Читать книгу Das magische Armband - Janine Zachariae - Страница 15

8. Schulbeginn

Оглавление

So musste ich mich am ersten Schultag selbst hinbringen und alles im Sekretariat erledigen. Zu meinem persönlichen Glück muss ich allerdings sagen, dass ich verantwortungsbewusst genug war, um das auch zu regeln. Wir fingen, unüblicherweise die erste Woche tatsächlich an einem Montag - nicht Donnerstag - an. Warum? Weil die Schule die Woche davor noch irgendein technisches Problem hatte. Normalerweise sollten doch die sechs Wochen dafür sein, um sich auszuruhen. Aber ich war so froh, endlich wieder einem normalen Alltag nachgehen zu können - jedenfalls hoffte ich das. Als ich zum Klassenzimmer gebracht wurde, verspürte ich so ein leichtes Kribbeln. Es lag an der Aufregung, dessen war ich mir bewusst. Doch als die Direktorin die Tür öffnete, wäre ich fast umgefallen vor Schock.

»Guten Morgen, Frau Direktorin.«

»Guten Morgen, Herr Traum, wir haben eine neue Schülerin, Maja Stark.« Sein Blick schwang zu mir und für einen Moment schien er zu überlegen.

»Hallo, Maja!« Er reichte mir die Hand und ein Schauer durchlief mich.

»Hi«, krächzte ich. Es läutete zum Unterricht und der Lehrer stellte mich der Klasse vor.

»Maja, es ist bei uns üblich, in der ersten Stunde, etwas über die Sommerferien zu erzählen und es wäre toll, wenn du den Anfang machen könntest. So lernen deine Mitschüler dich auch gleich etwas kennen.« Ich blickte mich um und sah so viele fremde Gesichter. Die alle gespannt, kichernd oder gelangweilt dreinschauten.

»Mmh.« Ich schaute in die Augen des Lehrers - das hätte ich lieber nicht machen dürfen. »Wäre es okay, wenn ich mich stattdessen etwas vorstelle.« Herr Traum verschränkte die Arme und nickte. »Danke. Also, mein Name ist Maja Stark, bin 16 Jahre alt und erst letzte Woche hierher gezogen. Die letzten Wochen waren sehr schwer. Meine Eltern sind geschäftlich unterwegs und kommen, glaube ich, erst in einer Woche wieder. Ich lese sehr viel und interessiere mich für Musik. Das waren so die Eckpunkte.«

»Danke Maja, du kannst dich in die erste Reihe setzen.« Ich nahm platz und beobachtete meinen neuen Klassenlehrer. Eigentlich verstand ich kaum, was er sagte oder was die anderen erzählen. Ich hörte zu und würde wahrscheinlich auch manches wiedergeben können, aber ich konzentrierte mich mehr auf den Mann. Er sah viel zu gut aus, um ein Lehrer zu sein. Und diese Augen. Er war der Mann, den ich die letzten Tage immer wieder sah. Er kam mir, je öfter ich ihn ansah, immer vertrauter vor. Unglaublich. Wir bekamen auch direkt die erste Hausaufgabe des Schuljahres auf: einen Aufsatz über die Sommerferien zu schreiben.

»Kann ich dich kurz sprechen, Maja?«, fragte Herr Traum, als es bereits klingelte. Ich blieb stehen. »Wenn du Probleme oder Fragen hast oder wenn dir etwas auf dem Herzen liegt, dann kannst du jederzeit mit mir reden. Ich bin der Vertrauenslehrer - letztes Jahr ernannt. Und ich würde nach dem Unterricht gerne mit dir über die Abwesenheit deiner Eltern sprechen.«

»Brauchen wir nicht. Bitte erzählen Sie es niemanden. Es ist gut so. So konnte ich über vieles nachdenken und Selbstständigkeit erlernen. Trotz meiner jungen Jahre, ist es okay für mich. Bitte, belassen Sie es vorerst. Sie können mit meinen Eltern reden, wenn sie da sind. Aber unternehmen Sie bitte nichts.« Herr Traum - welch ironisch passender Name! - verschränkte seine Arme und schien über das, was ich sagte, nachzudenken.

