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5. Unglaublich

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1955

›Am nächsten morgen, nachdem ich das Geschirr vom Frühstück abgewaschen hatte, machte ich mich auf den Weg zur Schule. Ich musste, vor Beginn, noch etwas vorbereiten, und nutzte die Stille, um es zu erledigen. Als ich meine Jacke im Lehrerzimmer hängte und Kaffee kochen wollte, war die Kanne schon voll. Normalerweise war ich die Erste, wer also war vor mir hier gewesen? Ich brauchte nicht lange rätseln.

»Guten Morgen, Anne«, wurde ich begrüßt. Ich drehte mich um und erwiderte die Begrüßung.

»So früh schon hier, Jack?«

»Genauso wie Sie.« Ich nickte, wand mich meiner Tasse zu, die ich mit der schwarzen Brühe befüllte. Mitten in meiner Bewegung hielt ich inne, da Jack etwas sagte:

»Wegen gestern, ich glaube, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«

»Warum?«, fragte ich irritiert nach. Jack hatte seine Tasse in der Hand und schien nach Worten zu suchen, denn er zögerte einen Moment.

»Ich hatte das Gefühl, Sie bedrängt zu haben.« Ich schmunzelte. »Warum lächeln Sie?«

»Weil ich mich entschuldigen wollte. Ich war nicht sonderlich nett. Ich war viel zu sehr in meinen Gedanken versunken und habe zu wenig mit Ihnen geredet.«

»Haben Sie ihrem Mann erzählt, wo Sie waren?«

»Nein«, gestand ich leicht beschämt und nahm einen Schluck, damit ich einen Augenblick mein Gesicht verbergen konnte.

»Warum nicht?«

»Er kam erst gegen ein Uhr nachts nach Hause und heute früh hatte ich keine Gelegenheit.«

»Werden Sie es ihm erzählen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Wissen Sie«, begann ich, »es war sehr schön gestern. Wie ein kleiner Urlaub vom Leben. Es ist nichts passiert und es würde auch nichts passieren. Es gibt nichts zu erzählen.« Jack nickte.

»Sie haben nicht viel Spaß, oder?« Schulterzuckend trank ich die Tasse Kaffee aus. »Ich würde Sie gerne näher kennen lernen, Anne«, gestand er. Beinahe hätte ich mich verschluckt und sah ihn irritiert an. »Ich glaube, Sie sind ein interessanter Mensch und ich bin mir sicher, Sie brauchen einen Freund.« Noch immer sah ich ihn schweigend an und er beantwortete eine unausgesprochene Frage. »Ich habe das Gefühl, Sie unterhalten sich nicht wirklich. Jedenfalls nicht über ihre Gefühle.« Das traf zu, aber ich sagte es nicht. Dennoch fand ich es sehr seltsam. Er schien mich besser zu kennen, als irgendjemand sonst. Langsam kamen die Kollegen ins Zimmer und wenig später klingelte es zum Unterricht. An diesem Tag hatte ich eine Stunde, um mit einer Klasse über Schulprobleme und andere Sorgen zu reden. In Literatur hatte ich vier verschiedene Klassen an diesem Tag ...

Wenn ich so daran denke, spielte das kaum eine Rolle. Was ich erlebte, hatte nicht unbedingt was mit den Schülern zu tun. Es drehte sich nur um Jack. Er ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Meine Gedanken kreisten sich um ihn. Als ich durch den Park ging, ein kleiner Umweg auf dem nach Hause Weg, setzte ich mich für einen Moment auf eine Bank. Mein Kopf fühlte sich so voll an, dass ich einfach noch nicht bereit war, in die Wohnung zu gehen.

»Darf ich mich setzen?«

»Mmh?« In diesem Augenblick sah ich auf und schaute direkt in Jacks Augen. Natürlich war er im Park. Das war definitiv kein Zufall. Aber es war keineswegs beängstigend. Er nahm neben mir platz und schwieg solange, bis er wahrscheinlich wusste, was er sagen konnte:

»Ich bin Ihnen nicht gefolgt.«

»Habe ich auch nicht gedacht.«

»Wieso haben Sie dann so geschaut?«

Mir war das gar nicht bewusst gewesen.

»Habe ich?«

»Ja.«

»Ironischerweise habe ich gerade an Sie gedacht.«

»Okay. Und was da so?«

»Spielt keine Rolle«, sagte ich leise und drückte meine Augen einen momentlang so fest zusammen, dass sie schmerzten.

