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Richard, Winter 2011, Veränderung

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Die Monate vergingen.

Richards Haare waren zu einer Langhaarfrisur gewachsen, sein Verhalten blieb dasselbe, die regelmäßigen Pflichtsitzungen beim Psychotherapeuten nahm er wahr und seine Familie war informiert.

„Mein Vater hat gesagt, ich darf nie wieder nach Hause kommen“, er wirkte nicht bedrückt und sagte das, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Was?“, fragte ich aufgebracht.

„Ja!“, er lachte beinahe schelmisch: „das ist für mich nicht überraschend. Ich habe das gewusst.“

Er sonnte sich offensichtlich an meiner Fassungslosigkeit.

„Und deine Mama?“, fragte ich neugierig.

„Die muss das tun, was mein Vater will. Aber ich glaube, sie kommt auch nicht damit zurecht“, meinte er lapidar.

„Wie bitte?“, ich kam mit diesen Aussagen nicht klar.

„Ich kann es nicht ändern, und es war mir von Anfang an klar. Sie schämen sich für mich. Der ganze Ort wird darüber sprechen“, sagte er und zuckte gleichgültig mit den Achseln.

„Aber du bist doch ihr Kind. Ich verstehe das nicht“, ich kann es wirklich nicht begreifen.

„Bei uns war es immer sehr wichtig, was die Nachbarn von einem halten. Man muss fleißig sein und darf nicht auffallen, das ist nun einmal so in einem kleinen Ort“, er wirkte tatsächlich unbekümmert.

Ich glaubte ihm aber trotzdem nicht.

„Du hast sie nicht darüber informiert, dass du in Wirklichkeit schon immer ein Mädchen warst? Erzähle ihnen doch, dass du Eierstöcke und eine Gebärmutter hast. Eigentlich müssten sie sich bei dir entschuldigen, dass sie das nicht schon als Kind abklären ließen“, ich konnte meine Wut kaum bändigen.

Wer gab diesen Leuten das Recht zu urteilen, zu verurteilen und ihr Kind zu verstoßen, obwohl sie selbst einen großen Fehler gemacht haben?

Ich konnte diese Ungerechtigkeit kaum fassen!

„Es ist nicht ihre Schuld“, verteidigte er seine Eltern strikt, „bei meiner Geburt wurde ihnen gesagt, dass ich ein Bub bin und so haben sie mich ein Leben lang gesehen.“

„Aber deine Mutter musste sich doch etwas dabei gedacht haben, wenn sie dich gewickelt hat“, meinte ich.

„Zwischen meinem Bruder und mir liegen fast zwanzig Jahre. Sie hatte keinen Vergleich mehr und dachte vielleicht, dass das bei mir eben ein bisschen anders aussieht und dass es sich noch entwickeln muss. Aber sie wäre nie auf die Idee gekommen, dass etwas nicht stimmt. Bub ist Bub. Dann hat er eben einen kleinen Schwanz!“, erklärte er.

„Gut, das kann ich nachvollziehen. Ich hatte bis vor Kurzem auch keine Ahnung von Intersexualität“, sagte ich nachdenklich.

„Eben! Und meine Eltern können sich gar nichts darunter vorstellen. Ich lasse es einfach dabei. Sie sollen ihren Frieden haben“, meinte er und wirkte sehr stark dabei.

„Aber wenn du ihnen erklärst, dass du immer schon Eierstöcke und eine Gebärmutter hattest, und dass sie einem Irrtum erlegen sind, dann werden sie es vielleicht verstehen. Du kannst sie nicht in dem Glauben lassen, es sei eine Laune von dir, dass du ein Mädchen sein möchtest“, versuchte ich ihn nochmals davon zu überzeugen, ein Gespräch mit seinen Eltern zu suchen.

Er zuckte nur mit den Achseln.

„Soll ich mit ihnen sprechen?“, fragte ich.

„Nein! Das machst du nicht!“, funkelte er mich böse an.

Ich hatte keine Chance, ihn davon zu überzeugen, dass er mit ihnen sprechen und sie über seine Situation aufklären musste.

Er negierte dieses Thema und wollte nicht mehr darüber sprechen.

Die Eltern wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben und somit war dieser Fall für ihn erledigt.

Abgesehen davon würde ich persönlich den Hausarzt zur Verantwortung ziehen, denn auch damals gab es schon eine Kinderklinik, in der ein Kind, dessen Sexualorgane nicht eindeutig zuordenbar sind, hätte untersucht werden müssen.

Aber Richard wehrte strikt ab.

Das würde seiner Familie noch mehr Scherereien bringen, und das wollte er nicht.

Also nahm er in Kauf, dass er nur noch Kontakt zu seinen Schwestern hatte, die wenigstens versuchten, mit der neuen Situation fertig zu werden.

Anatomisch gesehen lag die Scheide nach dem Blutsturz der ersten Regel frei, nachdem die Haut gerissen war, die sie bisher verborgen hatte.

Nun begann eine lange Zeit von Liebschaften und Abenteuern, die ihm meiner Meinung nach das Leben hätte kosten können.

Er wollte um jeden Preis die Bestätigung, eine Frau zu sein und nutzte seinen aufreizenden Augenaufschlag, um sich One-Night-Stands zu angeln, die ihm nichts bedeuteten.

