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Richard, 2010, der Wandel

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Wieder Nachtdienst mit Richard.

Herr Oberarzt X. schaute sich verstohlen um und setzte sich schnell neben mich an den Tisch, wo ich gerade die Medikamente für den nächsten Tag vorbereitete.

Er sah mir zu, ohne etwas zu sagen.

Ich wusste genau, was er dachte ich amüsierte mich prächtig.

Er sollte ruhig noch etwas zappeln und ich wollte, dass er mich darauf ansprach.

Es dauerte auch nicht lange. Dazu war er viel zu neugierig.

Er kam mir etwas näher, sah sich um, merkte, dass wir allein waren und dann flüsterte er beinahe.

„Was ist denn mit dem Richard?“, fragte er.

Ich wusste genau, was er meinte.

„Was soll denn mit ihm sein?“, fragte ich unschuldig.

Er sah mich groß an.

Sollte nur ER es bemerkt haben?

„Aber, der ist doch geschminkt!“, rief er aus.

Ich tat so, als wäre es das Normalste der Welt und zuckte mit den Achseln.

„Na und?“, sagte ich und widmete mich wieder den Tabletten.

Ich merkte, wie er innerlich vor Neugierde „zersprang“.

Er rückte noch näher.

„Ja, aber warum?“, fragte er und ich fand diese Frage ziemlich dämlich.

Ich lachte: „Warum wohl?“

Er starrte mich an.

„Ist er schwul?“, fragte er erstaunt und ich fragte mich, in welcher Welt unser Oberarzt wohl lebt.

Ich nickte schmunzelnd und freut mich, dass es nun auch der Oberarzt „gecheckt“ hatte und musste an das Sprichwort denken:

Ist der Ruf erstmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert!

Ich freute mich für Richard, denn wenn es unser Oberarzt wusste, dann brauchte man niemanden mehr zu informieren.

Als Richard wieder ins Dienstzimmer kam, erzählte ich ihm von meiner Begegnung mit dem Oberarzt und wir lachten Jahre später noch über diese Situation.

Doch leider ging es Richard auch mit seinem Outing nicht besser und den Wunsch, tot zu sein, teilte er mir in immer kürzer werdenden Abständen mit.

Ich machte mir große Sorgen.

Nicht immer, denn auf emotionale Tiefs folgten wieder Phasen, in denen er viel unterwegs war und ich dachte, er hätte Spaß am Leben.

In der Arbeit lachten wir viel.

Er hatte einen guten Humor, versorgte die Patienten bestens, arbeitete gewissenhaft und sprühte vor Energie.

Aber dann kam eine Zeit, wo er sich plötzlich sehr zurückzog.

Die Abstände, in denen er von Selbstmord sprach, wurden noch kürzer, seine Stimmung war im Keller.

Doch ich verstand es gut, diese Stimmungen zu ignorieren, ihn zum Lachen zu bringen und seine Aussagen nicht allzu ernst zu nehmen.

Bis er eines Tages anfing, von einem Plan zu sprechen.

Dann nannte er den Todestag.

Es gab ein Datum.

Ich ignorierte ihn.

Ich beschimpfte ihn.

Ich sagte ihm, dass es nicht fair wäre, so mit mir umzuspringen.

Ich sagte ihm, dass ich ihn, wenn er weiter von Selbstmord sprechen würde, in die Psychiatrie einweisen lassen müsste.

Ich hielt das Ganze nach wie vor für Theater.

Er war Meister in „im Mittelpunkt-stehen-wollen“.

Ich war Meisterin im Ignorieren.

Doch dann kam der Tag X.

Ich kam auf die Station und er beachtete mich nicht.

Ich wollte mit ihm sprechen, doch er sagte, er habe abgeschlossen.

Ich vermisste es beinahe, dass er mir erzählte, dass er sich umbringen möchte…. So, wie er es die vergangenen Wochen getan hatte.

Irgendetwas war an diesem Tag anders.

Und ich bekam es mit der Angst zu tun.

Beim Frühstückausteilen stieß ich ihn in die Seite und flüsterte:

„Was ist nur heute mir dir?“, ich war sauer, weil er nicht mit mir sprach.

„Das ist mein letzter Tag und nun lass mich in Ruhe“, sagte er bitter.

„Nein Richard, das kann ich nicht!“, ich drängte ihn in die Wäschekammer, wo uns keiner hören konnte.

„Es kann dir egal sein, was ich mache“, sagte er trotzig und wollte wieder an mir vorbei zum Essenwagen.

Kurz darauf bekam ich von seiner Schwester eine Nachricht.

Sie war fast krank vor Sorge, weil er sich bei ihr verabschiedet hatte. Es war der Anfang einer langen Kette von Nachrichten, in denen er Abschied von uns nahm.

Ich rief sie sofort an und erzählte ihr, dass ich mir wirklich Sorgen um ihn machte, weil auch ich das Gefühl hatte, dass er an diesem Tag anders war.

Und im Laufe des Vormittags wurde mir klar, dass er seinen Selbstmord für diesen Tag geplant hatte.

ROMY

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