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10. Bodenlos

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Als ich zum Ende des Tests ankam und fast fertig mit dem Aufsatz war, klopfte es erneut an der Tür. Eine Polizistin, die von gestern Abend, trat ein und flüsterte Herrn Traum etwas zu.

»Maja, die Polizeibeamtin würde dich gerne sprechen. Wie weit bist du mit dem Test?«

»Sollte reichen.« Ich stand auf und ging mit der Frau raus. »Könnten wir vielleicht auf den Hof gehen?«, fragte ich. »Ich brauche frische Luft.« Sie nickte und wir gingen nach draußen.

»Wir haben das Haus nun untersucht. Die Ermittlungen und Untersuchungen laufen zwar noch, aber wir wollten Sie informieren und wir haben auch noch einige Fragen.« Ich nickte. »Wann waren Sie das letzte Mal im Keller?«

»Beim Einzug hab ich dort alles hingestellt, was im Haus keinen Platz hatte. Und das war es.«

»Hatten Sie dort etwas Ungewöhnliches gesehen?«

»Äh, eigentlich nicht. Ich habe große Angst vor Kellerräume und bin sehr ungern dort.«

»Okay«, sagte sie zögernd und notierte sich etwas.

»Wieso?«

»Wir haben dort einen Schlafplatz entdeckt.«

»Wie bitte?«

»Es hat sich jemand in Ihr Haus eingenistet.«

»Tut mir leid, wenn ich noch mal blöd fragen muss: Aber haben Sie gerade gesagt, dass jemand, während ich in der Schule war, während ich im Haus war, im Keller gewohnt hat?«

»Ja.«

»Oh, wow.«

»Geht es Ihnen gut, Maja?«

»Ich glaube, mir wird schlecht.«

»Da ist noch mehr«, wagte sie sich vor. Sie zog ein paar Fotos aus der Tasche und zeigte sie mir. Ich sah noch mehr Handabdrücke. In meinem Zimmer - hinter dem Schrank, im Flur - hinter einem Bild und eine, die mir besonders Angst machte: in meinem Badezimmer.

»Maja, eine Sache wäre da noch. Und ich weiß nicht, wie ich es Ihnen beibringen soll.«

»Ich muss das erst mal mit den Handabdrücken verdauen. Konnten Sie Fingerabdrücke nehmen?«, stieß ich hervor.

»Wir arbeiten noch daran.«

»Alles klar«, ich atmete durch. »Sagen Sie es einfach, was auch immer es ist. Machen Sie es so, als ob Sie ein Pflaster abziehen würden.«

»Darf ich Sie fragen, ob Sie in letzter Zeit - in Ihrem Bett - einen Jungen hatten?«

»Nein, hatte ich nicht«, ich wusste nicht, was die Frage sollte, aber es war das Beste sie zu beantworten.

»Wir haben das Blaulicht über alles gehalten. Und wir haben auf ihrem Laken seine ... nun ja, Spuren gefunden.« Das war mein Stichwort. Mein Frühstück kam wieder hoch. Die Polizistin hielt mir eine Tüte hin, als ob sie schon vorher geahnt hätte, wie ich reagieren würde. Ich wollte gar nicht so genau wissen, was sie da fanden, aber sie erklärte es mir trotzdem.

»Können Sie die DNA, oder was das war, denn verwerten?«

»Das Laken ist bereits im Labor.« Mir war so schlecht.

»Da ist noch was.« Ich war kurz davor zu hyperventilieren. »Wir haben eine Kamera gefunden.«

»Wo?«

»In der Dusche.«

Das war es. Mein Kopf explodierte gerade, oder? Meine Hand fuhr durch mein Haar, was auch der Beweis dafür war, dass ich tatsächlich noch einen Kopf hatte. Ich stand auf und lief hin und her.

»Also, wenn ich das Mal alles zusammenfasse: Da wohnt jemand in meinem Keller, geht tagsüber im Haus spazieren, installiert eine Kamera in meiner Dusche, hinterlässt farbige Handabdrücke überall, macht was-auch-immer in meinem Bett und ist nachts vor meinem Zimmer und kratzt an die Tür. Habe ich was vergessen?«

»Nein, das ist es im Großen und Ganzen gewesen.« Sie wollte beruhigend klingen, aber innerlich musste ich doch auflachen. Das sollte alles ein Scherz sein, oder? Es klingelte zur Pause.

»Was unternehmen Sie nun alles?«, wollte ich wissen und kaute auf meiner Unterlippe. Meine Hände knetete ich permanent, es sollte mich entspannen, aber da klappte nicht. Es war, als würde alles auf einmal auf mir einschlagen. Mit voller Wucht.

