Читать книгу Das magische Armband - Janine Zachariae - Страница 18

11. Kennen lernen

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Nachdem ich befragt wurde, konnte ich nach Hause.

»Es tut mir leid«, sprach Jacob in die Stille.

»Mmh?«

»Das ich dich wieder so lange alleine ließ.«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Es ist nicht Ihre Schuld. Sie müssen nicht meinen Babysitter spielen. Es ist nur beunruhigend. Wer ist das und warum beobachtet er mich?«

»Ich weiß es nicht.«

Er nahm mich in die Arme, um zu trösten.

»Ich würde gerne duschen, wenn das okay ist.«

»Ja, natürlich.«

Ich nahm mein Radio mit CD Player mit und wählte rockige, aggressive Musik aus meiner CD Sammlung. Das brauchte ich nun. Als ich fertig war, war Jacob in meinem Zimmer und sah sich das Foto an. Er blickte zu mir und lächelte.

»Die Polizei rief an. Sie haben das Video ausgewertet. Während du geduscht hast, war jemand ebenfalls im Bad.«

Ich nickte, als würde ich verstehen, aber eigentlich stand ich nur neben mir.

»Tja, nun. Jetzt kennt die Polizei mich nackt.« Ich setzte mich aufs Bett.

»Ist das schlimm für dich?« Ich schüttelte den Kopf.

»Sie haben nur ihren Job gemacht. Warum habe ich es nicht bemerkt?«

»Vielleicht warst du mit deinen Gedanken woanders?« Er setzte sich zu mir und ließ seine Hand auf meiner, nur um sie schließlich wieder wegzuziehen. Er wollte mir keine Angst machen.

»Ja, mag sein«, sagte ich nachdenklich. Warum habe ich nichts mitbekommen? »Haben sie noch was gesagt?«

»Was hätten sie denn sagen sollen?«

»Ob sie sein Gesicht sahen oder so?«

»Nein, nur einen Schatten. Aber sie meinten, ich sollte dich mal wegen der Narbe fragen«, erzählte Jacob und sah mich besorgt an.

»Narbe?«, fragte ich irritiert.

»Die du irgendwo an deinem Körper hast.«

»Mmh? Oh, ja. Das ist nichts.«

»Wo ist sie denn?«

Ich stellte mich hin, hielt mein T-Shirt ein wenig hoch, öffnete meine Hose, zog sie etwas runter und drehte mich zur Seite. Ich hatte eine sehr lange Narbe, die an meinem rechten Beckenknochen entlang lief. Sie war tief, wurde genäht und zurückblieb eine dicke Naht.

»Was ist passiert?« Ich zuckte mit den Schultern. »Du weißt es nicht?«

»Ehrlich gesagt, nein. Wahrscheinlich hab ich es verdrängt.«

»Und es beunruhigt dich nicht?«

»Die Narbe?«, ich lächelte. »Nein. Es beunruhigt mich eher, dass der Typ eine so gute Sicht erhalten konnte.«

»Das stimmt.« Er sah sich die Narbe noch mal an, dann zog ich mich wieder an. »Er ist in deine Privatsphäre eingedrungen«, fügte er hinzu.

»Ich verstehe es einfach nicht. Warum beobachtet er mich? Wieso war er im Haus? Oder in der Schule?«

»Ich weiß es nicht.«

»Was ist, wenn er auch hierher kommt?«

Meine Stimme zitterte.

»Molly passt schon auf.«

»Ein Leckerli, mit einem Beruhigungsmittel, und schon ist sie ausgeschaltet.«

»Ich bin da, wenn was ist.« Er drückte mich an sich und hielt mich für einen Augenblick fest. Ich schaute auf. Seine gold-orangnen Augen bohrten sich in meine. Ich atmete seinen Duft ein und löste mich von ihm.

»Musst du noch Hausaufgaben machen?«, fragte er, wahrscheinlich um diese eigenartige Situation zu überspielen. Ich nickte. »Ich rufe dich zum Abendbrot.«

»Okay.«

Ich schaltete wieder Musik ein und machte meine Schularbeiten. Viel war nicht. Etwas in Mathe, Deutsch und Englisch. Ein Vokabeltest stand am nächsten Tag an, aber ich konnte mich jetzt nicht darauf einstellen. Alle anderen Arbeiten, die ich für morgen auf hatte, machte ich bereits in der Schule und schaute nur noch mal kurz drüber. Jacob klopfte an der Tür, als ich alles in meine Tasche packte. Dieses Mal gab es Pizza.

»Bist du fertig mit den Hausaufgaben?« Ich nickte.

»Magst du dann wieder einen Film mit mir gucken?«

»Gerne.« Wir setzten uns an den Küchentisch und ich betrachtete nachdenklich mein Stück. Eigentlich wusste ich kaum was über ihn. Das wollte ich ändern, also sagte ich das.

»Was möchtest du denn wissen?«

»Wie alt sind Sie?«, erkundigte ich mich.

»22.«

Mir stockte der Atem. So jung? Aber ...

»Wie kamen Sie auf ihre Fachgebiete?«, fragte ich weiter, um nicht mehr an sein Alter zu denken.

