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Patientin mit chronischen Schmerzen – die Bedeutung der biografischen Anamnese

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Eine 50-jährige Patientin entwickelte nach dem Tod ihrer Mutter ein chronisches Schmerzsyndrom. Die Hausärztin hatte die gesamte Familie seit bereits 15 Jahren betreut und war auch beteiligt an der palliativen Versorgung der Mutter der Patientin. Zunächst schien der Hausärztin die Trauer und der Schmerz der Tochter nachvollziehbar. Doch nach mehreren Jahren und der Entwicklung eines chronischen Schmerzsyndroms der Tochter merkte sie endlich auf. Die naheliegende Gleichung Verlust gleich Schmerz schien keine ausreichende Erklärung mehr. Sie stellte Fragen. Im Kopf der Tochter kreiste der Gedanke, dass sie zum Zeitpunkt des Todes der Mutter im Krankenhaus nicht anwesend war. Sie hatte bis zum letzten Moment gehofft, dass ihre Mutter sich zu ihrem sexuellen Missbrauch (der Tochter) durch ihren Vater äußern würde. Die sexualisierte Gewalt war bis dahin weder in der Familie noch in der Patient-Arzt-Beziehung ein Thema gewesen. Ambivalente Gefühle gegenüber der Mutter, die sie nicht ausreichend schützte, wurden jetzt erst auf die Nachfragen der Hausärztin hin geäußert. Traumaspezifische Psychotherapie konnte der Patientin helfen. Auch diese Patientin hatte ihre Mutter über Jahre aufopferungsvoll gepflegt.

Familienmedizin hat den definierten Anspruch, das System der Familie mehr in die Pflege des Kranken mit einzubeziehen und dazu zu ermutigen. Je mehr der Hausarzt zu dieser Aufgabe gesellschaftlich ermutigt wird und diese annimmt, umso mehr muss er über Ambivalenzen im Beziehungsgefüge der Familien und seine Rolle im Familiengefüge nachdenken ( Kap. 3.5.6).

Familienmedizin erweitert die Patient-Arzt-Beziehung zur Patient-Familie-Arzt-Beziehung. Das macht eine Reflexion der jeweiligen Konstellationen und der dem Arzt zugewiesenen Rollen notwendig. Er muss sich nicht instrumentalisieren lassen und Partei ergreifen. Stattdessen sollte er die richtigen Fragen stellen, um die jeweiligen Familienmitglieder zu anderen Sichtweisen anzuregen und Kommunikation untereinander zu fördern.

Dazu bedarf es bestimmter Haltungen und Methoden in der Gesprächsführung.

Die Hausarztpraxis von morgen

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