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VII. Die systematische Verortung des Handlungsbegriffs

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Es liegt an der Anknüpfungsfunktion des Handlungsbegriffs begründet, dass das Vorliegen einer Handlung vor der Tatbestandsmäßigkeit zu prüfen und im Regelfall von deren Bejahung oder Verneinung unabhängig ist. Trotzdem wird die Handlung in der Literatur teilweise als Tatbestandsvoraussetzung behandelt. So sagt beispielsweise Frister,[65] eine vortatbestandliche Erörterung der Handlungsvoraussetzungen sei „unnötig kompliziert und auch begriffslogisch nicht begründet. Die Handlung ist ein Teil des im Tatbestand beschriebenen Sachverhalts … und sollte von daher ebenso wie dessen andere Teile im Tatbestand selbst subsumiert werden.“

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In vergleichbarer Weise meint Otto:[66] „Um das berechtigte Anliegen durchzusetzen, der Grundvoraussetzung strafrechtlicher Haftung, der möglichen Willenssteuerung des Verhaltens, Bedeutung zu verschaffen, bedarf es keiner vortatbestandlichen Handlungslehre. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des konkreten Tatbestandes ist vielmehr jeweils darzutun, ob der Täter durch willensgesteuertes Verhalten die Möglichkeit hatte, den zum Erfolg führenden Kausalverlauf zu beeinflussen. Dies ist der Ausgangspunkt der Erörterung, nicht aber die Prüfung einer Handlung unabhängig vom konkreten tatbestandsmäßigen Verhalten.“

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Andererseits wird weithin eine vortatbestandliche Handlungsprüfung favorisiert, besonders dezidiert etwa von Walter[67] und Baumann/Weber/Mitsch/Eisele[68]. Abwägend formuliert Kühl:[69] „Die Prüfung, ob eine menschliche Handlung überhaupt vorliegt, kann auch in die Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit dieser Handlung integriert werden, sie sollte aber besser als ‚Vorprüfungsstufe‘ vor die Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit ‚geschaltet‘ werden.“

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Der letztgenannten Auffassung ist zuzustimmen. Man kann freilich der Handlung im Rahmen des Strafrechtssystems keine eigenständige Deliktsstufe zuweisen. Denn was den strafrechtlichen Bewertungen vorgelagert und – wenigstens in der Regel – von ihnen unabhängig ist, kann keine Deliktskategorie sein. Wer seinen Rasen mäht, nimmt eine Handlung vor; diese liegt aber natürlich nicht innerhalb eines Deliktssystems. Gerade deswegen sollte jedoch die Frage nach der Vorfindbarkeit einer Handlung vor dem Eintritt in eine Tatbestandssubsumtion geprüft werden, sofern an ihrem Vorliegen Zweifel bestehen können. Für eine Prüfung „vor dem Tatbestand“ sprechen – wo dieser möglich ist – drei Gründe.

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Erstens ist die Frage, ob eine Handlung anzunehmen ist, gegenüber derjenigen nach den Voraussetzungen einer Tatbestandserfüllung logisch vorrangig. Es handelt sich hier gerade nicht, wie Otto meint, um eine „Prüfung der Voraussetzungen des konkreten Tatbestandes“, sondern um ein Element, das allen Tatbeständen und darüber hinaus auch allen personal zurechenbaren Verhaltensweisen eigen ist. Auch der Charakter der Handlung als Verbindungselement zwischen Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld spricht gegen die Zuordnung zu einer dieser Deliktsstufen.

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Zweitens sind die Geschehensverläufe, die durch die Filterfunktion des Handlungsbegriffs ausgeschieden werden sollen, mit dem Zurechnungskriterium des Tatbestandes vielfach gar nicht auszuschließen. Denn auch wer z.B. in einem epileptischen Krampfanfall eine Sache beschädigt, bewegt sich nicht im erlaubten Risiko. Daher müssen auch die Autoren, die das Ausgrenzungsproblem in den Tatbestand verlagern, die Prüfung der Handlung doch derjenigen der Fahrlässigkeitskriterien voranstellen. Sie nehmen also ebenfalls eine Deliktseingangsprüfung vor, verstecken diese aber im Tatbestand und verzichten ohne Anlass auf die Sonderstellung der Handlung als Grund- und Verbindungselement.

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Drittens wird durch die Verlegung der Handlungsprüfung in den Tatbestand auch das Verhältnis von Handlung und Tatbestand verunklart. Denn es gibt, wie oben (Rn. 70 ff.) dargelegt, einzelne Fälle echter Unterlassungen (z.B. die Nichtentrichtung einer Steuer), bei denen erst das gesetzliche Gebot im Falle der Untätigkeit aus einem Nichts eine Persönlichkeitsäußerung und damit eine Unterlassungshandlung macht. Wenn man die Handlungsprüfung in den Tatbestand verlegt, wird diese Sacheinsicht durch eine allgemeine Vermengung von Handlung und Tatbestand verdunkelt.

6. Abschnitt: Die Straftat§ 28 Handlung › D. Die Filterfunktion des Handlungsbegriffs

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