»Literatur hab ich durch eine Freundin genommen. Sie sagte eines Tages, es würde sehr gut zu mir passen. Kunst ist sehr schön und wenn ich nicht Probleme mit meiner linken Hand gehabt hätte, wäre ich vielleicht auch Künstler geworden. Mein Vater war Geschichtslehrer, also hab ich es auch versucht und fand es interessant. Sportlehrer bin ich, weil ich meinen Sportlehrer während der Schulzeit gehasst habe. Da er uns immer Diskriminierte und alles Mögliche abverlangte.«

»Da wollten Sie es besser machen.« Er nickte. »Warum haben Sie so viele Fächer, die Sie unterrichten?«

»Ich mag Eintönigkeit nicht. Es ist spannender so. Und als Vertrauenslehrer ist es von Vorteil, wenn man die Schüler mehrmals am Tag sieht.«

»So lange sind Sie noch nicht an der Schule, oder?«

»Nein, ich kam im zweiten Halbjahr als Vertretungslehrer in Sport an diese Schule. Nach kurzer Zeit wurde ich Kunstlehrer, da die alte Lehrerin in Mutterschutz ging. Und dieses Jahr sind zwei andere Lehrer umgezogen und ich bekam deren Stelle.«

»Muten Sie sich nicht zu viel zu?«

»Nein, ich mag das so. Es macht mir Spaß. Wenn die Schüler mich nicht mögen würden, wäre das was anderes. Aber am Ende des letzten Schuljahres wurde ich als beliebtester Lehrer gewählt und gleichzeitig auch zur Vertrauensperson.«

»Sie sagten, Ihr Vater war Geschichtslehrer ...«

»Ja, an einer Universität. Als ich sagte, ich würde am Gymnasium unterrichten, sagte er, ich wäre wohl nicht gut genug für die Uni.« Ich schüttelte den Kopf.

»Das glaube ich nicht. Aber Sie können den Schülern mehr beibringen, als an der Uni. Und ich spreche nicht nur von Geschichte selbst.«

»Nett von dir.«

»Haben Sie jetzt keinen Kontakt mehr zu Ihrem Vater?«

»Er ist vor sehr vielen Jahren verstorben.«

»Oh, das wusste ich nicht. Das tut mir leid. Und Ihre Mutter?«

»Ist vor vielen Jahren verschwunden«, sagte er mit etwas Wehmut in der Stimme. Ich bereute, gefragt zu haben.

»Verzeihen Sie die Fragen.«

»Nein, ist schon okay. Irgendwann hab ich nach ihr gesucht. Aber ich hab sie nie gefunden. Mein Vater sagte immer, sie sei bei einem Unfall gestorben. Es gab Gerüchte. Manche gaben meinem Vater die Schuld, andere meinten, sie sei weggelaufen ...«

»Wow. Welche Geschichte haben Sie geglaubt?«

»Das sie weglief.«

»Ja, die würde ich auch eher glauben wollen. War es schwer für Sie?« Er ließ das Stück Pizza auf den Teller sinken und griff nach einem Glas Wasser. Er schien zu überlegen und ich gab ihm die Zeit, seine Gedanken zu sortieren.

»Ich kannte es nicht anders. Irgendwann war sie nur eine vage Erinnerung. Mein Vater war streng, vielleicht deshalb.«

»Wie hat sich diese Strenge gezeigt?«, wollte ich wissen.

»Indem er mich schlug, wenn ich seinen Erwartungen nicht gerecht wurde.«

»Und trotzdem sind Sie so ein guter Mensch geworden!«, bemerkte ich.

»Danke. Ich gebe mir mühe. Ich wollte nie so werden, wie er. Irgendwann habe ich den Kontakt abgebrochen. Als er starb, hab ich es bereut.«

Ich nickte.

»Weil Sie sich nie mit ihm aussprechen konnten.«

»Richtig.«

»Das ist okay«, flüsterte ich sanft.

»Wie meinst du das?« Er wirkte leicht irritiert.

»Sie sollten sich deshalb nicht schuldig fühlen. Er war es, der Sie schlecht behandelt hat. Es ist natürlich nicht schön, aber er hätte sich melden müssen. Sie haben nichts falsch gemacht.«

»Ich weiß nicht«, murmelte er.

»Darf ich Ihnen einen Rat geben, auch wenn es wo möglich blöd ist.«

»Bitte«, flüsterte er erwartungsvoll.

»Schreiben Sie ihm einen Brief. Schreiben Sie alles, was Sie ihm schon immer erzählen wollten, es aber nie konnten. Verbrennen Sie es oder legen Sie es auf sein Grab. Sie werden sich besser fühlen. Und merken, dass es nicht Ihre Schuld ist.«

»Danke.« Er schaute mir in die Augen. »Das habe ich bisher noch nie jemanden erzählt.«

»Ich weiß.« Er sah aus, als würde er fragen wollen: ›Woher‹? »Manchmal staut sich etwas und wird irgendwann zu einem Knoten. Während des Erzählens platzt er plötzlich und man fühlt sich erleichtert. Das Gleiche ist, wenn man betrügt und es für sich behält. Irgendwann holt es einen auf. Und so ist es bei Ihnen gewesen. Sie müssen etwas verarbeiten, haben es aber für sich behalten. Vieles kann man nur zu zweit aufarbeiten.«