»Für mich schon.«

»Ehrlich?« Wieder nickte er. »Wieso, Jack, spielt es eine Rolle?«

»Weil ich Sie sympathisch finde.«

»Mmh.«

»Wieso finden Sie das so erstaunlich?«

»Zuerst sagen Sie ich sei ›interessant‹ und jetzt auch noch sympathisch. Da komme ich nicht ganz mit.«

»Sie bekommen nicht viele Komplimente, oder?« Darüber dachte ich einen Moment nach. »Natürlich. Von meinen Schülern.« Er lächelte - sehr umwerfend.

»Nein, ich meine von Ihrem Mann oder Eltern, oder Schwiegereltern, Freunden, und so weiter.«

»Ich kann mich nicht erinnern«, gab ich zu.

»Glaube ich Ihnen«, sagte er sanft und sah mir in die Augen. Ich glaube, mein Herz setzte einen Moment aus und ich musste kurz die Luft anhalten, um mich selbst wieder zu fangen.

»Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«

»Sicher.«

»Sie scheinen ein überaus netter junger Mann zu sein. Es ist beeindruckend, wie Sie die Menschen, um Sie herum, so gut einschätzen können. Aber wieso wollen Sie unbedingt mit mir befreundet sein? Sie sind 22 und ich bin 28, wir haben doch nichts gemeinsam.« Oje, das war zu heftig.

»Da irren Sie sich. Ich möchte mit Ihnen nicht nur befreundet sein. Aber fürs Erste wäre es eine Ehre, Ihr Freund sein zu können. Ich kann die Leute einschätzen, weil ich beobachte. Jeder verrät sich durch sein Verhalten.« Ich lächelte und ignorierte, was er über das ›nicht nur befreundet sein‹ sagte.

»Wenn Sie nur beobachten, können Sie dann überhaupt am Geschehen teilnehmen?«

»Ich nehme doch jetzt teil«, sagte er schmunzelnd.

»Kümmert sich auch jemand um Sie, Jack?« Er blickte mir in die Augen. »Ist jemand für Sie da, wenn Sie krank sind oder wenn Sie einen schlechten Tag haben?«

»Schon lange nicht mehr.« Sein Blick wurde traurig.

»Das tut mir leid, Jack«, sagte ich und griff nach seiner Hand. »Ich würde Ihnen gerne etwas vorschlagen.« Er sah neugierig auf. »Es wäre schön, einen Freund zu haben. Es ist lange her, das ich mit jemanden einfach nur zusammen saß und geredet habe. Es wäre schön, mit Ihnen über Dinge zu reden, die ich höchstens einem Tagebuch anvertrauen würde. Das alles wäre großartig. Doch bin ich verheiratet. Ich könnte unsere Freundschaft niemals publik machen.«

»Das Sie verheiratet sind, haben Sie schon sehr oft gesagt« , murmelte er. Mein Blick schweifte Richtung Himmel und leise, kaum hörbar, flüsterte ich:

»Weil ich es mir selbst wiederholen muss. Ich muss mich selbst ermahnen und erinnern, dass ich einen Mann habe.« Er drehte mein Gesicht wieder zu sich und wischte eine Träne von der Wange - wie sie dahin kam, wusste ich nicht.

»Liebst du deinen Mann?« Das ›du‹ tat gut.

»Was spielt das für eine Rolle?«

»Das ist alles, was zählt.«

»Ich bin mir nicht sicher«, seufzte ich ehrlich.

»Empfindest du denn etwas für mich?« Mir fehlten die Worte. Er nahm mich in den Arm. »Sag mir, was du denkst, Anne«, hauchte er.

»Noch nie hat mich jemand so etwas gefragt«, ich lächelte traurig. »Ständig sagt man mir, was ich tun und lassen soll. Will mir irgendwas erklären, was ich aber weiß. Niemand nimmt mich für voll. Für jeden bin ich nur das kleine dumme Mädchen. Es schmeichelt, was du gesagt hast. Doch bin ich mir nun nicht sicher, ob das, was ich empfinde, nur daraus entstand, weil du so überaus nett bist oder ob da mehr hinter steckt. Es ist nicht einfach. Zudem bist du sechs Jahre jünger.«

»Das Alter ist unwichtig.« Er schaute zu Boden und fuhr sich gedankenverloren mit der Hand durch seine Haare.