»Ja, ist gut.«

»Ich schreibe alles in meinem Aufsatz.«

Er nickte und entließ mich. Und irgendwie war es das dann auch. Der erste Tag war interessant und ich hatte viel zum Nachdenken. Zu Hause setzte ich mich an meinen Aufsatz. Ich tippte und tippte. Irgendwann hatte ich mehrere Seiten vollgeschrieben und legte die Blätter (zusammengeheftet) in eine Mappe.

Auch diese Nacht hatte ich Angst. Es raschelte vorm Fenster und manchmal hatte ich das Gefühl, dass jemand draußen stand. Abends stellte ich mir immer etwas zu trinken auf mein Nachtschränkchen und eine Taschenlampe war griffbereit, genauso wie der Schraubenzieher.

Meine Zimmertür konnte ich abschließen und tat es auch. Mitten in der Nacht glaubte ich allerdings, die Klinke zu hören, und hatte noch mehr Angst als zuvor. Ich drückte mein Kuscheltier ganz fest an mich und ließ die Musik leise weiterlaufen. Es beruhigte mich. Tief im Inneren wusste ich, das es Einbildung war. Aber aus irgendeinem Grund wuchs die Furcht von Stunde zu Stunde. Ja, ich schlief auch wieder ein und die restlichen fünf Stunden, bis der Wecker klingelte, auch durch. Dennoch fühlte ich mich ausgelaugt. Ich nahm eine kalte Dusche und frühstückte ausgiebig. Anschließend ging es mir besser. Mit meinem MP3 Player und den Ohrsteckern machte ich mich auf den Weg zur Schule.

Als ich auf dem Weg zur ersten Stunde am Klassenzimmer von Herrn Traum ankam, hielt ich inne und klopfte an die Tür.

»Guten Morgen, Maja!« , begrüßte er mich leicht irritiert. Schön, er konnte sich an meinen Namen erinnern.

»Morgen, Herr Traum.« Ich zog meinen Aufsatz aus der Tasche und reichte es ihm.

»Schon fertig?«

»Ja. Ich gehe Hausaufgaben immer direkt an und es tat gut über meinen Sommer zu schreiben.« Er sah mir in die Augen und es war fast so, als würde er in meine Seele blicken. Er hatte unglaubliche Augen. Sie waren so unglaublich golden, gesprenkelt mit einer anderen Farbe. »Okay, ich sollte dann mal den Raum für meine nächste Stunde suchen.« Er nahm meinen Zettel, auf dem alles stand und zeigte mir den Weg. »Danke.«

In der fünften Stunde hatten wir Kunst und damit Herrn Traum. Ich saß wieder ganz vorne und war fasziniert von diesem Lehrer. Kein guter Start, oder? Wir sollten Landschaftsbilder oder etwas Ähnliches malen. Ich malte einen Baum, der langsam seine Blätter verlor und im Hintergrund stand eine Frau, die allmählich verschwand. Sie trug ein langes Kleid, welches im Wind wehte. Ich hob die Frau etwas mehr an, als den Baum. Unten schrieb ich den Titel:

›Vergänglich.‹

»Das ist wirklich gelungen, Maja.«

»Vielen Dank.«

»Wer ist diese Frau? Sie sieht traurig aus.«

»Vielleicht ist sie das auch. Sie musste sich sehr lange verstellen.«

»Wer ist sie?«

»Meine Großmutter«, gab ich zögernd zu. Erst da wurde es mir nämlich bewusst. Sie wirkte so verloren.

»Darf ich es im Klassenraum aufhängen?«

»Wenn Sie es möchten, gerne.«

»Sie muss eine bemerkenswerte Frau sein.« Ich lächelte ihn an und nickte. Er ging weiter und schaute sich die restlichen Bilder an, während ich nicht wusste, wie ich meine Gedanken zum Stillstand bringen konnte.

Für Literatur blieben wir in diesem Raum, denn Herr Traum lehrte auch dieses Fach.

»Ich weiß nicht, wie weit du an deiner letzten Schule in Literatur warst?« Die Frage war an mich gerichtet.

