Читать книгу Unglück - Iris Wandering - Страница 11

Mittwoch, 3. Juni 1998, Aufbruch

Оглавление

Normalerweise ließ Max immer zuerst den Hund raus, aber seit seine Hündin Hexe tot ist, hat sich sein Morgenritual deutlich verändert. Jetzt geht er kaum noch mit seinem Tee in der Hand hinaus in den weitläufigen Garten oder setzt sich auch nicht mehr so oft wie früher auf einen der Steinwälle, die sein Vater mit ihm als Zwölfjährigen zusammen in leichten Terrassen angelegt hatte – oder war es umgekehrt gewesen?

Hexe hatte alles und jeden neu beschnüffelt, als wäre es ein fremder und nicht ihr eigener Garten. Was nicht nur an Hexes sprunghaftem Wesen, sondern auch an den vielen tierischen Besuchern gelegen haben könnte.

Max erinnert sich daran, dass seine beiden Schwestern früher gerne mal im Garten schliefen, aber der nächtliche Geräuschpegel hatte Silvia meist schon in den frühen Morgenstunden wieder zurück ins Haus gehen lassen. Und Mini verschlief so ziemlich alles, war ohnehin schwer zu wecken und dann oft empört, wenn Silvia sie alleingelassen hatte. Dabei versicherte Silvia ihr immer wieder aufs Neue, sie nicht in ihrem seligen Schlaf stören zu wollen. Vielleicht sollte Silvia nicht von sich ausgehen, denn Mini hat wohl weniger das Problem mit dem Schlafen als sie selbst. In der Zeit als Silvia wegen der ständigen Streitereien mit ihrer Mutter von dort weg und wieder zu ihnen zog, um in Ruhe das Abitur zu machen, las Mini der großen Schwester oft so lange vor, bis diese endlich eingeschlafen war. Verrückte Welt!

Das Haus steht am Feldrand. Max lässt den Blick weit bis zu den nächsten Hügeln schweifen. Er hat die Morgenstunden meist für sich allein. Früher hatte der Vater ganze Nächte durchgearbeitet. Die beiden Männer begrüßten sich morgens nur kurz in der Küche, bevor sein Vater ins Bett oder zu einem Termin verschwand. Und Max ging dann entweder in die Uni oder in das väterliche Büro, wo er den Bürostuhl vor dem Computer meist noch warm vorfand.

Die Sonne scheint. Es ist ein richtig schöner Frühsommertag heute. Der Tee dampft vor sich hin, während Max die Unterlagen, die die Firma ihm zugeschickt hat, wohl zum gefühlt hundertsten Male durchsieht.

Es ist viel zu warm für einen Anzug, aber der muss wohl sein. Die Weste darunter lässt er lieber weg. Das wäre zu viel des Guten und für den heutigen Termin auch nicht angebracht. Für das hellblaue Hemd und den beinahe bunten Schlips entschieden, verabschiedet sich Max später nur ganz knapp von seinem Vater und seiner Schwester Mini, er sei ja in zwei Tagen wieder da. Er übernachte bei einem Kommilitonen, hatte er ihnen vor ein paar Tagen erzählt. Je bestimmter er seine wenigen Worte ausspricht, umso weniger Fragen werden ihm gestellt. Es ist ein wenig wie das Füttern eines hungrigen Tieres: Solange er nur Stück für Stück genug hergibt, wird er nicht weiter bedrängt. Andersherum könnte man wohl auch sagen, die Familie hielte ihn an der langen Leine. Was macht das schon? Das Ergebnis zumindest ist, dass er sich auf diese Weise einen gewissen Freiraum verschaffen kann. Und bald würde sowieso alles anders sein.

Verdammt! Max flucht. Sein Rad hat einen Platten. Aber Silvi ist nicht da, denkt er, dann kann sie also auch nicht wissen, dass er ihr Rad für die Fahrt zum Bahnhof benutzt. Sie würde sicherlich meckern, dass es dort schnell geklaut werden könnte, gerade weil es über Tage dort stehen würde. Aber das ist sowieso eine Schrottmöhre, die sie einfach hiergelassen hat. Will ja eh keiner mehr haben. Na ja, oder so wie er: Eben mal schnell von A nach B. Kein Wunder, dass sie sich nach der letzten Geschwistertour in England ein neues Rad zugelegt hatte, sie kam kaum noch mit. Egal, er muss los. Halt, Schloss nicht vergessen! Die Tür neben dem Garagentor knallt zu. Lauter als beabsichtigt, weil er es nun sehr eilig hat.

So ein Mist! Den von ihm eingeplanten Zug hat er um eine Minute verpasst. Aber was für ein Glück, der nächste kommt gleich. Obwohl leicht außer Atem geraten, wandert Max auf dem Bahnsteig in Gedanken versunken auf und ab. Eine größere Tasche braucht er nicht mitzunehmen, denn er hat noch genug Sachen zum Wechseln bei Anna in Hamburg. Und das winzige flache schlichte Kästchen mit dem Ring für sie hat er vorsorglich innen in seine Sakkotasche gesteckt, dort ist es am sichersten findet Max. Man könnte ihn glatt für einen Kinderring halten, so zarte Hände hat Anna. Was sie wohl sagen wird? Und gleich darauf fragt er sich, was der Termin an diesem Tag bringen mag.

Das Vorstellungsgespräch ist für den frühen Nachmittag angesetzt. Und danach macht die Firma noch ein Auswahlverfahren. Was für ein Tag! Aber das Wichtigste – wird sie «Ja» sagen? Dass er mit ihr reden wolle, hatte er ja schon anklingen lassen.

Unglück

Подняться наверх