Nachdenklich stimmte er mir zu. »Du bist sehr klug, für dein Alter.«

»Nein. Das kommt Ihnen nur so vor. Sie haben sicherlich noch nicht viele Jugendliche in meinem Alter kennen gelernt, die so sind, wie ich. Die meisten interessieren sich eher für Make-up, Partys, Jungs oder Mädels, Fußball und so weiter. Aber im Grunde bin ich auch nur ein Teenager.«

»Nein, bist du nicht. Ich habe deine Bilder gesehen.«

»Die Selbstporträts?«

»Ja, und da hab ich den Unterschied zwischen dir und den anderen erkannt.«

»Es war teils sarkastisch« bemerkte ich.

»Ja, ich weiß«, seufzte er.

»Ich stehe nicht auf Frauen, nur weil ich mich für die gleichgeschlechtliche Ehe einsetzen würde. Aber viele kennen den Unterschied nicht zwischen ›Sein‹ und ›Toleranz‹.«

»Darf ich die Bilder veröffentlichen?«

»Natürlich. Es gibt, leider, immer noch genug Menschen, die sich nicht trauen sich zu Outen.«

»Das ist leider wahr.« Sein Blick trübte sich und er schien an jemanden zu denken. Vielleicht eine Person aus seiner Vergangenheit?

»Aber ich war noch nicht mit meinen Fragen durch«, sagte ich streng.

»Oje«, grinste er und lachte dabei. »Aber erst einmal bin ich dran!«, fügte er hinzu. Da musste ich schmunzeln. »Warum färbst du dir die Haare?«

»Weil ich meine Naturhaarfarbe nicht mag«, erklärte ich. »Sie ist so seltsam. Blond, irgendwie Bronze ist mit dabei und wenn das Licht blöd scheint, dann sieht es wie Orange aus. Zudem hat es sich mit meiner Augenfarbe gestochen.« Er schaute mir tief in meine grünen Augen. »An meinem 16. Geburtstag hab ich von meiner Mutter einen Gutschein bekommen, um mir beim Friseur die Haare ordentlich machen zu lassen. Ich war alt genug für eine Färbung und nun wiederhole ich das regelmäßig. Selbstfärben wäre zwar auch machbar, aber da ich so eine blöde Grundfarbe habe, ist das Resultat nicht sonderlich toll und oft sehr unterschiedlich.«

»Deshalb dieses dunkle Rot?«

»Dunkle Kirsche. Ist ein cooler Kontrast zu meinen Augen, oder?«, lachte ich.

»Total cool«, sprach er. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass deine Augen die Farbe von Smaragden haben?«

»Smaragde? Das ist ja so klischeehaft!« Noch immer schaute er mir in die Augen und ich hielt es kaum noch aus. Dabei waren es seine, die mich einfach nur in den Bann zogen.

»Ich würde eher sagen, sie sehen aus wie frisches, sattes Gras. Aber mal im Ernst, früher wurde ich oft gehänselt und manchmal wirkten meine Haare dann auch grün. Es ist besser so.«

»Ich würde gerne ein Foto davon sehen.«

»Na, gut. Aber nur, wenn wir dann das Thema sein lassen und ich Ihnen wieder meine Fragen stelle.«

»Großes-Indianer-Ehrenwort!« Lachend ging ich in mein Zimmer und kramte ein altes Foto hervor und zeigte es ihm. Er studierte es sehr aufmerksam.

»Du hast dich definitiv verbessert!« Ich errötete und räusperte mich. Und, als ob nichts gewesen wäre, machte ich kommentarlos mit meiner nächsten Frage weiter.

»Hatten Sie eigentlich jemals das Gefühl gehabt, Ihren Vater oder eine andere Person, enttäuscht zu haben?« Er nickte. Wir saßen immer noch am Küchentisch, aber das störte nicht. Die Pizza war fast aufgegessen. Es war schön, einfach zusammen zu sitzen und zu reden. »Wie hat sich das bemerkbar gemacht?« Er zuckte mit den Schultern. Molly war noch auf der Terrasse, lief aber ab und an zu uns, um zu sehen, ob noch alles in Ordnung ist. Sie war gut trainiert. Die Terrasse war sehr groß und sie hatte ihren eigenen Platz. An Sträuchern konnte sie pinkeln und somit war sie nicht abhängig vom Gassi gehen. Praktisch.

»Ich war ständig einem gewissen Druck ausgesetzt. Wenn ich nicht die Leistung brachte, die erwartet wurde, gab es irgendeine Bestrafung. Als ich achtzehn war, löste ich mich langsam von ihm. Als er erfuhr, ich wolle ›nur‹ Lehrer werden und nicht Professor, war er sehr sauer. Danach brach der Kontakt ab und kurz darauf starb er.«

»Was haben Sie empfunden, als Sie davon erfuhren?«

»Es war seltsam, aber ich fühlte mich ...«, er zögerte und ich endete seinen Satz:

»... befreit?« Er nickte. »Und deshalb haben Sie nun ein schlechtes Gewissen.« Erneut bestätigte er es. »Das ist okay. Sie haben getan, was Sie konnten. Irgendwann kommt man an einem Punkt, an dem es nicht mehr geht. Dieses Gefühl zu bekommen irgendwas muss sich ändern, denn so kann es nicht weitergehen. Wenn Sie sich nicht gelöst hätten, wären Sie vielleicht - heute - nicht der Mensch, der hier vor mir sitzt.«

Er sah mich an, als wäre ich ein Alien. Ich räumte das Geschirr in die Spülmaschine und wischte den Tisch ab. Anschließend kochte ich Wasser und machte uns einen schönen Tee.