»Wir hatten die letzten Wochen vor den Ferien kein Literatur, da unsere Lehrerin entlassen wurde. Aber bevor dies geschah, nahmen wir irgend so ein Buch über einen Hasen und ein Kaninchen durch.« Es wurde gekichert. »Ja, ich hab es auch nicht verstanden. Das Buch war lächerlich.«

»Du hast es nicht zufällig dabei?« Ich kramte in meiner Tasche.

»Allzeit bereit«, lobte er mich. »Darf ich es mir ausleihen.«

»Bitte, es gehört Ihnen. Aber ich warne Sie jetzt schon, es wird mit Abstand das schlimmste Buch sein, was Sie je gelesen haben und jemals lesen werden«, prophezeite ich. Er lachte und drehte es um.

»Ein Hase ging auf Abenteuer und traf ein Kaninchen. Der eine wollte den anderen imitieren«, las er vor.

»Ja, Herr Traum, eigentlich ist die Idee gut. Es würde um Wahrnehmung gehen, um Vertrauen und Gleichberechtigung. Der Grundkern wäre die Jagd der Macht.«

»Eigentlich?«

»Ich möchte Ihnen auch gar nicht zu viel verraten. Lesen Sie es. Es ist schlimmer als das Buch mit dem Känguru.«

»Jetzt bin ich verwirrt.« Kurz riss ich den Inhalt an und fügte schmunzelnd hinzu: »Es ist eine seltsame Komödie, die aber sehr lächerlich ist.«

»Mmh, okay.«

»Aber das beste Buch war das, indem es um Gnome geht, die mit Mäusen reden. Der absolute Wahnsinn.« Alle lachten und ich mit ihnen.

»Ah ja. Ich glaube, ich verstehe, warum die Lehrerin entlassen wurde.« Ich lachte und nickte.

»Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, ich denke mal, ich würde mit dem, was auch immer hier gelesen wird, zurechtkommen.«

»Du liest viel?«

»Relativ.« Ich zuckte mit den Schultern.

»Okay, Maja hat uns nun einen Einblick in eine Welt der einfachen Literatur gegeben. Maja, hast du daraus etwas gelernt?«

»Mmh, ja, eigentlich schon. Bücher über Tiere sind einfach gehalten. Sie lesen sich leicht und man braucht sie weder zu analysieren, noch darüber groß nachdenken. Wenn man die letzte Seite las, klappt man das Buch zu und denkt nicht weiter darüber nach. Bei vielen anderen Büchern hat man oft noch tagelang zu grübeln.«

»Interessant. Sieht das die restliche Klasse auch so?« Ein Getuschel ging umher und viele nickten.

»Neues Schuljahr, neue Bücher. Die Bücherliste habt ihr an eurem letzten Schultag bekommen. Ihr solltet über die Ferien wenigstens eins der Bücher gelesen haben. Dir werde ich nachher die Liste geben, Maja.« Ich nickte dankend, war gespannt, um welches Buch es sich handelte. Ich war in der elften Klasse und da sollte es etwas anspruchsvoller werden, als noch in der zehnten. Wobei alles wahrscheinlich anspruchsvoll, im Gegensatz zur Hasen Geschichte, war. »‹Bridget Jones - Schokolade zum Frühstück‹«, fügte er hinzu, »werden wir als erstes durchgehen. Und hinterher den zweiten Teil ›Am Rande des Wahnsinns‹. Ich werde schnell herausfinden, ob jemand nur den Film sah oder das Buch las.«

Da musste ich schlucken. Okay, wenn er meinte. Aber so anspruchsvoll war das Buch auch nicht. Gespannt war ich trotzdem, wohin es gehen sollte. »Kennst du das Buch, Maja?«

