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Die biologische Stressreaktion

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Durch eine urzeitliche Savanne hüpft ein kleines, schuppiges Tier. Es ist nicht besonders klug, es ist nicht besonders stark, und es hat weder scharfe Zähne noch Klauen. Der Grund dafür, dass es nicht längst von gefährlichen Fleischfressern ausgerottet wurde, ist sein eingebautes Alarmsystem.

Das Tierchen hüpft munter herum und knabbert hier und da an ein paar Grashalmen. Plötzlich raschelt es im nahen Gebüsch. Ein Raubtier? Könnte auch ein Windstoß sein. Aber jetzt bloß kein Risiko eingehen! Sofort sendet das übersichtlich große Gehirn des Tierchens ein Alarmsignal an das Nebennierenmark, das innerhalb von Sekundenbruchteilen die sogenannten Stresshormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin ausschüttet.

Sie setzen eine ganze Reihe körperlicher Reaktionen in Gang. Das Herz unseres Tierchens schlägt schneller, die Blutgefäße werden verengt, der Blutdruck steigt. Gleichzeitig beschleunigt sich der Atem, und die Bronchien weiten sich. So kann das Blut sehr schnell viel Sauerstoff aufnehmen und per Express zu den Muskelzellen transportieren. Dort wird es jetzt dringend gebraucht, um Glukose zu verbrennen. Dieser Einfachzucker, der Treibstoff unserer Zellen, wird mithilfe des Cortisols aus den Reserven des Körpers gebildet und ebenfalls mit erhöhtem Blutdruck zu den Muskeln gebracht. Die zelleigenen Kraftwerke laufen auf Hochtouren, um aus Glukose und Sauerstoff das zu machen, was jetzt benötigt wird: pure Energie, die das eigene Überleben sichern soll.

Wie genau diese Energie eingesetzt wird, das entscheidet sich erst danach. Hauptsache, unser Tierchen ist für alles bereit: Die Muskeln sind angespannt, alle Kräfte mobilisiert, die gesamte Aufmerksamkeit ist auf das Rascheln gerichtet. Erst jetzt kann sich das Gehirn die Zeit – wir reden immer noch über Sekundenbruchteile! – nehmen, um abzuwägen, was zu tun ist.

Entpuppt sich das, was da im nächsten Busch geraschelt hat, als Artgenosse, der unserem Tierchen die leckeren Grashalme streitig machen will, dann entscheidet sich das Gehirn vielleicht für Kampf. Der Anblick eines viel größeren Fressfeindes schlägt unser Tier dagegen in die Flucht – es sei denn, es rechnet sich eine Chance aus, einfach übersehen zu werden. Dann erstarrt es.

Diese drei Möglichkeiten stehen zur Verfügung und geben der Stressreaktion den Namen »Fight, Flight or Freeze«-Reaktion (also Kampf, Flucht oder Erstarren). Uns trennen zwar Millionen Jahre von unseren schuppigen Vorfahren, aber diesen Überlebensmechanismus haben sie uns vererbt – kein Wunder, er hat ihnen und allen folgenden Entwicklungsstufen ja auch einen soliden evolutionären Vorteil verschafft. Wer schnell gestresst war, hat überlebt – gelegentlicher Fehlalarm war dabei in der Kosten-Nutzen-Rechnung einkalkuliert. Vielleicht gab es auch entspannte, gelassene und dankbare Tiere ohne Zähne, Klauen und Schuppenpanzer, aber die sind leider ausgestorben: eine unterschätzte Gefahr, einmal zu sehr entspannt – zack, tot!

Für uns bedeutet dieses Erbe: Sobald ein sehr urzeitlicher Bereich unseres Gehirns eine potenzielle Bedrohung wahrnimmt, macht sich unser System bereit für Kampf, Flucht oder Erstarren.

In unserem modernen Leben helfen diese Strategien nur leider in den seltensten Fällen weiter. Wir haben es dank des menschlichen Fortschritts selten bis nie mit Fressfeinden oder bösartigen Konkurrenten zu tun. Was bei uns Stressreaktionen hervorruft, ist anders gelagert. Zu den typischen Faktoren gehören beispielsweise

 ein übervoller Kalender und ellenlange To-do-Listen,

 Geldsorgen,

 das Sich-Vergleichen mit anderen und ihrem vermeintlich besseren Leben, das wir auf Social Media mitbekommen,

 permanente Erreichbarkeit,

 die Angst, nicht geliebt zu werden, wenn wir Kritik oder Konflikten ausgesetzt sind,

 hohe Ansprüche an Leistung und Selbstorganisation in vielen Jobs,

 ständige bedrohliche Nachrichten von Klimakrise bis Krieg in allen Medien.

Auf diese Dinge reagieren viele mit Anspannung und Stress. Damit versetzen sie sich zwar in Alarmbereitschaft und mobilisieren ihre Energien – aber wohin dann damit? Wir können unseren Stress in der Regel nicht durch Anstrengung loswerden, denn unseren Stressfaktoren entkommen wir nicht durch einen Sprint. Körperlich niederkämpfen können wir sie auch nicht. Diese biologische Tatsache müssen wir uns bewusst machen, um den Umgang mit Stress neu zu lernen und dadurch zu verbessern.

Stress dich richtig!

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