»Ihre Eltern werden noch eine Weile weg sein, wie ich hörte.« Ich nickte. »Können Sie denn bei Herrn Traum bleiben?« Ich zuckte mit den Schultern und just in diesem Moment kam er raus. Er sah mich besorgt an.

»Ist alles okay, Maja? Du zitterst ja.«

»Kann ich mit Ihnen reden?«, fragte die Polizistin ihn. Er nickte und sie gingen ein Stück von mir weg. Fünf Minuten später verabschiedete sie sich und Herr Traum kam zu mir.

»Wir werden deine Sachen zu mir bringen und du bleibst bei mir, bis deine Eltern wieder da sind und das Haus sicher ist.«

»Das Haus wird nicht mehr sicher sein. Ich werde immer wissen: Da war jemand, der mich beobachtet hat. Hat Sie Ihnen erzählt, was sie raus fanden?« Er nickte und sah besorgt aus.

»Sie erzählte es mir und sie fanden auch das Video.« Ich spürte, wie meine Farbe aus dem Gesicht gewichen war, meine Beine fühlten sich wie Gummi an.

»Danke«, sagte ich zu ihm, als er mich festhielt. »Danke, dass Sie für mich da sind.« Er drückte meinen Arm.

»Was kann ich machen, damit es dir besser geht?«

»Sie haben schon mehr für mich getan, als nötig. Mehr kann ich nicht verlangen.«

»Ich bin für dich da. Soll ich dich nach Hause bringen?« Ich schüttelte den Kopf.

»Ich möchte nicht alleine sein. Aber wenn Sie mir sagen, das alles gut wird und mich in Gedanken umarmen, wäre es schön.«

»Okay. Alles wird gut, Maja.« Dann senkte er seine Stimme: »Ich würde dich jetzt gerne umarmen, aber das wäre unpassend.« Ich fühlte seinen Atem auf mir und bekam eine Gänsehaut. Es klingelte.

»Danke. Ich habe jetzt sowieso Mathe und ich kann es mir nicht leisten zu fehlen.« Wir standen auf und gingen hinein.

»Wir sehen uns zu Geschichte«, sagte er und verschwand. Als ich auf meinem Platz saß, musste ich daran denken, wieso wir eigentlich in diese Stadt zogen. Meine Mutter hatte keine Lust mehr, Hausfrau zu spielen. Und so fand sie eine Stelle an ihrer alten Uni. Sie konnte flexibel arbeiten und oft auf Geschäftsreisen mit meinem Vater sein. Er war die meiste Zeit beruflich unterwegs und ließ sich versetzen. So einfach war das. Sie fanden dieses Haus, als meine Oma noch am Leben war. Sie haben sie nach der Diagnose aufgegeben. Sie besuchten sie nicht mehr und ließen sie alleine. Das brach mir das Herz. Solch eine Reaktion vom eigenen Sohn. Es war nicht fair.

Sie machte alles für ihre Kinder und zum Dank wurde sie im Stich gelassen, als sie sie am meisten gebraucht hatte. Daher blieb ich auch mal über Nacht bei ihr. Wir lasen oft so lange, bis wir einschliefen. Sie wurde einfach aufgegeben. Mein Vater wusste, dass sie nichts vererben würde. Also machte er sich nicht die Mühe. Geld sollte aber doch in einer Familie keine Rolle spielen. Dabei spielt sie dort die Größte. Während ich so da saß und nachdachte, bemerkte ich nicht, wie die Stunden an mir vorbeizogen. Und plötzlich hatte ich schon Geschichte. Mein vorletztes Fach. Wie war das nur möglich? Irgendwie hatte ich die letzten Stunden überstanden, ohne wirklich was gemacht zu haben. In Geschichte nahmen wir Amerika durch dieses Jahr. Es war aufgeteilt in Musik, Kunst, Krieg, Hollywood und noch andere Themen, die wichtig für dieses Land waren. So auch Präsident Obama. Herr Traum fragte uns, ob sich das Land verändert hatte, seit Barack Obama regierte.

»Maja?«

»Mmh?«, ich blickte auf. »Oh, ›tschuldigung. Ja, hat es.«

»Inwiefern?«

»Insofern, dass das Land sich endgültig von der Rassentrennung befreite. Schon klar, das es in den 1950ern, etwa, passierte, aber mit dieser Amtszeit ist es offiziell. Ein Farbiger hat es ins ›Weiße Haus‹ geschafft. Er hat einiges bewirkt: Krankenversicherung für alle - na ja, zumindest so gut wie.