»Oh ja, ich habe es vor einer Ewigkeit gelesen.«

»Gut«, meinte er schmunzelnd. Dann klingelte es. Eine seltsame Stunde. Ich wartete noch kurz und bekam die Liste. Bedankte mich und ging zur letzten Doppelstunde, Sport. Nicht schön. Doch schön, wie ich kurz nach dem Umziehen feststellte. Denn der Sportlehrer der Jungs war kein geringerer als Herr Traum. Ach du meine Güte! Hatte der Mann eigentlich nur Unterricht? Wir hatten eine Frau Namens Gabi Gramulin. Sie war streng und wir liefen, draußen bei mindestens 30°C im Schatten, zehn Runden. Die Jungs spielten Basketball. Sie hatten Spaß, während wir uns abrackerten. Ich konnte allerdings so unbemerkt Herrn Traum beobachten und er war ein Traum. Es war nicht gut, was ich dachte, und langsam begann, zu empfinden. Es war alles andere als gut. Nach der achten Runde musste ich eine Pause einlegen und wurde direkt angebrüllt wir seien hier nicht im Museum. Na ja, es war sehr warm. Der Schweiß floss nur so von uns Mädels, es war widerlich und es stank. Anschließend gab sie jeder von uns ein Springseil und wir mussten noch 100-mal springen, danach - weil es so schön war - sollten wir wieder laufen. Allerdings Staffellauf. Ich wusste nicht, wofür sie uns so schuften ließ, aber es schien ihr Spaß zu machen. Vielleicht wollte sie ja ein Team für die Olympiade? Zwischendurch meckerte sie ein etwas molligeres Mädchen voll, sie sollte ihr Ferienspeck endlich wieder ab trainieren. Das war dreist und nachdem das Mädchen noch etwa zehn Minuten mit blöden Sprüchen, auch von den anderen, beschimpft wurde, musste ich was machen. Denn ich wusste, dass das sie litt.

»Okay, ich bin neu hier. Doch das es auch hier so abläuft, hätte ich nicht gedacht.« Ich war ziemlich laut und merkte, wie auch die Jungs sich zu uns umsahen. »Aber es ist nicht schön, wenn man sich einen eher schwachen Mitschüler herauspickt und anfängt zu schikanieren. Was bringt das? Das ist Mobbing und nichts anderes. Es ist nicht cool oder stark. Es zeigt von Schwäche. Nehmt euch lieber jemanden vor, der sich verteidigen kann.«

»Was weißt du denn schon?«, wurde ich gefragt.

»Oh, eine ganze Menge. An meiner alten Schule war ein Mädchen, sie wurde so gehänselt und geärgert bis sie es irgendwann nicht mehr aushielt und versuchte sich das Leben zu nehmen. Zum Glück wurde sie von jemanden gefunden, aber es hätte durchaus auch anders ausgehen können. Wisst ihr, es gibt einen tollen Spruch, der eigentlich immer passt: Behandelt jeden Menschen so, wie ihr selbst behandelt werden wollt«, damit beendete ich meine kleine Rede und lief zur Umkleide. Die Stunde war eh zu Ende. Ich zog mich blitzschnell um und rannte in meinen Lehrer.

»Tut mir leid«, murmelte ich.

»Schon gut. Das, was du gesagt hast, war sehr mutig.«

»Nein, eigentlich nicht. Manche würden es wohl als zu, was auch immer, bezeichnen.« Die anderen kamen rein und meinten, ich würde stinken. »Ja, mag sein. Aber ich kenne das aus vielen Serien oder Filmen. Man duscht und prompt, werden einem die Klamotten weggenommen. Ja, ja, alles schon erlebt. Ich wohne nicht weit von hier und kann da unter die Dusche springen.« Dann sah ich zum Lehrer und verabschiedete mich und rannte nach Hause, weil ich wirklich stank. Als ich die Tür aufschloss, hatte ich schon wieder so ein komisches Gefühl. Ich ignorierte es und sprang unter die Dusche, seifte mich ein, enthaarte meine Beine und Achseln und wusch meine Haare, danach gab es noch eine Spülung. Anschließend trocknete ich mich ab und cremte mich ein. Mein Haar musste ich leider föhnen, da ich noch mal in die Stadt wollte. Ich zog mir eine kurze Hose, Tanktop und meine Chucks an und schloss die Haustür mehrfach ab.

Die Alarmanlage schaltete sich ein und schon war ich unterwegs. Ich hatte einiges zu erledigen. Lebensmittel besorgen und die Bücher, die mir noch fehlten. Die meisten hatte ich, daher waren es nur noch fünf von fünfzehn. Es war schön draußen und mit meinem MP3-Player verging die Zeit sowieso sehr gut.

Ich setzte mich auf eine Bank im Park und holte ein Buch hervor. Das war Nummer acht auf der Liste und ich kannte es noch nicht. Ich war total in Gedanken und bemerkte erst als ich angesabbert wurde, dass ein Hund sehr nah an meinem Bein war. Ich blickte auf und entdeckte - wen sonst?! - meinen Traum-Lehrer.

