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6. Verdauen

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2012

Das musste ich erst einmal sacken lassen. Ich war müde und erschöpft. Es war ziemlich heftig, was ich da las. Es mag womöglich gar nicht so gewesen sein. Aber für mich hörte es sich so an, als sei es ein Bombeneinschlag gewesen. Ich blätterte um und bemerkte, dass das Tagebuch viele raus gerissene Seiten aufwies. Aber es war spät und ich musste schlafen.

In der früh ging ich zum Haus meiner Großmutter, damit ich dem Leiter des Heimes die Tür öffnen konnte. Wartend setzte ich mich auf die Treppenstufen, zog meine Beine an und dachte über das nach, was ich las. Meine Großeltern waren sehr lange verheiratet. Aber wer war dieser Jack? Das Tagebuch hatte einige Lücken. Ich werde also nie erfahren, was dort gestanden hat. Ich holte das Foto raus und schaute es mir an. Es war nur ein Schwarz/Weiß Bild. Und doch sagte es so viel aus. Der Blick: offen und herzlich. Rein. Das Lächeln: zaghaft, vielsagend und zuversichtlich. Das Foto, so seltsam es auch klingen mag, gab mir Kraft. Endlich. Es wirkte für mich so hoffnungsvoll. Ich fühlte mich verlassen. Einsam. Ich war alleine. Meine Freunde waren alle weggefahren, und eigentlich hatte ich auch nicht wirklich viele. Meine Eltern hingen an ihrer Geschäftsreise - ja, ich sah es ein, es war eine - ihren Urlaub dran. Sie waren so reserviert. Wenn ich mit ihnen sprach, schienen sie etwas zu verbergen. Besonders meine Mutter. Sie kicherte dann nervös oder beendet einfach so einen Satz, ohne dass er Sinn ergab.

Wieso aber schrieb Oma, ich sollte alles lesen? Was denn? Wo denn? Als ich ein Auto vorfahren hörte, steckte ich das Bild wieder in meine Tasche und stand langsam auf. Auf dem Kleintransporter stand der Name des Heimes drauf.

»Hallo, sind Sie Maja?«

»Ja, danke das Sie gekommen sind.« Ich hielt ihm die Tür auf. »Ich kann Ihnen beim Beladen helfen.« Zusammen packten wir die Kisten, Körbe und Kartons ein und stopften den Kofferraum und Großteil des Innenraums zu. Es ging recht schnell und nachdem der Mann mir gedankt hatte, war es vorbei. Es erinnerten nur noch die Möbel daran, dass jemand in diesem Haus gelebt hatte. Ich wusste nicht, was damit passieren sollte. Also bot ich dem Mann, bevor er wegfuhr an, diese eventuell auch abzuholen. Aber das wollte er nicht. Ich beschloss sie da zu lassen, wo sie waren. Irgendwann wird das Haus verkauft und vielleicht möchte ja eine arme alte Dame diese Möbel behalten. Und als ich darüber nachdachte, flammte eine Idee auf. Natürlich musste ich das mit meinen Eltern bereden, aber für mich stand es fest: Ich wollte das Haus verschenken - oder, damit es keine Schenkungssteuer gab, für sehr wenig Geld verkaufen. Damit irgendjemand, der es nötig hat, ein Dach über den Kopf bekam. Das Foto schien aus mir einen besseren Menschen zu machen.

Ich war nicht immer so. Ja, gegenüber meiner Großmutter war ich lieb. Aber ich war genauso ein egoistischer Teenager, wie die meisten. Dabei wusste ich es. Ich drehte meine Musik laut, war bockig und streit freudig - besonders meinen Eltern gegenüber. Es gab Zeiten, da hasste ich alles und jeden. Doch irgendwann las ich mit meiner Oma ein Buch und etwas in mir befreite sich von diesem Zustand der Ignoranz. Ich weiß nicht, ob ich wirklich so schlimm war, wie ich es gerade beschrieb. Aber es kam mir so vor. Im Nachhinein ist man immer schlauer und sieht die Dinge aus einer anderen Perspektive.

Als ich am Telefon mit meinen Eltern darüber sprach, spürte ich, wie sie sich richtig dagegen sträubten. Sie wollten das Geld. Aber wir hatten genug. Nach langem Hin und Her konnte ich meinen Kopf durchsetzen und sie überließen es mir. Am nächsten Tag setzte ich mich mit dem Anwalt zusammen und wir besprachen alles Weitere. Es war nicht viel, was wir verlangten und das, was dabei raus sprang, sollte ebenfalls für einen guten Zweck gespendet werden. Das war meine Art des Trotzes. Und der Trauer. Ich musste meine Energie und meine Gedanken in so etwas investieren, sonst würde ich nur noch heulend zu Hause sitzen - ein zu Hause, welches bald der Vergangenheit angehörte. Ich musste zuversichtlich in die Zukunft blicken. Konnte mich nicht verstecken und schon gar nicht Trübsal blasen.

Alles, was jetzt noch wichtig war, war mich auf das neue Schuljahr zu konzentrieren und mich um den Umzug kümmern. Meine Kisten waren relativ schnell gepackt. Ich wollte einen Neuanfang und kaufte mir neue Klamotten. Warum? Zum einen hatte ich einiges gespart und bekomme viel Taschengeld (genug jedenfalls) und zum anderen musste ich diesen Ort und alles, was ich damit verband, hinter mir lassen. Ich packte also nur meine CDs, Bücher, DVDs, Bilder, ein paar Figuren und was man sonst in so einem Jugendzimmer findet, ein. Meine Schultasche war gepackt, wobei ich die neuen Schulbücher vor Ort abholte. Aber vieles andere, was ich im nächsten Schuljahr brauchen sollte, war gut verstaut. Obwohl, vielleicht war es gar nicht verkehrt, einige meiner alten Kleidungsstücke doch aufzubewahren - man weiß ja nie. Es konnte also losgehen.

Ich las immer wieder im Tagebuch. Blätterte sogar die leeren Seiten durch. Irgendwas musste ich übersehen haben und dann, als ich die Hoffnung fast aufgab, stand auf einer der letzten Seiten, ganz Nahe am inneren Rand, folgendes geschrieben:

›Not human.‹

Hä?

Ja, ich wusste, was es hieß, aber ich konnte den Zusammenhang nicht feststellen. ›Nicht menschlich?‹ Was sollte ich denn damit anfangen? Ich konnte es nicht - noch nicht.

Das magische Armband

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