Er kämpft, dass der Krieg bald aufhört und er will sich für die Homo-Ehe einsetzen, sollte er noch einmal gewählt werden.

Für mich ist dieser Mann ein wunderbarer Präsident, der sich für die benachteiligten einsetzt und wieder leben ins ›Weiße Haus‹ gebracht hat - schließlich lebten seit den Kennedys keine Kinder mehr dort.« Meine Stimme war leidenschaftslos, obwohl ich das Thema interessant fand.

»Danke. Will irgendjemand was dazu sagen?«

»Ja, die Homo-Ehe sollte verboten werden«, sagte jemand, der Gregor hieß.

»Wieso?«

»Weil das nicht richtig ist.«

»Im 21. Jahrhundert?«, warf ich ein.

»Wieso interessiert es dich, Maja? Bist du etwa so eine?«, fragte der Junge.

»Nein. Aber wenn dem so wäre, würde ich dazu auch stehen - bestimmt. Es spielt doch keine Rolle, wer wen liebt. Solange man liebt und geliebt wird, sollte es niemandem verwehrt sein, seine Liebe auch öffentlich zu machen und mit dem Ja-Wort zu besiegeln.«

»Maja ist Homo«, brüllte irgendjemand. Ich zuckte mit den Schultern.

»Es tut mir leid, wenn jemand - heutzutage - noch so darüber denkt und nur die respektiert, die genauso sind.« Kopfschmerzen hatte ich und es nervte, wie man so engstirnig sein konnte.

Zum Glück war die Stunde zu Ende und wir hatten noch Musik. Und während der letzten 45 Minuten wurde über mich hergezogen. Herr Traum war ja nicht da. Als die Schule endlich aus war, wartete ich auf dem Schulhof auf meinen neuen Mitbewohner. Währenddessen las ich weiter in dem Buch ›Julia‹. Es war an ›Romeo und Julia‹ angelehnt. Ob es wohl auch so traurig endet?

Als ich Herrn Traum aus dem Gebäude kommen sah, hatte ich die Hälfte gelesen.

»Entschuldige, hat länger gedauert.«

»Kein Problem. So konnte ich gut im Buch vorankommen.« Er nickte und setzte sich zu mir.

»Willst du darüber reden?«

»Über was?«, wollte ich wissen, da ich wirklich keine Ahnung hatte, worauf er hinaus wollte. Es gab so vieles, über das ich reden würde. Doch er meinte nur das, was in Geschichte geschehen war. Ich war zu müde, um darauf einzugehen, und war eigentlich nur traurig, wie die Meinung darüber war. Er fragte mich schließlich, ob wir meine restlichen Sachen aus dem Haus holen wollten, ich nickte, denn ich brauchte dringend meine Klamotten.

Mein Magen fühlte sich seltsam an. Als wir vor dem Haus standen, hatte ich Angst. Herr Traum nahm meine Hand und nickte mir zu. Nun schlug mein Herz wie wild. »Okay«, flüsterte er. Ich schluckte und schloss die Tür auf. Wir hatten die Genehmigung der Polizei. In einem Schrank waren die Reisetaschen und Koffer verstaucht, wir schnappten uns einige und fingen an, meine Sachen dort einzupacken.

»Fehlt etwas?«

»Kann ich ...«, noch nicht sagen, wollte ich erwidern. Aber da entdeckte ich, in meiner Jane Austen - Bücherecke, eine Lücke.

»Was ist?«

»‹Mansfield Park‹ fehlt.« Mir war klar, dass er meinen Ausbruch nicht verstehen konnte - es war doch nur ein Buch. »Es ist nicht nur ein Buch«, meinte ich, als ob ich meine eigene Aussage widerlegte. »Es war von meiner Oma. Wie viele andere Schätze, die hier stehen. Als ich ihre Sachen einpackte, fiel mir das Buch runter. Es landete auf einer Seite, die mit einer Notiz bemerkt wurde. Da stand: ›Liebe Anne, so wie auch Fanny es machte, musst auch du auf dein Herz hören. Öffne deine Augen und schaue dich genau um. Die Liebe ist da, du musst sie nur in dein Herz lassen. Komm mit mir! Für immer, dein Jack.‹«

Herr Traum stand bei mir. Ich konnte nicht mehr. Er wischte eine Träne weg und umarmte mich.

