört oder sich entschlossen, sie zu ignorieren. „Du bist mutig mein Junge. Nicht viele würden sich trauen, mich nach meinen Beweggründen zu fragen. Ich muss dich enttäuschen. Ich habe nicht vor, dir den Grund meines Hierseins mitzuteilen.“ Als er merkte, dass Aleser bei dieser Abfuhr die Schamesröte ins Gesicht fuhr, lächelte er sanft und fügte etwas versöhnlicher hinzu: „Jetzt jedenfalls noch nicht. Später vielleicht.“
Unvermittelt wechselte er das Thema: „Dein Brot ist gut. Aber ehrlich gesagt habe ich schon Besseres gegessen.“ Wieder bekam Aleser vor Scham rote Ohren, aber ein wenig ärgerte ihn die Aussage auch. Er überlegte, ob er etwas entgegnen sollte, als der Scheich von sich aus fortfuhr: „Warum willst du Bäcker werden?“ Erstaunt über die Frage, überlegte der Junge einen Moment, bevor er antwortete: „Weil mein Vater Bäcker ist?“, doch es klang mehr wie eine Frage, als eine Antwort. „Es war also dein Wunsch in die Fußstapfen deines Vaters zu treten?“ Es war eine rhetorische Frage, denn ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr Rayan fort: „Eine schöne Sache. Bäcker ist ein ehrbarer Beruf. Die Krieger müssen schließlich auch essen, und wie sollten sie stark für den Kampf bleiben, wenn nicht für ihr leibliches Wohl gesorgt ist …“
Aleser wusste nicht, wie er reagieren sollte. Langsam wurde ihm die Geschichte unheimlich. Machte sich ihr Scheich über ihn lustig? Hatte er eine seltsame Art von Humor, mit dem er ihn quälte? Oder wusste er wirklich nichts von Alesers Vergangenheit? Einige Minuten lang kreisten seine Gedanken um die Worte seines Herrn, dann wurde ihm klar, dass es nur Absicht gewesen sein konnte, dass der Scheich die Krieger erwähnt hatte. Überhaupt fragte er sich langsam, ob das ganze Treffen wirklich zufällig erfolgt war? Er entschloss sich, den Stier bei den Hörnern zu packen und seine Geschichte von sich aus anzusprechen: „Ich hatte eine Wahl, und ich habe die richtige Entscheidung getroffen. Jetzt muss ich damit leben.“
„Indem du jede freie Minute in die Wildnis schleichst, um zu trainieren?“, fragte Rayan ernst und fuhr fort: „Dir ist bekannt, welche Strafe darauf steht, wenn dich jemand dabei erwischt?“ „Ja“, antwortete der Junge trotzig. Er überlegte gerade, ob die Art, wie der Scheich den Satz formuliert hatte, bedeutete, dass er ihn nicht verraten würde?, als dieser fortfuhr: „Stimmt es eigentlich, dass du deshalb ausgeschieden bist, weil du zu feige warst, die dir auferlegte Strafe anzunehmen?“ Er hatte die Frage bewusst herausfordernd gestellt.
Wütend sprang Aleser auf: „Was? Wer sagt das?“, verlangte er zu wissen.
„Ruhig mein Junge! Vergiss nicht, mit wem du sprichst!“ Rayans Stimme war scharf geworden.