»Das sagst du! Du bist 22! Du bist gutaussehend, charmant, witzig und dank deiner unglaublichen Augenfarbe scheinst du auch noch sehr mysteriös zu sein. Manchmal habe ich das Gefühl, du spürst, wie sich jemand fühlt oder was er denkt.«

»Es sind nur zahlen. 22, 28. Das ist unwichtig«, meinte er, während er mich wieder ansah. Dann grinste er. »Du findest mich gutaussehend?«

»Das weißt du doch.«

»Woher? Du hast gestern kaum ein Wort mit mir geredet.«

»Weil du mich eingeschüchtert hast.«

»Ach so. Anne, ich würde dich gerne irgendwann küssen.«

»Das geht nicht.« Ich spürte, wie es kälter und später wurde. »Wieso bist du nicht vergeben?«

»Weil ich auf die Richtige warte«, sagte er unfassbar ernst und aufrichtig.

»Du hattest aber schon Beziehungen, oder?«

»Ja und ich hatte natürlich auch schon, du weißt schon.« Ich wusste und errötete. »Doch es war nie das, was ich gesucht habe.« Natürlich wusste ich, was er meinte, und nickte verständnisvoll.

»Ich kenne dich schon einige Monaten. Es ist schade, dass du verheiratet bist.«

»Was, bitte, soll ich darauf jetzt erwidern?«

»Das brauchst du nicht.« Und so blieben wir noch eine Weile sitzen. Erst als es anfing, zu regnen ging ich nach Hause. Auch an diesem Abend kam mein Mann erst sehr viel später, als es Normal gewesen wäre. Irgendwie störte es mich nicht. Er aß auswärts und ich konnte entspannen. Die nächsten Tage waren kaum der Rede wert. Ich konzentrierte mich auf die Arbeit. Ich konzentrierte mich darauf, Jack nicht alleine zu treffen. Mein Kopf schmerzte. Ich war verwirrt und verunsichert. Meine Gefühle konnte ich nicht leugnen. Es ging nicht. Mein Mann war kaum noch da.

Eines Tages, als ich die Wäsche wusch, entdeckte ich einen Lippenstiftabdruck auf seinem Kragen. Wie blöd muss man eigentlich sein? Es so offensichtlich zu machen und den Beweis so lächerlich direkt zu präsentieren. Als ob es darauf angelegt wurde. Als es auch an diesem Abend sehr spät wurde, saß ich im Wohnzimmer, trank von dem teuren Wein, den wir für einen speziellen Anlass aufhoben, und hatte das Hemd auf dem Tisch liegen. Um nicht zu aufbrausend zu sein, las ich ein Buch.

»Oh, Hallo, du bist noch wach?«, wurde ich begrüßt. Erst da bemerkte er das Hemd.

»Kannst du mir das erklären?« Er schaute sich kurz um (wahrscheinlich wollte er sichergehen, dass keine scharfen Gegenstände in meiner Nähe standen). »Es tut mir leid«, sagte er und zog einen Stuhl zurück, um sich zu setzen.

»Was tut dir leid? Du hast eine Affäre!«

»Kannst du mir verzeihen?«

»Mit wem?«

»Mandy.«

»Mandy? Mandy Hauslaub?« Er nickte. »Mandy, die Frau meines Chefs?« Erneutes nicken. »Die Pfarrerstochter.«Wow. Er bediente sich jedes Klischees.

»Es tut mir wirklich leid«, wiederholte er sich.

»Hattet ihr Sex?« Er nickte. »Das Hemd war teuer, oder?« Er brauchte nicht zu antworten. Natürlich war es das. Der ganze Anzug war italienisch. Ich kippte, sehr langsam und bewusst, mein Glas Wein - Rot - über das Hemd. Er schwieg. »Ich möchte jetzt nicht mehr darüber reden. Soll deine Mätresse doch das Hemd reinigen.« Ich stand auf, ging ins Schlafzimmer und kam wenig später zurück.

»Du willst weg?« Ich lachte auf.

»Nein, du wirst im Hotel, Motel oder bei deiner Geliebten schlafen. Ich will dich erst wieder sehen, wenn ich weiß, was nun werden wird.«‹

Das magische Armband

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