»Jetzt kann ich dich umarmen, auch wenn ich es heute Vormittag schon wollte.«

Es fühlte sich eigenartig an. Als würden Stromschläge von ihm zu mir wandern oder umgekehrt. Mein Armband wurde wärmer, aber ich ignorierte es und wollte nur diesen Augenblick genießen. Auch wenn meine Gefühle verkehrt waren und ich mich schämen müsste. Wir lösten uns wieder von einander und plötzlich spürte ich eine Kälte, die ich nicht greifen konnte.

»Danke. ›Mansfield Park‹ ist eine meiner liebsten Geschichten. Sie wird unterschätzt. Jack muss ihr das Buch geschenkt haben und sie gab es mir. Es ist unfair. Es ist sooft gelesen worden und sah auch so aus, dass es keinen Sinn macht. Für mich allerdings ist es sehr wertvoll. Es war ein Sicherheitsgefühl. Es gab mir Kraft. Genauso wie das Foto des Mannes, der es ihr schenkte.«

»Das Foto gibt dir kraft?«, fragte Herr Traum verblüfft nach.

»Blöd, oder? Aber so ist es.« Wir sahen einander in die Augen.

»Soll ich dein Bad übernehmen?« Er runzelte für einen Moment die Stirn, als würde er überlegen, ob dieser Vorschlag absurd klang.

Ich nickte. Kurz darauf rief er mich zu sich. Er zeigte mir die Stelle, in der die Kamera versteckt war.

»Er hatte also die beste Sicht auf mich.«

»Wie fühlst du dich?«

»Missbraucht. Er verschaffte sich Zutritt in mein Leben und beobachtete mich. Jede Nacht schlief ich in einem Bett, indem am Tag jemand anderes lag. Er wohnte hier. Es ist gruselig. Er hätte so leicht ins Zimmer kommen können, während ich schlief. Eine verschlossene Tür ist kein Hindernis. Ich möchte nicht mehr hier sein.« Er legte kurz seine Hand auf meinen Arm und drücke ihn behutsam, ehe wir schnell zu ende packten und alles in seine Wohnung brachten.

Auf dem Weg dorthin schwiegen wir.

»Du zitterst«, bemerkte er, als wir auf dem Parkplatz standen.

»Das ist alles zu viel.«

»Ich werde den Diebstahl melden«, sagte er bestimmend und umklammerte sein Lenkrad etwas fester.

»Danke. Die Seiten waren eingerissen, leicht vergilbt, der Schutzumschlag verschwunden und das Buch war rot-braun. Eine Widmung stand auf der ersten Seite: ›Für Anne.‹ Es riecht nach Rauch, was ich immer sehr seltsam gefunden habe.«

»Okay.«

Wir trugen die Taschen in seine Wohnung.

»Möchtest du ein Bad nehmen, während ich uns was zum Abendbrot koche?«

»Gerne.« Er bereitete alles vor und machte Badezusatz in die Wanne. »Herr Traum, ich weiß nicht, was ich ohne Sie gemacht hätte.«

»Jetzt geh erst mal baden und versuch dich zu entspannen.« Ich nickte und ging hinein. Meine Klamotten und meine Musik hatte ich dabei und für zehn Minuten verschwand die Welt um mich herum. Den Pelz an meinen Beinen und Achseln entfernte ich auch gleich. Anschließend machte ich alles sauber und föhnte etwas mein Haar und ließ es offen. Ich cremte mich ein und zog meinen Jogginganzug an. Mit meinen Sachen unter dem Arm huschte ich hinaus und brachte es ins Zimmer. Irgendwann musste ich Wäsche waschen. Als ich in die Küche kam, beobachtete ich Herrn Traum, wie er am Herd stand. Radio lief und er summte leise vor sich hin.

»Oh, du bist schon fertig.« Ich lächelte. »Setz dich.«

»Kann ich Ihnen helfen?«

»Bin schon fertig.« Also nahm ich platz und er stellte mir einen vollen Teller hin. Erst als ich anfing zu essen, merkte ich, wie hungrig ich tatsächlich war. Musik lief leise im Hintergrund, was ziemlich gut zu dieser Situation passte und zu diesem Abend. Es war nichts Romantisches, aber es war purer Pop. Modern und angesagt. Wir redeten nicht. Meine Gedanken wanderten hin und her. Herr Traum gab mir Unterschlupf. Er rettete mich. Dabei kannte ich ihn gar nicht. Ja, ich hab ihn oft gesehen, noch bevor die Schule angefangen hatte, und irgendwie war da immer etwas Vertrautes. Ich vertraute ihm. Sehr. Doch was war, wenn meine Gefühle sich überschlagen? Was, wenn ich meine Zuneigung nicht unter Kontrolle bringe? Er sah unglaublich gut aus und er hatte Esprit.