»Oh, wow. Was für ein Hund!« Ich löste meine Kopfhörer. Er lachte.

»Das ist Molly, meine Labradorhündin.«

»Molly ist ein schöner Name.«

»Danke. Du hast dich umgezogen«, bemerkte er.

»Ja, sogar geduscht. Jetzt stinke ich nicht mehr«, lächelte ich.

»Das hattest du nicht. Darf ich mich zu dir setzen?« Ich stellte meine Taschen auf den Boden und nickte. »Was liest du da?« Ich hielt das Buch hoch. »‹Julia‹ von Anne Frontier«, las er laut.

»Ich weiß, wieso Sie zuerst ›Bridget Jones‹ auf die Liste setzten. Ich ahnte es irgendwie direkt.«

»Na, da bin ich aber gespannt.«

»Es geht um ›Mister Darcy‹.«

»Du bist klug«, er klang perplex.

»Es geht.«

»Du hast ›Stolz und Vorurteil‹ also schon gelesen?«

»Gelesen?«, fragte ich leicht empört.

»Nicht?«

»Verschlungen trifft es eher. Es ist eines meiner Lieblingsbücher.«

»Wie kommt ein Mädchen mit 16 Jahren auf Jane Austen?«

»Es kommt nicht aufs Alter an. Jane Austen ist zeitlos. Und ist es nicht das, wovon jedes Mädchen träumt? Shakespeare ist ebenfalls zeitlos. ›Julia‹ hatte ich schon seit langem auf meiner persönlichen Liste. Die Bücher, die davor drankommen, kenne ich und somit kann ich mich komplett auf die anderen konzentrieren. Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«, wagte ich mich vor.

»Sicher«, sagte er und sah mich neugierig an.

»Gehen Sie nach Lehrplan oder haben Sie Helen Fielding, Jane Austen, und all die anderen - meist wundervollen - Autorinnen selbst auf die Liste gepackt?«

»Teils, teils. Es hat seine Gründe, weshalb ich gewisse Bücher wählte.«

»Das Jungen auch die Sicht der Frauen besser sehen?« Er nickte. »Aber das ist veraltet.« Er sah mich erstaunt an. »Es tut mir leid. Nein, das meinte ich anders.« Ich holte Luft und fing noch mal an. »Natürlich sind diese Frauen stark und wissen - meist - was sie wollen. Doch sie sind auch an den Haushalt gebunden. Auch wenn Mrs. Bennet eher sarkastisch sein sollte, so hat sie doch gewisse Ähnlichkeiten mit vielen Frauen, die auch heute noch an den Herd gefesselt sind.«

»Das stimmt. Aber es geht mir eher um die Stärke.« Ich nickte.

»Entschuldigen Sie, ich wollte nicht Ihre literarischen Gründe anzweifeln. Es ist wunderbar über all jene Heldinnen zu sprechen. Auch wenn ich bezweifle, dass wirklich viele eigentlich dahinter kommen, wer nun was war.«

»Mmh?«

»Bei ›Stolz und Vorurteil‹, wer war Stolz, wer hatte lauter Vorurteile? Sollten wir auch darüber eine Arbeit schreiben, was ich hoffe, werden Sie meine Meinung dort lesen.«

»Du willst eine Arbeit darüber schreiben?«

»Test, Arbeit, Aufsatz. Ist mir gleich. Aber Literatur war seit jeher mein Lieblingsfach, auch wenn wir in meiner alten Schule über ein Kaninchen und einen Hasen lamentierten«, gab ich zu und Herr Traum musste dabei schmunzeln.

Er wirkte vollkommen anders auf mich, als in der Schule. Eher wie in einem Traum, den ich nach unserer ersten Begegnung hatte.

»Wie kommt das?«

»Das mit dem Hasen?«

»Nein«, er lachte, »mit der Vorliebe für Bücher?«

»Durch meine Großmutter würde ich sagen.« Da fiel ihm scheinbar etwas ein, denn sein Blick wurde trüber.

