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Meine persönliche Stressbeziehung

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Bis ich Anfang zwanzig war, kannte ich Stress nur als Freund und Motivator. Ich habe früh gelernt, überall Höchstleistungen zu bringen, immer perfekt zu sein. In der dritten Klasse fing ich an, Wasserball zu spielen, und wurde darin ziemlich bald ziemlich gut. Ich fand es super, mich auszupowern, und liebte den Kick bei den Wettkämpfen.

Der Kick – das ist im Grunde auch nur ein anderes Wort für Stressreaktion, ausgelöst durch den Pfiff des Schiedsrichters und den Wunsch zu gewinnen. Dieses Gefühl purer Energie, wenn ich alle Muskeln anspannte, um schneller zu sein als die Gegner, wenn ich um den Ball kämpfte und Tore warf! Das war Stress – positiver Stress.

Mit sechzehn hatte ich täglich Training, zweimal in der Woche auch vor der Schule, und am Wochenende Wettkämpfe. Neben dem Leistungssport machte ich mein Abi, fing an, an der HU Berlin Psychologie zu studieren, jobbte nebenher als Werkstudent bei einem internationalen Investor. Klingt nach ziemlich viel? War es auch, aber: Stress war mein Lebenselixier. Ich hatte das Gefühl, alles erreichen zu können, und lange gab mir der Erfolg recht.

Dreimal wurde die Wasserballmannschaft, in der ich Kapitän war, deutscher Jugendmeister. Ich wurde in die Junioren-Nationalmannschaft berufen und trat bei der U21-Europameisterschaft für Deutschland an. Mit meinem Verein, dem OSC Potsdam, stieg ich in die 1. Bundesliga auf und führte mein Team als Kapitän in den Europapokal. Überall in meinem Leben waren Dynamik, Energie, Leistung.

Und dann geriet der Motor meines Lebens plötzlich ins Stottern. Der Stress, der mir bisher den Antrieb geliefert hatte, bremste mich jetzt aus. Ich schlief schlecht, hatte Angst, fühlte mich komplett überfordert. Meine Leistungen sackten ab, im Sport wie im Studium. Ich hatte immer weniger Energie und, was noch schlimmer war, auch überhaupt keine Lust mehr, Leistung zu bringen. Das kannte ich von mir bisher nicht.

Und weil ich mich selbst nicht mehr wiedererkannte und mich gleichzeitig als Versager fühlte, zog ich mich von allen Leuten zurück. Ich lag nur noch zu Hause rum, stopfte Junkfood in mich rein und tat mir selbst leid.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich den Stress geliebt: den Kick, den Adrenalinrausch, dieses Gefühl, über mich selbst hinauszuwachsen. Plötzlich fühlte ich mich ihm hilflos ausgeliefert. Ich konnte den Druck nicht mehr in Energie umwandeln – er machte mich nur noch fertig. Weil ich gelernt hatte, dass ich meine Ziele erreiche, wenn ich mich nur ausreichend antreibe, reagierte ich mit Härte gegen mich selbst und strengte mich noch mehr an. Leider war das genau der falsche Weg: Ich machte mich innerlich kaputt.

Die Gründe dafür habe ich erst nach und nach herausbekommen – und auch erst, als ich beschloss: Ich will und muss etwas ändern. Ich fing an, zu recherchieren und ziemlich viel darüber zu lesen, was Stress ist, wie er funktioniert und wie wir besser mit ihm umgehen können. Praktischerweise saß ich als Psychologiestudent ja an der Quelle.

Langsam wurde mir klar, womit ich mich in die Krise geritten hatte:

 Ich hatte das System Stress einseitig ausgereizt: immer nur mit Anspannung gearbeitet und Höchstleistungen von mir verlangt. Im Grunde hatte ich von mir erwartet, zu funktionieren wie eine Maschine. Jetzt lernte ich, dass es zwei Energiesysteme gibt, die sich ergänzen müssen, und dass ich auch aus der Entspannung Energie schöpfen kann. (Um Push & Pull und den Wechsel zwischen »Volle Kraft voraus!« und Entspannungsphasen wird es ab > gehen.)

 Ich hatte permanent versucht, meinen extrem hohen Erwartungen gerecht zu werden, und mich an manchen Stellen damit ganz schön abgekämpft. Je weniger Energie ich hatte, desto mehr setzte mich die Forderung unter Druck, permanent perfekt, stark und beliebt zu sein. Inzwischen weiß ich, dass es besser ist, die eigenen Erwartungen flexibel anzupassen – auch die an die eigene Leistung. »Mach es bestmöglich« ist halt näher am echten Leben als »Mach es perfekt«. (Im Detail beschäftigen wir uns damit ab >.)

