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Deutsche Zuständigkeiten

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Wenn man die überlieferten Akten durchsieht, fällt die Vielzahl deutscher Dienststellen ins Auge, mit denen die Mitarbeiter der AJB mündlich und schriftlich kommunizierten. Während der Militärbefehlshaber die Zwangsvereinigung zur offiziellen Repräsentantin aller in Belgien lebenden Juden bestimmte, stand ihr umgekehrt auf deutscher Seite kein verantwortlicher Ansprechpartner gegenüber. Stattdessen musste sie mit zahlreichen Vertretern des Besatzungsregimes verhandeln, von denen viele lediglich einen Teilbereich der antijüdischen Verfolgungsmaßnahmen unter sich hatten und deren Kompetenzen sich wechselseitig überlagerten. Der Grund dafür war, dass es kaum eine deutsche Verwaltungs- oder Polizeiabteilung gab, die nicht an der Judenverfolgung mitgewirkt hätte. Auch für das deutsch besetzte Belgien gilt der Befund Raul Hilbergs, dass die Entrechtung, Enteignung und Deportation der Juden nicht einer speziellen Behörde oblag, sondern von einem dezentralisierten Apparat bewerkstelligt wurde.

Als der AJB-Vorstand die Militärverwaltung darum ersuchte, einen verantwortlichen Ansprechpartner zu benennen, gab der Leiter der Gruppe Fürsorge in der Verwaltungsabteilung, Duntze, nicht einen, sondern drei Funktionsträger an. Für „grundsätzliche Fragen der Judenvereinigung“, so teilte er im März 1942 mit, sei Dr. Heym zuständig und für die Durchführung der „Judenverordnung“ er – Duntze – selbst, sofern es nicht um Fragen des „Judenvermögens“ ginge, die von Dr. Scherer bearbeitet würden6. Georg Scherer leitete seinerzeit die Gruppe XII (Feind- und Judenvermögen) der Wirtschaftsabteilung. Johannes Duntze, war seit Herbst 1940, als die Militärverwaltung mit der Einleitung antijüdischer Maßnahmen begann, mit Entwurf und Umsetzung der „Judenverordnungen“ befasst – spätestens Anfang Februar 1941 nahm er den Zusatz „Referat J“ in seinen Briefkopf auf7. Auch die Vorarbeiten für die Verordnung zur AJB liefen über seinen Schreibtisch. Er koordinierte die Zusammenarbeit der jeweils beteiligten Fachreferenten, führte entsprechende Verhandlungen mit den belgischen Verwaltungsdienststellen und widmete sich darüber hinaus auch der individuellen Verfolgung von Juden, indem er bspw. Gesuche auf Ausnahmegenehmigungen prüfte und Stammbäume skizzierte, um festzustellen, ob Antragsteller nach deutscher Ansicht Juden waren oder nicht. Die AJB sollte jedoch faktisch nur am Rande mit Duntze zu tun haben, da die Zuständigkeit für die sogenannte „Judenfrage“ im Frühjahr 1942 von Duntzes Gruppe Fürsorge in der Verwaltungsabteilung auf die Gruppe Politik im Präsidialbüro überging. Deren Leiter, Oberregierungsrat und SS-Sturmbannführer Günter Heym war der persönliche und politische Referent Reeders. Er hatte „la haute main sur la question juive“, das heißt ihm oblag die Federführung bei der „Judenfrage“, wie sein Mitarbeiter Wilhelm von Hahn sich 1948 gegenüber der belgischen Justiz ausdrückte8.

Der Jurist Dr. Wilhelm von Hahn, im März 1942 von der Gruppe Polizei in die Gruppe Politik übergewechselt, wurde der wichtigste Ansprechpartner der AJB in Reeders Stab. Ab August 1942 war er fast ausschließlich mit dem Sachgebiet „Juden“ befasst9. Allerdings verzichtete die Militärverwaltung darauf, einen offiziellen „Judenreferenten“ zu ernennen. Sie war offenbar darauf bedacht, die Kompetenzen aufzuteilen. So musste sich die AJB wegen der Folgen der antijüdischen Verordnungen nicht nur an von Hahn, sondern auch an die jeweils zuständigen Sachbearbeiter der Militärverwaltung wenden: wegen der partiellen Freigabe gesperrter Vermögen an die Gruppe XII („Feind- und Judenvermögen“), wegen des Ausschlusses von Juden aus öffentlichen Schulen an die Gruppe Kultur (Dr. Löffler), wegen polizeilicher Sonderbestimmungen wie Aufenthaltsbeschränkungen oder Kennzeichnungszwang an die Gruppe Polizei (Dr. Leiber), wegen der Deportation zur Zwangsarbeit für die Organisation Todt in Nordfrankreich an die Gruppe Arbeitseinsatz (Dr. Fründt), wegen des Berufsverbots für jüdische Ärzte an die Gruppe Medizin (Dr. Holm) usw. Hinzu kamen die lokalen Dienststellen wie die Oberfeldkommandantur Brüssel und die Feldkommandantur Antwerpen.

Beim BdS hatten die Verantwortlichen der Zwangsvereinigung dagegen in erster Linie mit dem jeweiligen Judenreferenten zu tun. Dies war bei Gründung der AJB SS-Obersturmführer Kurt Asche, ab Ende November 1942 SS-Hauptsturmführer Fritz Erdmann, ab Mitte Oktober 1943 SS-Hauptscharführer Felix Weidmann und ab März 1944 SS-Obersturmführer Werner Borchardt. Darüber hinaus musste die AJB mit den Außenstellen des BdS in Kontakt treten, insbesondere mit SS-Oberscharführer Erich Holm, Eichmanns Vertreter in der Außenstelle Antwerpen. Schließlich unternahm die AJB ab August 1942 laufend Demarchen bei der Leitung des Lagers Malines.

Asche unterstrich schon bei der ersten offiziellen Zusammenkunft am 17. April 1942 den Führungsanspruch der Sipo-SD gegenüber dem Militärbefehlshaber10. Seinen eigenen Worten zufolge sah er seine Aufgabe darin, sämtliche antijüdischen Maßnahmen der Militärverwaltung vorzubereiten. Doch sollte sich zeigen, dass die AJB von beiden Besatzungsorganen Befehle erhielt und sich mit beiden abstimmen musste. Im Juli 1942, am Vorabend der Deportationen nach Auschwitz, wurde die Sipo-SD zur entscheidenden Behörde, ohne dass die Militärverwaltung allerdings sämtliche Kompetenzen an sie abgegeben hätte. So blieb Reeders Stab weiterhin für die Durchsetzung der Judenverordnungen zuständig und seine Gruppe XII („Feind- und Judenvermögen“) behielt die Oberhand über die gesperrten Vermögen. Schließlich sah sich die AJB in vielen Fällen dazu gezwungen, wegen der gleichen Angelegenheit bei beiden Dienststellen vorstellig zu werden.

Wenn es um die materielle Ausplünderung der Juden ging, waren überdies weitere Schritte bei den einschlägigen deutschen Sonderbehörden erforderlich – beim Devisenschutzkommando, das Geld und Vermögenswerte beschlagnahmte, und bei der Einsatzleitung Belgien des Ostministeriums, die die sogenannte „Möbelaktion“ durchführte. Beide Dienststellen konnten ohne Einwilligung der Militärverwaltung nicht tätig werden11.

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