Das Ziel war immer der Geschlechtsverkehr, der ihm dann doch nur Schmerzen bereitete und nichts brachte, außer der Gewissheit, als Frau gesehen worden zu sein.

Das war in meinen Augen ein Spiel mit dem Feuer, denn in seinem Ausweis stand noch immer Herr Richard Zimmermann.

Ich warnte ihn vor derartigen Abenteuern.

Diese Geschichten brachten ihn persönlich nicht weiter.

Aber er war verblendet von Komplimenten und Küssen.

„Eine Frau benimmt sich nicht so! Du kannst nicht mit jedem mitgehen und dich vögeln lassen. Du setzt dein Leben aufs Spiel“, schalt ich.

„Warum nicht?“, fragte er unbeschwert.

„Weil man das einfach nicht macht! Die Männer, mit denen du mit nach Hause gehst, achten dich nicht als Frau. Die haben keinen Respekt vor dir!“, rief ich verzweifelt.

Aber er lachte mich aus.

„Doch. Die sehen in mir eine Frau, sonst würden sie mich nicht vögeln wollen“, schlussfolgerte er.

„Das ist schon richtig. Aber das sind nicht die Art von Männern, die du möchtest und sie behandeln dich nicht als die Frau, die du gerne wärst.“

Ich redete gegen eine Wand.

„Abgesehen davon kannst du dir eine ganze Menge Krankheiten einhandeln und das ist nicht lustig“, ich versuchte es auf diese Weise, fand aber auch kein Gehör.

Natürlich hatte ich nicht das Recht den Moralapostel zu spielen. Aber ich konnte auch nicht verstehen, wie man mit einem Unbekannten in der Disco auf der Toilette Oralsex machen konnte oder wollte.

Dass Richard auf diese Art und Weise um Anerkennung kämpfen musste, stimmte mich traurig.

Bei einem dieser WC-Abenteuer lernte er Thomas kennen, in den er sich tatsächlich verliebte.

Richard meinte zumindest, verliebt zu sein, doch ich vermutete darin eine starke Abhängigkeit, denn Thomas konnte mit Richard machen, was er wollte.

Richard erzählte mir bereitwillig, wie sich ihre Treffen gestalteten und ich hatte den dringenden Verdacht, dass sich Richard in ein sadomasochistisches Spiel einließ. Er verhielt sich offensichtlich als devoter Sklave.

Die einzige Bedingung, die Richard zu stellen schien war, dass beim Sex das Licht ausgemacht sein musste.

Zu dieser Zeit hatte Richard weder einen Busen noch ausgeprägte Schamlippen. Die Harnröhre verlief durch die vergrößerte Klitoris.

„Thomas hat mir gesagt, dass seine Freundin in drei Wochen ein Baby bekommt“, sagte er mir so nebenbei.

Ich bekam eine Gänsehaut.

„Was ist denn das für ein Idiot?“, fragte ich erzürnt.

Richard zuckte unbeeindruckt die Achseln.

„Das hat mich zuerst auch gestört. Aber das ist seine Sache“, verteidigte er sich.

„Was? Nein! Du triffst dich nicht mehr mit ihm!“, rief ich sauer.

„Aber er ist so süß“, Richard hatte einen verklärten Blick.

„Was ist das für ein Typ, der so etwas macht?“, ich fasste es noch immer nicht.

„Ich will ihn aber wiedersehen. Er ist der erste, der mich befriedigen kann“, verteidigte er sich.

„Ich finde ihn als Person widerlich. Seine Freundin bekommt in drei Wochen ein Kind von ihm und er belügt und betrügt sie“, wetterte ich weiter.

„Ja, aber dafür muss er ein schlechtes Gewissen haben, nicht ich“, sagte Richard schmollend.

„Aber nicht, wenn du davon weißt. Dann finde ich es auch nicht in Ordnung, wenn du dich mit ihm triffst“, versuchte ich ihm zu erklären.

„Na und? Dann vögelt er eben eine andere, wenn nicht mich“, sagte er und hatte damit wahrscheinlich sogar recht.

„Ja, aber wenn er so ein furchtbarer und verlogener Mensch ist, warum magst du ihn dann überhaupt? Das verstehe ich nicht“, fragte ich ärgerlich.

„Weil er mich geil macht“, er kam etwas näher, so als würde er mir eine Verschwörung mitteilen.

„Er ruft mich zum Beispiel an und sagt, ich solle mich gefälligst ausziehen, er ist in zehn Minuten da. Zu seiner Freundin sagt er, das Fußballtraining hat länger gedauert“, er lachte.

„Du hast überhaupt keinen Stolz!“, rief ich zornig.

Er sah mich an, als würde ich chinesisch sprechen.

„Es bringt dir nichts. Das ist nicht gut!“, meine erklärenden, gut gemeinten Worte waren Luft.

Wochen später kam er weinend zu mir.

Thomas´ Freundin hatte Wind davon bekommen und machte Stress.

Natürlich.

Thomas meldete sich allerdings Wochen später noch, doch irgendwann war auch diese Episode Vergangenheit.

Was ich im Laufe der Jahre allerdings zu verstehen lernte war, dass für mich Stolz eine andere Bedeutung hatte als für Richard, beziehungsweise Romy.

ROMY

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