»Kommen Sie, setzen wir uns auf das Sofa und sehen uns ›Bridget Jones 2‹ an.«

»Woher weißt du, dass ich den Film sehen wollte?«, fragte er verblüfft.

»Nur geraten«, sagte ich und zwinkerte kurz. Als er saß, ging ich noch mal in die Küche und machte ein Tablett zurecht. Schokolade, etwas Popcorn, geviertelte Äpfel und die Kanne Tee mit den zwei Tassen. Dazu ein Schälchen mit Zucker. Trug alles zum Couchtisch und ließ es dort. Anschließend legte ich die DVD ein und setzte mich zu ihm. Der Film lief eine halbe Stunde, da drückte er auf Pause und wandte sich zu mir: »Danke.«

»Schon okay.« Er nickte und ich lächelte ihn an.

»Du bist ein bemerkenswertes Mädchen«, stellte er fest.

»Nein, das glaub ich nicht. Es ist nur so, weil ich so viel Zeit mit meiner Oma verbracht habe. Wer weiß, wie ich ohne sie wäre.«

»Sie fehlt dir, oder?«

»Mehr als ich mir eingestehen möchte«, gab ich zu.

»Glaub ich dir.«

»Es ist seltsam. Ich wusste ja, dass sie sterben wird und letztlich war es auch das Beste für sie. Es ging ihr wirklich nicht gut. Schon als man mir von ihrer Krankheit erzählte, wusste ich, was es bedeuten würde. Meine Eltern gaben sie auf. Und dafür hab ich sie sehr lange gehasst. Nein, eigentlich nur meinen Vater. Meiner Mutter war sie von Anfang an egal. Auch wenn ich es niemals vergessen kann, so war ich doch froh, bei ihr gewesen zu sein. Als sie ihre Augen schloss, hielt ich ihre Hand. Ich wollte nicht, dass sie alleine ist. Niemand sollte alleine sterben.«

»Du bist sehr tapfer gewesen«, schlussfolgerte er.

»Nein. Ich habe geflucht, geschrien, geweint. Als ich alleine war. Ich hab sogar ein paar Sachen zerbrochen. Als ich das Tagebuch fand, war es fast so, als wäre sie immer noch präsent. Wenigstens für den Moment.« Dann sah ich ihn an und flüsterte: »Das alles hab ich noch niemandem erzählt und es gibt noch etwas, was niemand weiß: Ich träumte eine Zeitlang von ihr und es war fast so, als würde sie zu mir sprechen. Als ob sie mir durch diese Zeit in meinen Träumen helfen würde. Als ob sie durch meine Träume Kontakt aufnehmen würde.«

»Bemerkenswert.« In seiner Stimme schwang etwas mit, was ich nicht richtig deuten konnte. Als wäre es nichts Ungewöhnliches. Als hätte er mit so etwas gerechnet.

»Es war erschreckend zu Beginn. Aber irgendwann ging ich, als ich träumte, bewusst auf sie ein und wir haben eine Unterhaltung geführt, die so Normal wirkte.«

»Worüber habt ihr geredet?«

»Das ich Ihnen trauen kann«, erzählte ich leicht verlegen und doch sehr offen.

»Kannst du.«

»Das weiß ich. Das wusste ich schon, noch bevor ich Sie im Klassenzimmer sah. Schon bei unserer ersten Begegnung, beim Bäcker, habe ich gewusst, Sie sind ein guter Mensch.«

»Das ist nett«, er lächelte. Was für ein Lächeln!

»Die Wahrheit. Meine Oma warnte mich auch. Irgendwas würde passieren. Aber ich wusste nicht, was sie meinte. Sie ging nie auf etwas direkt ein. Sie sagte nur: ›Du kannst ihm trauen.‹oder ›Du musst dich vorsehen, jemand will dir Böses.‹«

»Woher weißt du dann, dass sie mich meinte?«

»Ich fragte sie, ob ich Ihnen vertrauen kann und sie nickte. Aber da ich nicht wusste, wer mir Böses will, konnte ich sie nicht konkret fragen.«

»Weißt du mittlerweile, was sie mit ›Hör auf dein Herz‹ meinte?«

»Ja, das tue ich«, gestand ich.

»Willst du es mir sagen?«

»Nein, weil ich nicht darauf hören kann.«

»Warum nicht?«, bohrte er nach.