Als wir fertig waren, räumte ich alles weg. Wir schwiegen immer noch und er ließ mir meinen Freiraum und setzte sich an seinen Schreibtisch und korrigierte die Arbeiten. Die Musik ließ ich einfach weiterlaufen, es gefiel mir. Und nachdem ich alles sauber gemacht hatte und wegräumte, nahm ich meine Schultasche und begann Hausaufgaben zu machen. Ich saß weiterhin am Küchentisch und versuchte mich auf die Aufgaben zu konzentrieren. Es gelang auch teilweise, bis ich irgendwann die Nase voll hatte. Ganz besonders Mathe und Geschichte. Ja, Geschichte lag mir. Aber das Thema war schwierig.

›Die einflussreichsten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.‹ Es gab - bis heute, 2012 - 44 Präsidenten, einige sind während ihrer Amtszeit verstorben, vier ermordet wurden. Darunter Abraham Lincoln und John F. Kennedy. Es ist unumstritten, dass ich folgende Personen besonders schätze: George Washington, Lincoln, Theodore Roosevelt (weil er den ersten Afroamerikaner ins Weiße Haus einlud). John F. Kennedy (er setzte sich für die Bürgerrechtsbewegung ein und wollte die Rassentrennung aufheben), Bill Clinton (weil er die allgemeine Krankenversicherung wollte, trat gegen den Waffenmissbrauch ein und wollte, was gegen den steigenden Drogenkonsum unternehmen - wie seine Präsidentschaftszeit endete, muss ich hier nicht erneut aufwärmen). Und natürlich Barack Obama, weil er die allgemeine Krankenversicherung durchsetzen und etwas gegen die Waffenreform unternehmen will. Stetigere Kontrollen. Ich war mitten in einem Satz, als ich zusammenzuckte.

»Oh, tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Schon okay.«

»Woran arbeitest du?«

»Wir haben in Geschichte so eine schwierige Arbeit auf bekommen und da bin ich gerade dran.« Er lachte. Ich muss ja wahnsinnig amüsant sein.

»Okay, dann will ich dich nicht stören.«

»Bin fast fertig. Was wollten Sie?«

»Magst du nachher einen Film gucken?«

»Gerne. Ich brauche noch etwa fünfzehn Minuten.« Er lächelte und ließ mich wieder arbeiten. Genau fünfzehn Minuten später hatte ich alles weggeräumt und setzte mich auf die Couch, zu Molly, - die bis eben auf der Terrasse tobte.

»Bist du immer so präzise?«

»Wie meinen?« Er schmunzelte.

»Immer so genau mit der Zeitangabe?«

»Wenn ich es nicht, als Jugendliche, lerne, dann kann es später zu zeitlichen Problemen kommen.«

Sein Blick ruhte für einige Sekunde auf mir, dann nickte er und setzte sich. Mit der Fernbedienung schaltete er das Gerät an und der Film startete. Cola und Popcorn standen parat. Wir schauten ›Bridget Jones‹ - natürlich. Aber es war okay. Ich hätte mich nicht auf einen komplizierten Film einlassen können. Ich denke, er sah ihn sich an, weil er recherchieren wollte. Vielleicht wollte er die Bestätigung, dass irgendein Schüler nur den Film sah und nicht das Buch las. Irgendwann, mitten in der Szene als Bridget als Playbunny zu einem Kostümfest ging, machte er Pause. Er drehte sich zu mir.

»Ist alles in Ordnung mit dir?«

»Ich würde lügen, wenn ich die Frage ›bejahe‹. Aber, um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht.«

»Kann ich dir helfen, damit umzugehen?«

»Sie waren da, als ich Sie brauchte. Ich glaube, mehr kann ich nicht verlangen, Herr Traum.« Doch dann fiel mir etwas ein. »Eine Sache gäbe es da.« Sogar Molly blickte auf. »Sie joggen doch, oder?« Er nickte. »Wäre es eigenartig, wenn ich mit laufen würde?«

»Ganz und gar nicht.«

»Sie laufen vor der Schule?«

»Ja, meist gegen 5 Uhr, damit Molly auch raus kommt.«

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, bin ich um 5 Uhr dabei.« Er lächelte und Molly legte ihren Kopf auf meinen Schoss. Sabber lief aus ihrem Mundwinkel und benässte meine Hose. Es störte mich nicht. Ich kraulte ihren Kopf und schaute wieder zum Fernseher.

