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Arbeitseinsatzbefehle

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Im Gegensatz zu Frankreich zog das im Reichssicherheitshauptamt am 11. Juni 1942 beschlossene Programm in Belgien zunächst keine Massenrazzia nach sich. Stattdessen versuchten die Besatzungsbehörden – wie in den Niederlanden –, die Juden mithilfe individueller Vorladungen in ihre Gewalt zu bekommen, und dabei bezogen sie die 1941 vom Militärbefehlshaber gegründete Zwangsvereinigung der Juden ein. Mitte Juli 1942 brachte SS-Obersturmführer Anton Burger – kurzfristig nach Belgien abgesandter Mitarbeiter Eichmanns, ab 1943 mitverantwortlich für die Deportation der Juden aus Griechenland und Lagerkommandant von Theresienstadt – die AJB mit massiven Drohungen und falschen Versprechungen dazu, beim „Arbeitseinsatz“ von 10 000 Juden aus Belgien in Deutschland mitzuwirken – tatsächlich handelte es sich um den Beginn der Deportation nach Auschwitz. Mitarbeiter der AJB legten ein neues Judenregister an, und sie stellten die vom Judenreferat des BdS ausgefertigten „Arbeitseinsatzbefehle“ zur Vorladung in das Lager Malines persönlich zu115.

Waren die Vorladungen von Ehlers unterzeichnet, so gab der Briefkopf (Militärbefehlshaber // Militärverwaltungschef // B.d.S. Abt. II) das Unterstellungsverhältnis des Judenreferats korrekt und wie üblich an116. Zu den Planungen, die dem Entwurf der Arbeitseinsatzbefehle vorausgingen, sind keinerlei Quellen überliefert. Gleichwohl wird man davon ausgehen müssen, dass die Militärverwaltung hieran beteiligt war, zumal der Aufruf der Juden zum „Arbeitseinsatz“ – im Gegensatz zu Massenverhaftungen – nur allzu gut Reeders Generallinie entsprach, die Juden möglichst unauffällig zu verfolgen und auch bei der Deportation jedes Aufsehen zu vermeiden.

Ende Juli 1942 wurden in Malines die ersten Juden interniert. Am 4. August fuhr der erste Zug mit 998 Frauen, Männern und Kindern nach Auschwitz. Wenige Tage später meldete der Brüsseler Vertreter des Auswärtigen Amts, von Bargen, nach Berlin: „Nach Angabe des hiesigen Sicherheitsdienstes ist die Aktion bisher reibungslos verlaufen. Die vorgesehene Zahl von 10 000 Personen kann ohne Schwierigkeiten erreicht werden.“117 Diese Einschätzung sollte sich als zu optimistisch erweisen. Denn bereits Ende Juli wurden die Deutschen mit der massenhaften Weigerung der Juden konfrontiert, den Vorladungen nachzukommen, obwohl den Adressaten bei Zuwiderhandlung die Einweisung in ein deutsches Konzentrationslager angedroht wurde. Die Sipo-SD hielt in ihrem Bericht an das RSHA vom 15. August 1942 zwar noch fest, dass sie die „Aktion […] bisher reibungslos und ohne nennenswerte Störungen“ durchgeführt habe, sie wies jedoch zugleich auf die Gegenwehr der Juden hin:

„Übereinstimmend wird aus allen Teilen des Landes gemeldet, dass die Juden unter Ausnutzung aller Mittel und Möglichkeiten versuchten, die Befehle zum Arbeitseinsatz zu umgehen. […] Während in den ersten Tagen ein größerer Teil der Juden dem Arbeitseinsatzbefehl keine Folge leistete und zu dem angegebenen Termin nicht in Mechelen erschien, ist in jüngster Zeit festzustellen, dass die Gestellungsbefehle besser befolgt werden. Beigetragen haben dürften hierzu vor allen Dingen die Maßnahmen der Dienststelle gegen Säumige und deren Angehörige.“118

Es liegen keine Informationen darüber vor, welche Repressalien das Judenreferat einleitete. Fakt ist jedoch, dass die Furcht, die eigene Familie den deutschen Verfolgungsmaßnahmen auszusetzen, manche dazu bewog, der Vorladung des BdS Folge zu leisten119. Dass die Sipo-SD den AJB-Vorstand dazu bewegen konnte, die Arbeitseinsatzbefehle ab Anfang August mit einem Begleitschreiben zu versehen, in dem vor den Konsequenzen einer Weigerung gewarnt wurde, dürfte hierzu beigetragen haben. Gleichwohl nahm die Zahl der Widerständigen stetig zu. Während das Judenreferat zwischen dem 25. Juli und dem 3. September 1942 mindestens 12 000 Befehle ausstellte und verteilen ließ, fanden sich höchstens 4023 Juden selbst in Malines ein; wahrscheinlich waren es noch weniger120. Hinzu kamen Akte organisierter Résistance. Zumindest im Einzelfall wurden die mit der Verteilung der Vorladungen beauftragten Juden auf offener Straße von anderen Juden angegriffen121. Ende August 1942 verübten jüdische Partisanen, die bereits im Vormonat einen Brandanschlag auf das von der AJB angelegte Namensregister ausgeführt hatten, ein Attentat, dem der für den „Arbeitseinsatz“ zuständige Mitarbeiter der AJB-Verwaltung zum Opfer fiel122.

Doch es war der individuelle Widerstand der vorgeladenen Juden, der die Besatzungsbehörden dazu zwang, ihr Vorgehen zu verschärfen, wollten sie das geplante Programm in die Tat umsetzen und bis zum 15. September 1942123 insgesamt 10 000 Juden aus Belgien nach Auschwitz deportieren. Zwischen Mitte August und Mitte September 1942 organisierte das Judenreferat der Sipo-SD sechs Großrazzien gegen die ausländische jüdische Bevölkerung in Belgien, davon vier in Antwerpen. Sowohl in Antwerpen als auch in Brüssel versuchte die Sipo-SD, die belgische Polizei zur Mitwirkung bei der Massenverhaftung jüdischer Frauen, Kinder und Männer heranzuziehen.

Die Shoah in Belgien

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