»Ich weiß, wem ich trauen kann und wem nicht. Ich weiß, ob mich jemand anlügt.« Jacob zuckte kurz zusammen, doch ging ich nicht darauf ein. »Aber bei gewissen Dingen kann ich nicht auf mein Herz hören.«

»Du meinst, ob du jemanden dein Herz schenken willst?« Schulterzuckend sah ich ihn an. »Gibt es da jemanden?«

»Das spielt keine Rolle. Derzeit hab ich zu viel Chaos um mich herum. Es wäre nicht fair, mich auf meine Gefühle einzulassen. Weder für mich, noch für jemand anderes. Wenn ich alt genug bin und mein Leben wieder Normal verläuft, dann kann ich darüber nachdenken. Aber derzeit geht mir zu viel im Kopf herum. Zudem wäre es unmöglich.« Erneut wollte er mehr erfahren. »Ja. Das möchte ich nicht. Ich will nicht noch mehr Kummer.«

»Wer sagt, es würde mit Kummer enden?«

»Weil es so sein wird.«

Er nickte. »Muss aber nicht. Verrätst du mir, wer es ist?«

»Es gibt da nichts zu verraten.«

»Okay.« Wir schwiegen und wenige Sekunden später ließ er den Film weiterlaufen. Kurz darauf flüsterte ich: »Ich mag dieses Lied.«

»Your love is King?«

»Ja, weil ich den Sänger toll finde, der es in diesem Film singt.« Als er wieder zum Fernseher blickte, schaute ich ihn an und merkte, wie er lächelte.

»Maja«, begann er, als der Abspann anfing, »du weißt eine ganze Menge. Du kannst anderen gute Ratschläge geben. Warum geht das nicht bei dir selbst?« Das stimmte.

»Sie meinen, warum ich nicht meinem eigenen Rat folge?«

»Genau.«

»Es ist leichter, anderen zu helfen. Ich kann nur etwas sagen, was er oder sie bereits weiß. Tief im Inneren kennen sie immer die Antworten auf ihre Fragen. Nur ignorieren die meisten das. Es war das einzig richtig, als Sie sich damals von Ihrem Vater lösten, was Sie auch schon selbst gespürt haben. Sonst wären Sie womöglich nicht hier. Sie wussten es, noch bevor Sie ihn verließen.«

»Mag sein.«

»In meiner alten Schule gab es ein Mädchen, welches nicht nur gehänselt wurde. Sie wurde regelrecht schikaniert. Es war schlimm. Tag täglich hab ich das mitangehört und nichts dagegen unternommen. Ich bin nicht stolz darauf gewesen, aber es war so. Nein, ich machte nicht mit. Würde ich nie, hab ich nie. Aber auch nichts gesagt. Bis ich sie eines Tages fand. Sie wollte sich das Leben nehmen. Sie war unglücklich und wusste nicht mehr weiter. Als ich sie da sah und anfing, auf sie einzureden, wäre ich fast gescheitert. Doch sie hörte auf mich. Irgendwie. Ob es wegen meiner Beharrlichkeit war oder an meiner Wortwahl lag, weiß ich nicht. Ich hab sie nie gefragt. Und seitdem habe ich mir vorgenommen, auf meinen Instinkt zu hören. Wenn ich spüre, jemand leidet, versuche ich zu helfen«, erzählte ich. Niemals werde ich diesen Moment vergessen.

»Unglaublich. Warst du mit dem Mädchen befreundet?«

»Nein, ich kannte sie eigentlich nicht.«

»Und trotzdem hast du ihr geholfen?«

»Sie brauchte nur wieder etwas, woran sie glauben konnte. Hoffnung. Manchmal ist es alles, was wir brauchen. Hoffnung.«

»Wie wollte sie sich das Leben nehmen?«, seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, sehr zurückhaltend.

»Es gab einen Wald, den ich immer entlang lief - wenn ich zum Haus meiner Oma wollte - und da war sie. Der Wald war an einem Hang. Sie wollte hinunter springen. Eigentlich wäre ich auch nie so tief hinein gegangen, aber plötzlich war ich dort. Sie stand da und wirkte so ängstlich. Sie wollte nicht springen. Aber sie glaubte es. Ich ging so nahe, dass ich sie fast berühren konnte. Als sie noch immer nicht umkehrte, stellte ich mich genau neben sie.«

»Du hast dich an diese Klippe gestellt?«

»Ich nahm ihre Hand und zitierte ›Titanic‹: ›Wenn du springst, springe ich auch, Jack‹. Erst später habe ich erfahren, dass es ihr Lieblingsfilm ist. Sie schaute mich an und fragte, warum ich das mache. ›Du wirst ein wunderbares Leben führen. Wenn du das jetzt alles beendest, wirst du nie erfahren, was für Wunder du erleben wirst. Du wirst niemals erleben, wie du dich verliebst. So richtig mit Schmetterlingen, Herzklopfen und schlaflosen Nächten, in denen ihr nur SMS schreibt. Du wirst nie einen Heiratsantrag erleben, deine Hochzeit. Die Geburt deines Kindes. All das wird dir nie passieren, wenn du jetzt aufgibst. Ja, das Leben ist manchmal scheiße. Ja, Kinder oder Jugendliche können gemein sein, brutal sogar. Aber eines Tages wirst du darüber stehen können. Du wirst Größe beweisen und stärke zeigen. Eines Tages wirst du zurückblicken und froh sein, heute nicht gesprungen zu sein. Lass nicht zu, dass solche Idioten siegen. Und wenn du es nicht deinetwegen machst, dann meinetwegen.