»Eins noch, Maja, nenne mich Jacob, wenn wir unter uns sind.« Irritiert hakte ich nach. »Herr Traum bin ich in der Schule.«

»Würde das nicht eine Art Grenze überschreiten?« Er schüttelte den Kopf. »Überlege es dir.«

»Werde ich.«

Und damit drückte er wieder auf Wiedergabe. Ich dachte wirklich darüber nach.

»Haben Sie nun raus finden können, ob jemand nur den Film sah?«

»Du wusstest, warum ich ihn mir anschaute.«

»Natürlich. Ein amüsanter Film.«

»Das stimmt.«

»Mmh, ich sollte mal langsam schlafen. Danke für den Abend.«

»Danke für deine Gesellschaft. Gute Nacht.«

»Schlafen Sie gut.« Ich ging in mein Zimmer und sortierte als erstes die Taschen aus und räumte meine Klamotten in den Schrank. Viel war es nicht, auch Unterwäsche war überschaubar. Also kamen die Bücher, CDs und DVDs mit hinzu. Manches stapelte ich auch auf dem Regal. Ich stellte ein Bild, mit meiner Oma und mir, drauf und ein paar Dekorationsartikel platzierte ich sorgfältig daneben. Nebenbei hörte ich Musik und war schneller fertig, als gedacht. Schnell schlüpfte ich ins Badezimmer und als ich dort fertig war, wünschte ich Molly auch eine angenehme Nachtruhe. Es war noch sehr warm und somit trug ich nur Shorts und ein T-Shirt. Molly lag vor der Eingangstür, was mir ein sicheres Gefühl vermittelte. Als ich wieder im Zimmer war, nahm ich das Buch und las weiter. Mal abgesehen vom Pferderennen, war es ziemlich gut.

Zehn vor fünf klingelte mein Wecker und ich war irgendwie aufgeregt. Ich ging ins Badezimmer, um mir den Schlaf wegzuwischen, Zähne zu putzen, und war fertig angezogen, als Jacob mit Molly an die Wohnungstür kam.

»Guten Morgen, Maja!«

»Guten Morgen, Jacob.« Er registrierte, dass ich ihn beim Vornamen ansprach, sagte aber nichts dazu und schloss die Tür auf. Wir liefen durch den Park, an einem See entlang und wieder zurück. Molly genoss es. Da sie frei umher laufen durfte. Ich jagte sie oder sie mich. Ich konnte relativ gut mit Jacob Schritt halten. Wir hörten beide über unseren MP3 Player Musik und hin und wieder bot er mir etwas zu trinken an, was ich auch gerne annahm. Es war warm und das um diese Uhrzeit. Wir liefen eine Stunde und das tat ausgesprochen gut. Anschließend musste ich allerdings duschen und ich denke Herr Traum auch. Als ich mit allem fertig war, begann ich das Frühstück vorzubereiten. Es gab Vollkorntoast, Kaffee und Obst. Den Aufstrich fand ich auch und gerade, als Jacob in die Küche kam, war alles aufgetischt.

»Das wäre aber nicht nötig gewesen. Sieht aber gut aus.« Er setzte sich mir gegenüber. Er fragte nicht, sondern trank seinen Kaffee, als wüsste er, dass ich ihn mit Milch und Zucker machte.

»Schmeckt wirklich gut« , murmelte er anerkennend.

»Meine Oma hat mir den Trick für den perfekten Morgenkaffee verraten«, sagte ich und zwinkerte dabei. Er lächelte und nahm einen weiteren Schluck.

»Und du hast dir gemerkt, wie ich ihn am liebsten trinke.«

»War ja nicht schwer«, gab ich zu. Es fiel mir leicht, mir Sachen zu merken. Ich biss von meinem Toast.

»Wieso hast du dich eigentlich dazu entschlossen, mich doch beim Vornamen anzusprechen?«

»Wir wohnen ja nun mal zusammen. So oder so, es ist seltsam. Aber es macht die Sache leichter, wenn ich Sie nicht ständig ›Herr Traum‹ nenne.«

»Seltsam?«, hakte er nach.

»Ja, nun, ja«, stammelte ich und wusste, ich würde neuerlich erröteten.

»Ist das jetzt was Gutes?«

»Eigenartigerweise, ja.«

»Mmh. Okay. Kommst du damit zurecht?«

»Natürlich. Ich habe schon jetzt mehr mit Ihnen gesprochen, als während der gesamten Ferien.«

»Wie war das für dich, alleine zu sein?«, erkundigte er sich ein weiteres Mal.

»Unter anderen Umständen wäre es toll gewesen.

