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Ostersonntag, 20. April 2014, Zwischen Küchentisch und Badezimmer

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Psst.

Silvia, wieso «Psst»?

Sei nicht so laut. Es ist mitten in der Nacht! Und mach dich nicht so breit.

Warum denn nicht?

Dann kann ich meine Gedanken nicht sortieren. Ich will schreiben.

Ich bin deine Gedanken.

Na, dich will ich jetzt aber nicht. Ich will die anderen. Also mach dich mal dünne. Warte! Eins noch: Wie schreibt man heute das Wort Katastrophe?

Mensch Silvia, du hast wirklich seit den Achtzigern keine einzige Rechtschreibreform mitgemacht?

Nee, wozu denn? Die haben doch immer mal wieder etwas geändert. Also, wie ist das mit der Katastrophe – doch mit f?

Warum hat´s so lange gedauert, dich hierherzubekommen?

Halt! Lass mich doch erst einmal aufwachen und der Stift muss auch noch funktionieren. Also, sei nicht so ungeduldig und fang noch mal von vorne an. Danke!

Okay, okay!

Jetzt sei nicht eingeschnappt.

Bin ich nicht. Fang endlich an!

Ist ja gut! Ist schon schräg genug, wenn mich alle für stumm halten, weil ich sonst nichts sage und noch schräger, wenn die wüssten, mit wem ich rede.

So schlimm ist es nicht. Ein Außenseiter zu sein ist gar nicht so schlecht, da bekommst du interessante Perspektiven auf das Leben.

Soso. – Das Notizbuch ist schon fast voll.

Du hast im Schrank noch mehr davon.

Stimmt.

«Es war einmal ein großer Bruder, der ...»

Nicht so!

Wie dann?

So wies war.

Wie wars denn?

Echt beschissen. Also los und sei authentisch!

Mit den vielen Stimmen im Kopf? Das ist authentisch?

Herzchen! Das sind keine Stimmen, das sind Gedanken!

Also gut. Lieber Gedanke, sei bitte einfach mal still, damit ich anfangen kann.

Okay.

Einige Dinge sind aber so daneben gewesen, die glaubt keiner.

Das Leben schreibt immer noch die besten Geschichten naja, nicht immer die besten, aber die markantesten auf jeden Fall.

Ah so. Hm. «Es war einmal ein großer Bruder.»

Anders! Fang am Anfang an.

An welchem Anfang? Die Erinnerungen hüpfen hin und her. Halbe, ganze und sich wiederholende Gedanken. Da gibts keine lineare Struktur.

Nee, nur den «katastrophalen Strukturunwillen», ich weiß, ich hab Adams auch gelesen. Na gut, dann fang eben mit dem großen Briefumschlag an.

«Das Frühstück ist schon fast beendet ...», sei aber nicht zu still, ja?

Halt den Rand.

Selber. Und wie mach ich das mit der Geschichte vom großen Bruder?

Füg sie einfach ein.

Einfach?

Na, dann eben kursiv.

Was, noch mehr Stimmen?

Das hatten wir doch gerade, das sind Gedanken oder in deinem Fall eben Erinnerungen.

Hm.

Mir ist schlecht.

Das ist das Osterfeuer!

Nein, das ist Magen-Darm!

Echt?

Ich denke schon – jetzt muss ich spucken.

Weil das alles zum Kotzen ist? Jan hat dir doch extra für so etwas die papierumwickelten Dinger besorgt!

Puh, die kriegt ja keiner runter.

Die sollen auch nicht schmecken das ist Medizin!

So wie «Böses muss Böses» vertreiben?

Exakt!

Kanns endlich losgehen?

Klar, bin multitasking. Solls formulieren, trotz Grummeln im Bauch und Gurgeln in der Kehle und ´nem Kerl im Kopf, der alles besser weiß.

Wieso bin ich eigentlich ein Kerl? Hab ich dich nie gefragt.

War immer schon so.

Und wieso heiß ich Mick?

Wegen der Musik.

Aus den Achtzigern bei Sat.1?

Jepp.

Gut!

Also, wie schreibt man heute diese Bewegung von oben herab?

Keine Ahnung. Schreib doch einfach einfacher die haben doch gesagt, dass sie es vereinfachen wollen.

Dann schreibt man jetzt Philosophie mit f und f? Hast du sie noch alle?

Was ist mit dem Ursprung der Spra –

das interessiert doch heute keinen mehr und sind auch kürzere SMS.

Seit wann filosofierst ausgerechnet du per SMS!?

Ruhe jetzt! Und huste nicht so laut! Du weckst ja das ganze Haus auf.

Machst du Witze? Wie soll das denn gehen?

Schreib, dann vergisst du schon den Husten.

Oder er mich.

Verrat mir mal was. Wieso Notizbücher?

Hey, du magst meine analogen Bilder doch! Und solange der Walkman funktioniert ...

Ja, klar.

Also, Ruhe! Das macht mich ganz wuschig, ich soll doch authentisch sein.

Dann musst du aber alles übertragen. Ist das nicht umständlich?

Nö. Dann kann ich dir noch die eine oder andere Gemeinheit dazu in den Mund legen.

Ah ja!? Ich dachte, das seien Erinnerungen.

Sag ich doch! Und jetzt sei still, sonst bist du auch bald eine.

Nur eines noch: Wähle dein Schlachtfeld mit Bedacht.

Unglück

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