Ich möchte nicht sterben, aber ich werde deine Hand auch nicht loslassen. Du entscheidest. Hier und jetzt kannst du bestimmen, ob du das Mädchen bist, was ich glaube, du bist es oder ob die Schwachköpfe an der Schule recht haben. Aber du bist mehr Wert, als das hier.‹« Ich lächelte. Bisher habe ich das nur meiner Oma erzählt. »Das Mädchen sah mich an und ging einen Schritt zurück, in Sicherheit. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich umarmte sie und ging mir ihr hinaus, raus aus dem Wald. Ich lud sie ein mit zu meiner Oma zu kommen. Und wir drei aßen ein leckeres Eis. Anschließend ging ich mit ihr noch spazieren und sie sprach sich aus. Als sie fertig war, gab ich noch einen Rat mit auf den Weg. Ich sagte ihr, sie solle alles hinter sich lassen und neu anfangen. Kurz darauf zog sie weg. Wir blieben in Kontakt und schreiben uns E-Mails.«

»Noch immer?«

»Ja. Wobei, da fällt mir ein, darf ich Ihr WLAN irgendwann benutzen?«

»Oh, ja, selbstverständlich. Ich gebe dir morgen das Passwort, wenn es reicht.«

»Super, danke.« Das war gut. Denn ich war seit einigen Tagen nicht mehr online.

»Was du für das Mädchen gemacht hast, war sehr mutig. Wie heißt sie?«

»Johanna. Aber ich nenne sie Jo, so wie ihre Lieblingsfigur der Literatur.«

»Aus ›Betty und ihre Schwestern‹«, stellte er fest.

»Es ist auch eines meiner Lieblingsbücher. Wir haben, bevor sie wegzog, den Film angeschaut. Wunderschön. Und als sie Geburtstag hatte, schenkte ich ihr die animierte Serie dazu. Sie kannte sie nicht, aber hat sich sehr gefreut darüber. Kennen Sie sie?«, fragte ich ihn.

»Ja, natürlich. Die Bücherreihe davon auch.«

»Wunderschön, nicht wahr?! Gut, es ist eigentlich eher Kinderliteratur. Aber wen kümmert es?«

»Da hast du recht«, stimmte er mir zu.

»Was ist Ihr Lieblingsbuch?«

»Huch, das ist schwer.«

»Ich weiß. Aber es gibt immer eins, was man lieber mag. Das Gleiche gilt ja auch für Musik. Irgendwas mag man immer mehr.«

»Ja, das stimmt. Rate doch einfach mal.«

Ich schaute ihn skeptisch an, stand auf und ging zu seinem Bücherregal - oder besser gesagt, zur Bücherwand. Es müssen hunderte gewesen sein. »Sie haben eine wirklich tolle Auswahl.«

»Wenn du magst, kannst du dich gerne bedienen.«

»Vielen Dank, ich werde sicherlich darauf zurückkommen.« Dann schaute ich mich weiter um. Aber das war schwieriger als gedacht. Es war einfacher, seine Lieblingsband zu erraten, und das teilte ich ihm auch mit. »Sie haben eine gute Musiksammlung. Sie haben viele verschiedene Richtungen. Aber ich glaube, Ihre Lieblingsband haben Sie nicht auf CD.«

»Und warum nicht?«

»Weil Sie es auf LP haben. Platten sind wertvoll und einzigartiger. Sie drücken mehr aus. Heutzutage gibt es fast nur noch alles als MP3. Aber Sie sind gleichermaßen modern, wie altmodisch. Daher tippe ich auf die Beatles. Jedenfalls aus England. Aber Sie kategorisieren und haben auch aus Amerika einen Lieblingssänger und das wäre ›Buddy Holly‹. Band würde ich behaupten, mögen Sie ›Green Day‹, da diese Band das sagt, was viele denken und sich nicht zurücknehmen. Was eine gute Wahl ist. Ach ja, und Lieblingsengländer ist Robbie Williams. Wie gesagt, Sie mögen Oldies, genauso wie modern Rock oder Pop.« Während ich das sagte, schaute ich mir weiterhin die Bücher an. Da ich nichts hörte, drehte ich mich um. Er wirkte leicht verstört. »Habe ich falsch gelegen oder was gänzlich Dummes gesagt? Ja, okay, Sie haben alle, außer ›Buddy Holly‹ und ›The Beatles‹, auf CD.« Noch immer sah er sehr perplex aus.