Die meisten Jugendlichen würden sich sturmfrei wünschen. Und das für so Lange. Aber meine Umstände waren nun mal nicht Normal und daher war es doof. Es wäre schön gewesen, mal mit jemanden zu reden.« Erneut trafen sich unsere Blicke. »Ach«, begann ich, »ich hab Sie übrigens drei Mal richtig lange und ein paar Mal flüchtig gesehen, bevor die Schule anfing. Wussten Sie das?« Er schüttelte den Kopf, doch runzelte er trotzdem mit der Stirn, als würde er sich vage daran erinnern. »Einmal beim Bäcker, da bin ich gerade hier angekommen und dann in der Stadt, als ich ein bisschen was gekauft hatte und im Park.«

»Was du dir alles merken kannst«, murmelte er in seine Kaffeetasse. Er wusste es, da war ich mir sicher. Ich spürte, wie sich meine Wangen verfärbten - eigentlich sah ich die ganze Zeit über wie eine Tomate aus - und schaute ihn verlegen an. Er lächelte und aß weiter. »Du hast gestern noch etwas geräumt, oder?«

»War ich zu laut?«

»Nein, ich hab nach Molly geschaut und bemerkte Licht.«

»Ich hab die Taschen ausgepackt.«

»Schön.«

»Ähm«, ich sah ihn verlegen an.

»Ja?«

»Ich hätte etwas Wäsche zu waschen.«

»Du kannst sie Maren hinlegen, sie wäschst sie.«

»Wäre das nicht unverschämt?«

»Warum? Du lebst jetzt auch - erst mal - hier. Ich hab es ihr auch schon erklärt.«

»Alles klar. Aber ich würde auch gerne irgendwas Nützliches machen.«

»Machst du doch«, sagte Jacob ernst.

Erneut trafen sich unsere Blicke. Ich wusste, ich hatte mich verliebt. Wenn ich es sagen würde, wäre alles vorbei und ich müsste mir erneut eine neue Bleibe suchen.

Mein Handy klingelte, gerade als wir auf dem Weg zur Schule waren.

»Hallo, Vater«, begrüßte ich ihn. Dann berichtete er mir von dem Zustand seiner Frau und gab mir die Schuld daran. »Weil ihr zu eurer Tochter musstet?« Ironischerweise haben sie ihre Wandertour vorverlegen müssen, weil ich sie brauchte. Dann fragte er mich, ob ich im Haus noch etwas gefunden hätte. »Du meinst, dass von Oma? Von der Frau, die dich groß zog und die du aufgabst? Alles, was ich fand und was ich für wichtig hielt, habe ich in Kartons gepackt und in den Keller gestellt, indem der Perverse hauste.« Er redete und redete. »Dann kauf es doch zurück, meine Güte. Ich wette, du kannst vor Gericht oder so, klagen und angeben, ich sei durchgeknallt und du kannst das dämliche Haus zurückholen und es teuer verkaufen. Aber vergiss nicht: Oma gab mir die Vollmacht dafür und ich hab das einzig Richtige gemacht.« Mein Kopf hämmerte, doch dann ließ er die Bombe platzen und ich hätte beinahe mein Mobiltelefon verloren. »Was ist mit mir?« Meine Atmung stockte und mir wurde schwindlig. »Okay, hör auf. Mach, was du willst. I don’t care! Gib Mutti einen Kuss von mir. Sie fehlt mir.« Damit legte er auf.

»Maja?«, fragte Jacob vorsichtig und leise nach, als ich einfach nur im Auto saß und mein Handy an die Brust hielt. Mein Herz raste und ich fühlte, wie der Boden unter mir immer weiter auf ging. Als schien plötzlich alles auf einmal auf mir ein zu prallen, ohne, dass ich etwas daran ändern könnte.

»Mein Vater will dortbleiben, er hat eine neue Arbeit angenommen.«

»Ich verstehe nicht.«

»Es sieht so aus, als würde Mutti noch lange im Koma sein.« Wenn ich nur genau wüsste, warum das so war und wieso sie überhaupt in diesem Zustand verweilte. Die Kopfverletzung musste schlimmer sein, als ich ahnte.

»Ich verstehe immer noch nicht«, meinte er und schaute mich weiterhin an. Er drückte sanft meinen Arm, damit ich wieder ruhiger werde.

»Er hat sich eine Wohnung genommen und wird vor Ort arbeiten. Er ist der Meinung, ich würde nur Pech bringen und ich solle hier, bei Ihnen, bleiben.« Verzweifelt sah ich ihn an. Welcher Vater tat so etwas nur seiner Tochter an?