»Ich habe deinen Aufsatz gelesen.«

»Ach, das ging aber schnell.«

»Wenn mich was interessiert, will ich es direkt lesen.« Ich merkte, wie ich errötete. Nicht das erste Mal während des Gesprächs. Ein unglaubliches Kribbeln ging durch meinen Körper und mein Handgelenk mit dem Armband war permanent heiß.

»Und, was sagen Sie?«

»Der Aufsatz ist sehr gelungen.«

»Danke, aber das meinte ich nicht.«

»Ich weiß.« Er zog an der Leine seiner Hündin und sah mir direkt in die Augen. »Du hast viel durchgemacht.« Ich zuckte mit den Schultern und meinte, es sei okay gewesen. »Nein, glaube ich dir nicht.«

»Ich weiß das sehr zu schätzen, dass Sie sich Sorgen machen, wirklich. Aber Sie haben Feierabend. Sie sollten nicht mit einer neuen Schülerin, bei solch einem tollen Wetter, über einen Aufsatz reden.«

»Doch, ich glaube schon.« Er biss sich kurz auf die Lippe und wirkte nachdenklich. Sein Blick wanderte zu meinem Handgelenk mit dem Armband. Ich berührte es automatisch und dann erst schaute er wieder in meine Augen.

Ich zog meine Augenbrauen zusammen und schüttelte irritiert den Kopf. »Na gut«, ich kapitulierte, »was möchten Sie wissen?«

»Wie hast du dich gefühlt während der ganzen Wochen?«

»Alleine, einsam, im Stich gelassen. Ich war mit meiner Trauer alleine. Wissen Sie, wie das ist? Eigentlich will man den ganzen Tag weinen, in Selbstmitleid versinken und alles anschreien, was da ist. Ich wollte trotzig sein. Mich zurückziehen und mit DVDs ablenken«, gab ich zu, lächelte und fügte hinzu: »Aber das ging nicht. Stattdessen habe ich mich mit der Beerdigung rum geschlagen, bin die Sachen meiner Oma durchgegangen und habe das Haus geputzt. Das konnte sie zu letzt nicht machen und ich wollte meine Zeit - mit ihr - nicht durchs Saubermachen verschwenden. Schließlich musste ich mich ja auch auf Prüfungen konzentrieren und lernen. Ihr Gesundheitszustand verschlimmerte sich und irgendwie musste ich auch damit umgehen. Ja, das mag egoistisch klingen. Schließlich war sie es, die krank war. Aber es traf mich härter als am Ende ihr Tod. Blöd, oder?« Er schüttelte den Kopf und hörte weiter zu. »Ich verbrachte viel Zeit mit ihr, wollte sie ablenken und habe es auch ein wenig geschafft. Wir hatten immer ein Hobby, das Lesen. Sie las Bücher von mir und ich ihre. Sie las Twilight und ich Jane Austen. Das war für uns beide sehr spannend. So blieb sie fit im Kopf und ich durfte in die Welt von Austen eintauchen. Es war auf eine eigenartige Weise eine schöne Zeit, auch wenn ich manchmal nicht genau wusste, wie ich mit ihr umgehen sollte. Manchmal machten wir auch einen Spaziergang oder setzten uns auf die Terrasse. Als es dann zu Ende ging, war ich bei ihr. Wir haben gerade über ein Buch geredet, als sie meine Hand nahm und sich verabschiedete. Meine Eltern waren da schon verreist, kamen aber zur Beerdigung wieder, und sind dann erneut weg. Meine Oma wollte, dass ich ihren Haushalt auflöse. Sie wusste, ich würde es schaffen. Sie vertraute mir. Sie schrieb es mir nicht vor.«

»Was hast du gemacht?«

Obwohl ich es bereits im Aufsatz geschrieben hatte, erzählte ich es kurz noch einmal. Ich glaubte, er wollte, dass ich mir einfach alles von der Seele sprach. Seine Hündin saß friedlich vor mir und während der gesamten Zeit kraulte ich sie am Kopf. Herr Traum schwieg.