 Ich hatte meine Gedanken mit Fakten verwechselt. »Die anderen mögen mich nur, solange ich den Superhelden gebe« stand ganz oben auf der Liste, direkt danach kam »Ab jetzt geht es nur noch bergab, und ich werde nie wieder gesund«. Aber damit nicht genug; es folgten noch jede Menge Glaubenssätze und Vermutungen über Situationen und Personen – die ich alle für wahr hielt. Inzwischen weiß ich, dass ich meine Gedanken lieber mal kritisch hinterfrage, bevor ich mich von ihnen blindlings in die Stressreaktion katapultieren lasse. Manchmal hilft es auch, Situationen einfach nur bewusst wahrzunehmen, ohne gleich mit Deutungen zu kommen. Das musste ich erst üben, aber mit der Zeit klappt das immer besser (mehr darüber auf den >> und >–>).

 Und schließlich war ich in den Widerstand gegangen, sobald ich merkte, dass ich in die Erschöpfung abrutschte. Die einzige Lösung, die ich kannte, lautete: Streng dich noch mehr an! Kämpfe! Sei hart gegen dich selbst! Damit verstärkte ich genau den Druck, der mir nicht guttat. Heute weiß ich, dass es einen viel besseren Weg gibt, als gegen den Stress zu kämpfen: ihn nämlich einfach ins Leben zu integrieren. Wenn wir erst einmal annehmen, was ist, kommen wir aus dem Teufelskreis von Druck und Gegendruck heraus. Erst dann können wir die Energie der Stressreaktion nutzen, um uns davon mitreißen zu lassen, statt uns ihr entgegenzustemmen. Genau darum geht es in diesem ganzen Buch.

Entscheidend für alle diese Veränderungen war, dass ich irgendwann beschlossen habe: Ich will Verantwortung für meinen Zustand, mein Leben und auch meinen Stress übernehmen.

Impuls: Was ist dein Ziel?

Was hat dich dazu gebracht, dieses Buch aufzuschlagen? Okay, blöde Frage – vermutlich wünschst du dir mehr Gelassenheit, wie es der Untertitel verspricht. Aber was genau soll sich ändern? Nimm dir die Zeit und notier dir: Wenn dich dieses Buch wirklich weiterbringen würde – woran würdest du es merken?

Ich wurde wieder gesund – aber zurück blieb Verwunderung. Wie kann es sein, dass uns Stress so krank machen kann und trotzdem so wenig über das Warum und Wie geredet wird? Ich beschloss, die Person zu werden, die ich selbst damals gebraucht hätte: ein empathischer Stress-Coach, der das Thema Stress aus der Schmuddelecke des persönlichen Versagens herausholt und gesunde Stressbewältigung mit Leichtigkeit und Freude lehrt.

2015 schloss ich mein Psychologiestudium erfolgreich ab und gründete gemeinsam mit meinem Bruder Julian ein eigenes Unternehmen. Schon bald wuchsen wir kräftig, und heute bilden wir mit unserem Team Stress-Coaches, Stress-Mentoren und -Mentorinnen aus. Daneben halte ich Vorträge, füttere einen Podcast, meinen Youtube-Kanal und Social Media mit Stressbewältigungsstrategien, und jetzt kommt auch noch das Bücherschreiben dazu. Gesunde Stressbewältigung und Aufklärung über psychische Gesundheit sind meine absoluten Herzensthemen.

Klar ist: Ich habe den Stress nicht aus meinem Leben verbannt, aber dafür Menschlichkeit und Verletzlichkeit einen Platz darin gegeben. Das hat mir Ruhe und Vertrauen gebracht – das Gegenteil von meiner Haltung mit dreiundzwanzig, als ich glaubte, Druck und Leistung wären die Lösung für alles. Denn wer einfach immer mehr aufs Gaspedal tritt, ohne jemals nachzutanken, dem läuft irgendwann der Tank leer.

Heute achte ich aufs Nachtanken und übe mich in Menschlichkeit. Außerdem weiß ich inzwischen, an welchen Stellen der Maschine (um im Bild zu bleiben) der Treibstoff Stress nützt und wo er nur schadet – und ich habe gelernt, ihn entsprechend zu lenken. Vor allem ist mir heute klar, wie viel von diesem Treibstoff ich ganz persönlich brauche.

Stress dich richtig!

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