»Äh, wie hast du das gemacht?«

»Wie habe ich was gemacht?«

»Mir gesagt, was ich gerne höre.«

»Oh, das. Das war sehr einfach.« Er wirkte verwirrt. »Ich erkläre es Ihnen. Sie haben Ihre Musik nach Land und Genre sortiert. Und das sehr gut, nebenbei bemerkt. Ihre Sammlung weist allerdings Lücken auf, wenn ich mich nicht irre. Dennoch erkennt man Ihre Vorlieben. Manches hören Sie mehr, als anderes. Sie richten sich da nach Stimmung. Wenn Sie Arbeiten korrigieren, brauchen Sie oftmals eine bestimmte Musik - die aber auch zum Fach passen muss. Sie mögen keine Coverbands, haben aber ›Erasure‹, die bekannterweise ›Abba‹ coverten. Natürlich hören Sie auch Radio. Aber meistens zum Essen, oder wenn Sie kochen. So bekommen Sie das Neuste mit und haben nebenbei auch noch Nachrichten, die alle halbe Stunde gesendet wird. Zum Joggen brauchen Sie was Poppiges. Wenn Sie gestresst sind, dann darf es auch mal Rockabilly sein. Das baut Sie wieder auf. Und wie ich nun auf Ihre Lieblingsmusik kam? Nennen Sie mich spontan, aber das war Bauchsache.« Jetzt starrte er mich an. Nun war ich es, die verwirrt war. Und blickte unsicher zu seiner Musiksammlung.

»Wow«, war alles, was ich zu hören bekam.

»Und was Ihr Lieblingsbuch angeht, so bin ich leicht durcheinander.«

»Wieso?«

»Sie haben, natürlich, eine ziemlich große Auswahl. Moderne Literatur, Literatur des 19. Jahrhunderts, und so weiter. Aber ich glaube, Ihr Lieblingsbuch ist ›Peter Pan‹ von James Barrie.«

»Unglaublich. Wie kommst du darauf?«

»Sie erzählten mir, Ihre Mutter sei vor langer Zeit verschwunden, also haben Sie sich an das Einzige geklammert, was Sie von ihr hatten.« Ich zog ein vergilbtes, sehr mitgenommenes und lädiertes Buch heraus. Es war etwas versteckt. »Sie hieß Calista, oder?« Er nickte. »Jedem ist etwas wichtig. Man hebt es auf. Wenn es brennen würde, würde man das retten, was einem am Herzen liegt. Geld, Papiere können zur Nebensache werden. Man rettet die Liebsten, aber auch wenigstens ein Andenken. Wenn ich mir all die Bücher ansehe, dann ist das hier, welches am meisten benutzt aussieht, aber natürlich nicht das Älteste ist. Schlussfolgerung.«

»Und deshalb glaubst du, ›Peter Pan‹ wäre mein Lieblingsbuch? Weil es benutzt aussieht?« Da musste ich lachen.

»Nein, natürlich nicht nur. Sie erzählten mir, Ihr Vater wollte immer nur Höchstleistungen. Sie mussten immer und überall der Beste sein. Stimmt’s?«

»Das ist korrekt.« Wieder musste ich lachen.

»Und Sie mussten früh Erwachsen werden. Wer viel erreichen soll, der muss früh anfangen. So einfach und doch so schwierig. Nie hatten Sie wirklich eine Kindheit. Sie können einige Instrumente spielen, oder?« Ich blickte ihm direkt in die Augen. Er lächelte.

»Ja, ich bekam mit vier Jahren Geigenunterricht.«

»Durch diese Geschichte rund ums ›Niemandsland‹ konnten Sie selbst Kind bleiben.«

»Du hast es gelesen?«

»Ja. Auch wenn ich gestehen muss - als Johnny Depp Fan - den Film ›Wenn träume fliegen lernen‹ wunderschön finde. ›Hook‹ aber auch.«

»Du bist unglaublich«, sagte er abermals. Ich zuckte mit den Schultern.

»Ich bin keine ›Mentalistin‹ oder Wahrsagerin, ich beobachte. Das ist alles.«

»Ich weiß. Erstaunlich ist es trotzdem. Machst du das bei vielen?«

»Nein, so analysiert - wenn Sie es so nennen möchten - habe ich bisher erst Sie und meine Oma.«

»Unglaublich«, wiederholte er.

»Lag ich eigentlich richtig?«, wollte ich dann doch wissen.

»Fast immer.«

»Bei was denn nicht?«

»Robbie Williams.«

Erneut lachte ich. »Nein, natürlich nicht.« Scheinbar synchron blickten wir beide auf die Uhr. »Ach, herrje. Schon Mitternacht«, bemerkte ich.

»Oh wow.«

»Darf ich Sie noch um eine Sache bitten?« Er lächelte. »Das, was ich Ihnen erzählte - über Johanna, sagen Sie es bitte nicht weiter.«

»Versprochen. Willst du wieder mit joggen?«

»Sehr gerne. Wir sehen uns dann in weniger als fünf Stunden. Gute Nacht, Jacob.«

»Gute Nacht, Maja.«

Wenige Stunden später klingelte auch schon mein Wecker. Es kam mir vor, als hätte ich nur zwei Stunden geschlafen, dabei waren es vier.

Aber im Traum erschien mir wieder meine Oma:

›Hallo, meine Liebe‹, begrüßte sie mich.

›Hallo, lieber Geist.‹ Sie lächelte und ihre Fältchen wirkten lebendig und verspielt.

›Er mag dich. Möchte es aber nicht eingestehen. Er glaubt, du seist zu jung.‹

›Bin ich auch‹, sagte ich.

›Das stimmt. Aber er würde auf dich warten.‹

›Wie lange?‹, fragte ich sie und fuhr mir mit meiner Hand durchs Haar. Es war so eigenartig sie so zu sehen. Es war nichts um sie herum, nur sie.