»Wissen Sie«, fuhr ich fort, »es war mir egal, ob meine Eltern etwas dagegen hatten. Sie waren nicht da und es wurde festgelegt, sogar mit Anwalt, dass ich alles so entscheiden soll, wie ich es für richtig halte. Warum meine Oma mir so sehr vertraute, weiß ich nicht. Schließlich hätte ich auch das Gegenteil machen können. Nach Schätzungen, eines Fachmannes, war es schon mehr wert. Aber das war mir egal.«

»Das war deine Art des Trotzes«, stellte er fest und griff dabei meine eigenen Gedanken auf. Ich nickte.

»Tut mir leid, ich wollte Sie nicht so lange aufhalten.«

»Du brauchst dich nie für so etwas bei mir zu entschuldigen. Es ist schön, wenn du darüber reden kannst und es mir anvertraust. Wie fühlst du dich alleine in dieser neuen Stadt?«

»Unsicher. Zu Hause war ich, nicht unbedingt beliebt, aber ich wurde in Ruhe gelassen. Und ich kannte mich aus. Hier muss ich alles neu erkundigen. Das ist okay und macht Spaß.«

»Und in deinem neuen Zuhause?«

»Manchmal habe ich das Gefühl beobachtet zu werden. Ich habe ein wenig Angst im Haus, ehrlich gesagt. Es klingt dumm, aber irgendwie fürchte ich mich«, sagte ich und wünschte mir augenblicklich, ich hätte so einen lieben Hund, wie Molly an meiner Seite.

»Und wieso?« Er sprach sanft, und schien mich beruhigen zu wollen, da ich selbst spürte, wie meine Stimme etwas schwankte, war ich froh darüber.

»Weil ich es nicht gewohnt bin, so lange alleine zu sein. Normalerweise verbrachte ich, wenn meine Eltern wegfuhren, viel Zeit bei meiner Großmutter.«

»Was ist mit deinem Großvater?« Ich zuckte mit den Schultern.

»Keine Ahnung. Ich hab ihn nie kennen gelernt.«

»Wie lange wirst du denn noch alleine sein?«

»Auch das weiß ich nicht. Ich hoffe nicht mehr allzu lange.« Wieder schaute er mir tief in die Augen. Es war wirklich nicht gut, wie mein Herz darauf reagierte.

»Hat sich Marie eigentlich bei dir bedankt, dass du sie verteidigt hattest?« Ich schüttelte den Kopf.

»Nein, aber das ist vollkommen okay. Mich hat es nur sehr genervt, wie sie über das Mädchen herzogen. Ob sie es gut fand, bezweifle ich. Manche wollen sich nicht helfen lassen, weil sie denken, es würde noch mehr Schwäche beweisen.«

»Ist dem nicht so?«, fragte Herr Traum.

»Nein, ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Manchmal zeigt es von außerordentlicher Größe um Hilfe zu bitten oder sich helfen zu lassen.« Unauffällig spähte er auf seine Uhr. Langsam stand ich auf. »Vielen Dank. Das war unerwartet schön. Nie hätte ich geglaubt, mich so mit einem Lehrer unterhalten zu können.« Sein Blick huschte erneut zu meinem Armband.

»Und ich nicht mit einer Schülerin«, gestand er. Ein Lächeln zeichnete sich ab, ein bezauberndes. Seine Lippen waren wunderschön. Es war ansteckend.

»Was ist?«

»Nichts.« Oje, ich errötete abermals. Er bohrte mit seinem Blick. »Es sollte mehr Menschen geben, wie Sie. Ich kenne Sie noch nicht so lange, aber Sie scheinen einen Draht zu den Schülern zu haben und das ist klasse. Und, wenn ich das sagen darf, Ihr Unterricht macht Spaß.«

»Dankeschön. Aber ich kann auch streng sein.«

»Ganz bestimmt.« Da musste er lachen.

»Alles klar, Herr Traum, wir sehen uns dann morgen. Danke noch mal fürs zu hören.«

»Jederzeit Maja, jederzeit. Du kannst mich anrufen, wenn du mal wieder Angst hast.«

»Danke!« Er reichte mir seine Nummer. »Und du, liebe Molly, die mir so wunderbar meine Hand voll gesabbert hat, wünsche ich noch viel Spaß beim Herrchen ärgern.« Lachend ging er davon.

Oh Mann, was für ein Nachmittag. Oh, Mist!

Das magische Armband

Подняться наверх