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1. Besatzung, Kollaboration und Judenverfolgung

Das Besatzungsregime

Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 10. Mai 1940 wurde Belgien dem General der Infanterie Alexander von Falkenhausen unterstellt, der ab Juni 1940 als „Militärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich“ auch für die beiden französischen Departements Nord und Pas-de-Calais zuständig war, während die ostbelgischen Gebiete Eupen und Malmedy abgetrennt und vom Deutschen Reich annektiert wurden1. Von Falkenhausen verfügte über einen Kommandostab unter Bodo von Harbou zur Ausübung der militärischen Gewalt und über einen Militärverwaltungsstab, dem die Regierung und Ausplünderung des besetzten Landes oblag. Als Chef der Militärverwaltung fungierte der ehrgeizige Eggert Reeder, Regierungspräsident in Köln und ehrenamtliches SS-Mitglied, der während seiner Tätigkeit in Belgien zum SS-Gruppenführer aufstieg.

Reeder wusste sich eine außerordentliche Machtfülle zu sichern. Seine am nationalsozialistischen Führerprinzip orientierte Formel von der „Einheit der Verwaltung“, die er in seinen Berichten nach Berlin und in zeitgenössischen Veröffentlichungen wiederholt zur Vorbedingung der Besatzungsherrschaft über Belgien erklärte, stand für die sehr weitgehend durchgesetzte Absicht, sämtliche in seinem Befehlsbereich agierenden deutschen Verwaltungs- und Wirtschaftsstellen selbst zu kontrollieren2. Dies bezog sich bemerkenswerterweise auch auf die Brüsseler „Dienststelle“ bzw. den „Beauftragten“ des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD (Sipo-SD) – also auf die Außenstelle des Berliner Reichssicherheitshauptamts.

Heydrichs Stellvertreter in Brüssel unterstanden aufgrund der Vereinbarungen zwischen dem RSHA und der Wehrmacht dem Militärbefehlshaber3. Auf Betreiben Reeders wurden sie nicht – wie ursprünglich geplant – dem Kommandostab, sondern dem Militärverwaltungschef selbst untergeordnet. Während das Oberkommando des Heeres (OKH) und der Militärbefehlshaber in Paris die Einflussnahme der Sipo-SD zu begrenzen suchten, setzte Reeder sie in Belgien als Exekutivorgan der Militärverwaltung ein und stattete sie im Februar 1941 mit eigenen Festnahmekompetenzen aus. Ein zugleich eingeführtes Haftprüfungsverfahren begründete eine Kontrolle der sicherheitspolizeilichen Verhaftungen durch die Militärverwaltung, von deren Zustimmung jede Inhaftierung abhängig gemacht wurde, die länger als vier Wochen währte. Mithin konnte die Gestapo in Belgien – und dies dürfte für den nationalsozialistischen Terrorapparat einmalig gewesen sein – auf eine von der Militärverwaltung autorisierte Form der „Schutzhaft“ zurückgreifen, die als „Sicherheitshaft“ bezeichnet wurde und zu deren Durchführung der Militärverwaltungschef explizit ein Konzentrationslager bestimmte4. Das mitten in Belgien errichtete Lager Breendonk war eine der grauenvollsten Haft- und Mordstätten des NS-Regimes und unterstand ab Mai 1942 direkt Militärverwaltungschef Reeder5.

Im Gegensatz zu Frankreich, wo die Einflussgewalt des Militärbefehlshabers auf die Sipo-SD spätestens im Frühjahr 1942 mit der Berufung eines Höheren SS- und Polizeiführers endete, blieb der Beauftragte des Chefs der Sipo-SD in Belgien auch später dem Militärverwaltungschef unterstellt. Denn Heinrich Himmler sah bis kurz vor dem Ende der Besatzungszeit davon ab, in Belgien einen HSSPF einzusetzen. Obwohl es an entsprechenden Planungen und Vorstößen nicht mangelte, behauptete Reeder sich bis Juli 19446. Lediglich auf dem Gebiet der Volkstumspolitik, die im flämisch-wallonischen Belgien bei der Förderung von Kollaborationsbewegungen eine nicht unwesentliche Rolle spielte, konnte er nicht verhindern, dass Himmler und insbesondere der Chef des SS-Hauptamtes und Leiter der „Germanischen Leitstelle“, Gottlob Berger, fortlaufend auf eine seinen eigenen Optionen zuwiderlaufenden Weise in die Besatzungspolitik eingriffen. Reeder musste die Einsetzung von Himmlers Bevollmächtigtem Richard Jungclaus hinnehmen, der ihm nicht untergeordnet war.

Dagegen stellten die Statthalter Heydrichs bzw. Kaltenbrunners Reeders Führungsanspruch nicht in Frage. In dem hier interessierenden Zeitraum, als die Deportation der Juden vorbereitet wurde und der Großteil der Züge aus Belgien nach Auschwitz fuhr, fungierte Ernst Ehlers als Beauftragter des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) in Brüssel. Er löste im Dezember 1941 Constantin Canaris ab und leitete die Sipo-SD in Brüssel bis einschließlich Januar 19447. Ehlers war 15 Jahre jünger als Reeder. Als SS-Sturmbannführer und Regierungsrat stand er bei seiner Ankunft in Brüssel einem Militärverwaltungschef gegenüber, der ihm als SS-Brigadeführer und Regierungspräsident in mehrfacher Hinsicht übergeordnet war. Der Beauftragte war also relativ schwach, und es kam vor, dass er sich von Reeders Mitarbeitern abfertigen ließ, wenn er bei der Militärverwaltung vorstellig wurde8.

Noch wichtiger war, dass es zwischen der Militärverwaltung und dem BdS nicht zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen, sondern vielmehr zu einer „harmonischen“ Zusammenarbeit kam9. Dieses von den Beteiligten noch in der Nachkriegszeit gegenüber der belgischen Justiz unisono unterstrichene Faktum steht allerdings im Widerspruch zu der gleichzeitig von Reeder und von Falkenhausen ausgegebenen Rechtfertigungslegende, derzufolge die Sipo-SD ihnen lediglich formell unterstanden habe und tatsächlich ihrer Kontrolle zunehmend entglitten sei10. Dass die Unterstellung alles andere als formal war, zeigt die Tatsache, dass der BdS seine „Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich“ im Entwurf und vor der Absendung nach Berlin Reeders politischem und persönlichem Referenten Günter Heym zur Durchsicht vorlegen musste11. Vor allem jedoch war die Sicherheitspolizei bei der Ausführung ihrer Verbrechen von der Autorisation der Militärverwaltung abhängig. Dies gilt ebenso für die Verschleppung von Juden und Widerstandskämpfern in das Lager Breendonk wie für die Deportation der Juden nach Auschwitz.

Die Shoah in Belgien

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