»Für wie lange?«

»Bis ich mit der Schule fertig bin, bzw. ich mir eine Wohnung leisten kann oder Sie mich rausschmeißen«, erklärte ich.

»Na ja, abgesehen davon, dass ich die Einstellung deines Vaters nicht gut finde, würde ich dich nicht rausschmeißen.«

»Mmh, dass sagen Sie jetzt. Warten Sie ab. Irgendwann werde ich Sie nerven.«

»Wie kommst du darauf?«

»Wenn mein Vater sich schon von mir abwendet, ...« Er wollte etwas sagen, aber ich ließ ihn nicht. »Ist schon okay. An solchen Tagen vermisse ich nur meine Oma. Es ist ja nicht das erste Mal, nur sonst war ich eben nicht alleine.« Ich blickte auf die Uhr und wir stiegen aus. »Wir sehen uns später!«, sagte ich und setzte mich auf eine Bank. Als ich so dasaß, holte ich das Bild von diesem Jack raus. Sein Anblick wirkte so vertraut. Aber das Foto war alt und nicht mehr in einem guten Zustand. Der Blick. Er war unglaublich und es wirkte fast so, als hätte er sich verändert. Dieses positive Gefühl umgab mich wieder. Er war ein guter Mann und ich wusste, dass er nie jemanden etwas Böses getan hat.

Als die anderen Schüler sich der Schule näherten und mich bemerkten, sagten sie wieder irgendwas dummes. Doch dann kam Marie und setzte sich zu mir.

»Ich wollte mich bei dir bedanken«, meinte sie schüchtern.

»Kein Problem, Marie.«

»Stimmt es, was die andern über dich erzählen?«

»Nein«, seufzte ich und blickte sie an.

»Danke noch mal.« Sie ging. Es klingelte zum Unterricht.

Wir hatten eine Doppelstunde Kunst und Jacob stand lächelnd an seinem Tisch.

»Also, eure heutige Aufgabe wird sein euch selbst zu porträtieren. So wie ihr glaubt, euch würden eure Mitschüler wahrnehmen.«

Ich begann mich als Karikatur zu zeichnen. Mit Büchern, Musiknoten und dem, was über mich getuschelt wurde. Auf meinem Oberteil schrieb ich das englische Wort für schwul. In der zweiten Stunde mussten wir uns so malen, wie wir uns selbst sahen. Also malte ich mich mit Büchern, Musiknoten und dieses Mal stand auf dem Shirt ›Loves Men‹. Dazu versuchte ich etwas Düsteres hinein zu malen und war am Ende zufrieden. Herr Traum ging durch die Reihen und sammelte beide Blätter ein und gab zu jedem ein Kommentar. »Du siehst dich als Superman/ Frauenheld/Sexy/Aufreißer/ etc.? Interessant«, sagte er zu verschiedenen Bildern, aber meist mit einem sarkastischen Unterton. Dann kam er zu mir und nahm meine Bilder. Er schmunzelte beide Male. »‹Loves Men‹«, las er laut.

»Das stimmt«, sagte ich und blickte meinen Lehrer dabei an.

Und dann brüllte irgendwer: »Maja ist bestimmt verliebt.« Ich sagte nichts dazu. Es war unglaublich.

Auch diese Stunden vergingen und in den letzten zwei war wieder Sport. Wir hatten zwei mal zwei Stunden pro Woche. Ziemlich viel. Aber das war okay. Es wurde wieder gelaufen. Dann Weitsprung und anschließend durften wir Tennis spielen. Ich war schlank, also trug ich kurze Sportsachen. Herr Traum hatte eine wirklich gute Figur. Egal, was er machte, er wirkte sehr elegant. Duschen wollte ich wieder nicht vor Ort. Also zog ich mich um und wartete auf Jacob. Eine Stunde war ich alleine. Es störte mich nicht, denn so konnte ich lesen und nachdenken.

Doch als ich auf der Mädchentoilette war, entdeckte ich einen Handabdruck und es war ein Satz drunter geschrieben: ›Ich beobachte dich.‹ Dieselbe Farbe, wie in meinem Haus. Ich zitterte und schrie. Ich lief zur Direktorin, die zum Glück noch da war und zeigte es ihr. Dann riefen wir die Polizei an. Herr Traum kam angerannt, als er es hörte. Jetzt wünschte ich mir, geduscht zu haben. Ich hatte ein Deo benutzt und so sehr stank ich auch nicht. Aber trotzdem.

Das magische Armband

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