›Bis du alt genug bist.‹

›Für was?‹

Sie sah mich an und verschränkte ihre Arme. ›Das meinte ich nicht.‹

›Sondern?‹

›Bis du alt genug bist, um dir deine Gefühle einzugestehen.‹

›Das geht nicht‹, sagte ich verzweifelt.

›Warum nicht, Liebling?‹

›Es sind sechs Jahre, die zwischen uns liegen. Er ist mein Lehrer.‹

›Es sind nur sechs Jahre. Das ist nicht die Welt. Bei Jack und mir waren es auch sechs Jahre.‹

›Das war aber was anderes.‹

›Warum?‹

›Weil ihr beide volljährig wart.‹

›Und ich war verheiratet.‹

›Stimmt‹, merkte ich nachdenklich. ›Wann werde ich jemals erfahren, was zwischen euch lief und was mit deinem Mann war?‹

›Du musst nur den Schlüssel finden.‹

›Wo ist er?‹

›Näher, als du denkst.‹

›Ich verstehe nicht ...‹

In diesem Moment begann mein Wecker zu klingeln und sie verblasste. Ich band meine Haare zum Zopf und verzog mich ins Bad. Auch dieses Mal begrüßte mich Molly sabbernd und schnuppernd, während Jacob noch seine Schuhe zuband.

»Bereit?« Ich schnappte meinen MP3-Player und wir liefen hinaus. Auf halber Strecke blieb er stehen und auch ich hielt an.

»Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst so abweisend. War die Nacht doch zu kurz?«

»Nein, ganz und gar nicht. Der Abend war interessant, nie hätte ich es eingetauscht, nur um ein paar Stunden mehr zu schlafen.«

»Was ist es dann?«

»Im Traum besuchte meine Oma mich wieder.«

»Was hat sie erzählt?«

»Ich, ... Ähm, nein, anders. Sie, ... Nein, auch nicht, ich glaube, es wäre besser, es nicht zu erzählen.«

»Mmh, okay.« Erneut sahen wir uns an.

»Sie haben wirklich unglaubliche Augen.« Er lächelte und rieb sich verlegen seinen Nacken.

»Entschuldigung, es war unpassend.«

»Schon okay.«

»Wissen Sie, ich kann Ihnen nicht den genauen Inhalt meines Gesprächs erzählen. Aber ich kann Ihnen verraten, dass Sie das Thema waren. Ich sag es Ihnen, weil es nicht fair ist, über jemanden zu reden, wenn dieser nicht da ist. Es gibt Ausnahmen. Aber die gelten hier nicht.«

»Alles klar, Maja«, er wirkte etwas geknickt. Ich blickte zum Himmel.

»Wir sollten wieder umkehren. Es wird bald regnen.« Kaum gesagt, schon goss es wie aus Eimern. Molly erfreute es. Als wir wieder reinkamen, waren wir so durchnässt, dass unsere Kleidung tropfte und überall Spuren hinterließen. Als ich Molly beobachtete, musste ich aus vollem Herzen lachen. Jacob fragte, und ich zeigte auf seine Hündin, die versuchte ihren nassen Schwanz zu jagen. Und da klang er sich ein und wir lachten zusammen mehrere Minuten. Bis es uns zu kalt wurde.

»Wir sollten uns mal was Trockenes anziehen«, schlug er vor. Gesagt, getan. Als ich aus dem Badezimmer kam, deckte er gerade den Tisch.

»Wegen vorhin«, begann er, »du sagst mir, ich habe unglaubliche Augen, willst mir aber nicht verraten, worüber ihr geredet habt«, stellte Jacob nüchtern fest.

»Das ist korrekt.«

»Und warum ist das so?«

»Das eine ist ein Kompliment, welches ich Ernst meinte. Sie haben wirklich unglaubliche Augen. Das andere aber wäre eine Art Statement.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»So wie ich es sage. Nicht mehr und nicht weniger.«

»Ja, aber ein Statement ist eine Aussage, zu etwas machen. Etwas, was man so meint. Für viele waren die 70er eine Zeit der ›Flower Power‹, ihr Statement war ›Make love, not War.‹«

»Ja, und John Lennon und Yoko Ono demonstrierten im Bett, um diesem Statement ein Gesicht zu geben.«

»Woher weißt du so viel?«

»Durch Bücher?«, meinte ich schulterzuckend.

»Wirklich?«

»Ja. Wie schon erwähnt, haben meine Oma und ich Bücher gelesen. Und darunter waren auch Biographien. Zudem gucke ich Reportagen und höre viel Musik.«

»Sehr verblüffend.«

»Meine Oma mag Sie«, platze es plötzlich aus mir heraus. Er lächelte verschämt.

»Und du?«

»Was glauben Sie?«

»Du weißt es noch nicht.« Genau, das sagte meine Oma auch. Seltsam. Natürlich mochte ich Jacob. Durfte mir aber nicht eingestehen, dass da mehr war.

»Maja«, er brach ab und setzte neu an: »Ist schon okay. Wenn dem so wäre, wäre es okay.«

»Zwischen mögen und Sie wissen schon - mögen, können Welten liegen.«

»Ich weiß«, seufzte er.

Das magische Armband

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