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Die Antwerpener Razzia vom 11. / 12. September

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Mehr als zwei Drittel der Juden im Transport Nr. IX vom 12. September hatte die Sicherheitspolizei nicht in Brüssel, sondern bei der vierten großen Razzia in Antwerpen in ihre Gewalt gebracht. Am Jüdischen Neujahrsfest, dem 11. September 1942, eingeleitet, dauerte diese Razzia bis zum Nachmittag des folgenden Tages. Insgesamt wurden 745 Frauen, Männer und Kinder verhaftet, die die Lagerverwaltung Malines für den IX. und X. Transport registrierte137.

Im Gegensatz zu den vorangegangen Razzien erstreckten sich die Festnahmen über einen längeren Zeitraum einschließlich der Tagesstunden. Sie beschränkten sich nicht auf die Wohnungen der jüdischen Bevölkerung, sondern wurden auf öffentliche Einrichtungen und die Straßen ausgeweitet, wo erstmals am hellichten Tag in großer Zahl ausländische Juden ergriffen wurden. So suchten SS-Oberscharführer Holm und seine Gehilfen die Büros und die Suppenküche der AJB heim, um alle Anwesenden festzunehmen, die nicht die belgische Staatsangehörigkeit besaßen. Am Sitz des Antwerpener Arbeitsamts bemächtigten sie sich der Familienangehörigen, die die zum letzten Transport in die nordfranzösischen OT-Lager vorgeladenen jüdischen Zwangsarbeiter begleiteten. Die angewandten Techniken unterschieden sich deutlich von den früheren Razzien, bei denen die deutsche bzw. die belgische Polizei die von Juden bewohnten Quartiere am Abend abgeriegelt und die Opfer aus ihren Wohnungen geholt hatte. Maxime Steinberg wertet die Festnahmeoperationen des 11. und 12. September als Übergang von einer ersten Phase der Großrazzien (Sommer 1942) zu einer zweiten Phase der Menschenjagd (ab Herbst 1942), in der die Sipo-SD zu Einzelfestnahmen gezwungen war, weil die ausländischen Juden spätestens nach der vierten Antwerpener Razzia in den Untergrund gingen. Wie die von der Forschung bisher nicht berücksichtigten Meldungen des BdS belegen, registrierten die Deutschen bereits Ende August 1942, dass die Juden „laufend“ versuchten, für die Übernachtung außerhalb ihrer Wohnung eine Unterkunft bei nicht-jüdischen Belgiern zu finden138. Demnach war möglicherweise schon das Vorgehen am 11. / 12. September, als die deutsche Sicherheitspolizei Straßen und Lokale auf der Suche nach Juden durchkämmte, eine Reaktion auf die Überlebensstrategien der jüdischen Bevölkerung.

Die Frage der verfügbaren Exekutivkräfte dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Zwar sind kaum Angaben dazu überliefert, welche Einheiten die Razzia durchführten. Doch war die Antwerpener Polizei diesmal offenbar nur marginal involviert139. Vor allem stellte sie kein größeres Kontingent zur Verhaftung der Juden. Weshalb nicht? Nachdem die Antwerpener Polizei im August dreimal mehr als 50 Beamte eingesetzt und bei der selbständig durchgeführten dritten Razzia sogar mehr als die von deutscher Seite verlangten tausend Juden festgenommen hatte, ist davon auszugehen, dass die Sipo-SD auch die vierte Razzia in die Hände der belgischen Polizei gelegt oder zumindest in großem Umfang einheimische Polizisten zur Mitwirkung herangezogen hätte, wenn diese Möglichkeit bestanden hätte. Außerdem ist auffällig, dass die Sipo-SD auch bei der darauffolgenden Verhaftungswelle fast vollständig auf die Antwerpener Polizei verzichtete. Etwa ab dem 21. September 1942 nutzte das Judenreferat Antwerpen die Ausgabestellen für Lebensmittelmarken als Hinterhalt140. Innerhalb weniger Tage verhafteten Angehörige der Sipo-SD und der Feldgendarmerie mit Unterstützung flämischer SS-Leute viele Hundert Juden. Antwerpener Polizeibeamte waren nicht beteiligt; sie wurden selbst von der SS festgenommen, als sie gegen die in Zivil agierenden Kollaborateure des Judenreferats einschritten. Die Durchführung der letzten Razzia am 11. / 12. September und der Festnahmen an den Markenausgaben lassen meiner Ansicht nach darauf schließen, dass die Antwerpener Polizei für Großverhaftungen von Juden ab Mitte September nicht mehr zur Verfügung stand.

Es muss daher zu Interventionen von belgischer Seite gekommen sein, auch wenn hierfür bislang kein Beleg aufgefunden wurde. Denn die Angaben von Antwerpens Bürgermeister Delwaide, der sich Ende August 1942, nach der dritten Razzia, an die Besatzungsmacht und an die zuständigen Generalsekretäre des Justiz- und des Innenministeriums gewandt und daraufhin die Zusage erhalten haben will, dass die belgische Polizei künftig nicht mehr für Razzien gegen Juden herangezogen würde, sind nicht zu verifizieren und werden von der Forschung angezweifelt141.

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