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Mittwoch, 3. Juni 1998, Sommerliche Unterhaltung

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Silvia hat sich freigenommen. Der Tag beginnt. So, wie ein richtig schöner Sommertag zu beginnen hat. Die letzten Wochen hat Silvia durchgearbeitet. Wie schön ist dieses Gefühl, beinahe alles momentan Anliegende erledigt zu haben und einen Tag lang mal nichts zu tun!

Der sonst vorherrschende Musiklärm der Nachbarn unter ihr kann sie heute nicht stören, denn beide sind glücklicherweise in der Tagschicht. Die Fenster der Dachwohnung im alten Haus der verstorbenen Großeltern in Kiel stehen weit offen und so manche Biene nimmt die Abkürzung durchs Haus. Auch Silvia summt vor sich hin, heute aber möchte sie mal nichts tun und faulenzen. Ihr Freund Adrian hat die Wohnung wie immer während der Woche, in der er bei ihr ist, schon früh verlassen und Silvia hat einfach weiter gefrühstückt und gelesen, bis sie nun wirklich rundum satt und zufrieden ist. Vielleicht geht sie noch einmal hinaus in den Park. Es ist einfach herrlich zwischen den mächtigen Bäumen herumzuspazieren, sich in der Natur von allem wortreich Inszenierten weg und einer gewissen Erdung hinzugeben. Sie legt Buch und Brille beiseite und beschließt, erst noch den Abwasch zu erledigen, ehe sie sich aufmacht.

Der Fernseher sirrt etwas und die Meldungen flimmern unter seiner Oberfläche hinweg. Eigentlich hat sie das Nachrichtenverfolgen vor langer Zeit aufgegeben, da ihrer Meinung nach eh nur schlechte kommen. Jetzt erschreckt Silvia die Meldung eines Unfalls. Ein Zug ist entgleist. Ein schrecklicher Unfall. Wie furchtbar! Ein Zugunfall in der Nähe von wo?

Silvia langt nach dem Geschirrtuch. Das fällt jedoch herunter und sie streift die nassen Hände an ihrer Hose ab. Dann stellt sie den Apparat lauter. Greift nach ihrer Brille, setzt die Gläser auf und liest nun auch die Schrift. Nicht Eschwege, sondern Eschede. Das liegt doch auf dem Weg vom Elternhaus aus gen Norden irgendwo, ist klein und kein bisheriger Haltepunkt für Silvia gewesen. Ein unbehagliches Gefühl macht sich langsam in ihr breit. Und dann noch breiter. Wie ein aufgehender Hefeteig wird der Kloß in ihrer Kehle immer dicker, nur merklich schneller: Max ist auf dem Weg nach Hamburg zum Vorstellungsgespräch. Das hatte er ihr gestern noch gesagt, als sie seine Hemden zum Umnähen absteckte. Bringen durfte Silvia ihn nicht. Er sei ja schon groß, hatte Max gesagt. Er will gerne pünktlich sein und fährt daher nicht mit dem Auto, sondern mit dem Zug. Und so freute Silvia sich auf einen ganzen freien Tag und war schließlich noch am Vorabend alleine abgefahren.

Die Sonne steht schon recht hoch über ihrer Dachwohnung und wirft mit tanzendem Staub vermischte Strahlen durch die geöffneten Fenster. Silvia hebt das Geschirrhandtuch wieder auf. Komisch, wie breit die Fliesenfugen hier sind. Und wie schmutzig das Fernseherglas doch ist, obwohl sie es neulich erst abgewischt hat. Die Schlierchen lassen die Sprecher etwas älter erscheinen als sie vermutlich sind.

«Tut mir leid», sagt sie, um etwas banal Normales zu denken. Wenn man etwas laut ausspricht, muss man es ja auch gedacht haben, also weiter.

Hee, nun mal langsam, Silvia! Bisher weißt du noch gar nichts.

Ich muss aber mehr wissen! Was haben die da gerade gesagt? Was ist passiert?

Hör erst mal richtig zu, bevor du nervös wirst.

Du meine Güte, ich kann doch nicht zu Hause bei Mini anrufen und einfach nachfragen, sie hört doch sofort meine Besorgnis. Wie mach ich das bloß?

Silvias Gedanken werden durch das Läuten des Telefons abgelenkt. Das Klingeln lässt sie zusammenzucken und gleichzeitig zurückschrecken. Silvia schaut irritiert auf das Gerät.

Nun geh schon ran!

Zögernd nimmt sie den Hörer ab. Statt wie üblich ihren Namen zu nennen, fragt sie leise:

«Ja?»

Unglück

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