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Die Informationstechnologie des Optimismus

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Die Wirtschaftswissenschaften sind eine noch relativ junge Disziplin und oft nicht in der Lage, sich auf grundlegende Lehrsätze zu einigen oder fragwürdige Theorien definitiv zu widerlegen. So befasst sich ein Großteil meines Buchs mit der Schaffung von Vermögen, doch es gibt immer noch keine Einigung darüber, woher Vermögen eigentlich kommt.[2]

Ich behaupte nicht, ein Wirtschaftswissenschaftler zu sein. Als Informatiker beschäftige ich mich jedoch mit der Frage, wie sich Informationssysteme entwickeln, und das könnte uns einen nützlichen Einblick in die Wirtschaftswissenschaften eröffnen. Jede Informationstechnologie, vom frühesten Geldkonzept bis zum neuesten Cloud-Computing, basiert im Grunde auf Entscheidungen darüber, was gespeichert und was vergessen werden soll. Geld ist einfach ein weiteres Informationssystem. Die grundlegenden Fragen zu Geld sind daher auch die, die man sich im Zusammenhang mit Informationssystemen stellt. Was wird gespeichert? Was wird vergessen?

Wenn die offiziellen Wissenschaften ins Schwimmen geraten, schießen populäre Theorien ins Kraut, die oft an Paranoia grenzen. So auch zum Thema Vermögen. Eine breitverteilte Entstehung von Vermögen lässt sich nur schwer von dem Begriff »Wachstum« trennen, aber »Wachstum« wird von linken Kräften manchmal als eine Art Krebsgeschwür dargestellt, das den Menschen und seine Welt befallen hat. Die politische Rechte wiederum reagiert allergisch auf den Begriff »Inflation«, die stets, allerdings oft auch nur in geringem Ausmaß, eintritt, wenn Reichtum auf breiter Ebene entsteht. Dazu kommt bei den Konservativen noch der ausgeprägte Hang zu Sparsamkeit. (Erstaunlich, wie viele Gemeinsamkeiten Gegner häufig haben.)

Die Schaffung von Vermögen bedeutet aus Sicht der Informatik einfach nur, abstrakte Informationen, die wir speichern, in Einklang zu bringen mit dem konkreten Nutzen, den wir haben könnten. Ohne diese Abstimmung werden wir nicht in den Genuss all dessen kommen, was potenziell möglich ist.

Seit einiger Zeit geht es bei dem, was das neue Geld in die Welt gebracht hat, hauptsächlich um die »Memorialisierung« von Verhaltensabsichten. Es handelt sich also mehr um eine Berechnung der Zukunft, wie wir sie planen, als der Gegenwart, wie wir sie bemessen. Moderne Vorstellungen von Geld entsprechen dem Bedürfnis nach einem Ausgleich zwischen Planung und Freiheit. Wenn wir uns nicht gegenseitig Beständigkeit versprechen würden, wäre das Leben tückisch.

Also geben wir Versprechen ab, unser Leben entsprechend zu gestalten, schaffen aber ein gewisses Maß an Freiheit, indem wir entscheiden, welche Versprechen wir machen und wie wir sie einhalten. Wenn Ihnen also eine Bank Kredit gibt, weil sie Ihnen vertraut, können Sie das Geld zurückzahlen, doch Sie verfügen auch über einen gewissen Spielraum, wie Sie das machen. Außerdem konkurrieren mehrere Banken miteinander, die verschiedene Methoden zur Bewertung Ihrer Kreditwürdigkeit anwenden. Was für ein interessanter Kompromiss dadurch entstanden ist, der sowohl Freiheit als auch Planung umfasst!

Das ist eins der wichtigsten Geschenke des modernen, zukunftsorientierten Geldes. Durch die abstrakte Version eines Versprechens (etwa, dass man einen Kredit zurückzahlt) minimalisieren wir das Ausmaß, mit dem wir den Erwartungen der anderen entsprechen müssen. So, wie Geld die Vergangenheit vergisst und uns dadurch unzählige blutige Fehden erspart, ist es nun zu einem Werkzeug geworden, das die Zukunft abstrahiert. Dadurch erlaubt es uns ein Mindestmaß gegenseitiger Akzeptanz, die notwendig ist, um die von uns gegebenen Versprechen zu halten.

Wenn Sie ein Haus kaufen mit einem Kredit von einer Bank, die Nutznießerin des vielgeschmähten Mindestreserve-Systems ist, dann kommt es zu folgender Situation: Ein Teil des Geldes, mit dem Sie Ihr Haus bezahlen, hätte vielleicht nie existiert, wenn Sie sich nicht zum Kauf entschlossen hätten. Es ist quasi »aus der Luft gegriffen« oder erfunden, wie die Kritiker des Systems sagen,11 aufgrund Ihres bloßen Versprechens, dass Sie dieses Geld irgendwann in der Zukunft verdienen werden.

Ganz normale Menschen können also zur Schöpfung neuen Geldes beitragen, indem sie ein Versprechen machen. Man legt die Zukunft fest, indem man einen Plan erstellt und das Versprechen abgibt, sich daran zu halten. Als Reaktion darauf entsteht Geld, denn mit diesem Versprechen haben sie einen Wert geschaffen. Neues Geld wird geschöpft, um diesen Wert wiederzugeben.

Deshalb können Banken bankrottgehen, wenn ihre Kunden die Kredite nicht zurückzahlen. Banken verkaufen Werte, die unter anderem aus den zukünftigen Absichten der Kreditnehmer bestehen. Wenn die Kreditnehmer ihre Versprechen nicht einhalten, existieren diese Werte nicht mehr.

Eine Volkswirtschaft ist wie eine Kosmologie. Ein expandierender Markt ist wie ein sich ausdehnendes Universum charakterisiert von globalen Gesetzen und lokalspezifischen Phänomenen. Für einen gesunden Markt ist Wachstum erforderlich, das aber nicht auf Kosten der Umwelt oder anderer Werte erfolgen darf, die uns allen gehören. Wachstum ist nur ehrlich, wenn die Bedürfnisse der gewöhnlichen Menschen nicht vergessen, sondern im Gegenteil respektiert werden. Das bedeutet, dass ein gewisses Maß an Inflation – nicht zu viel – angemessen ist, weil die Leute ihre Geschäfte dann besser erledigen, nämlich so, dass auch andere davon profitieren.12 Das ist eine so simple Idee, dass man sie kaum wahrnimmt.

Wenn man das Vertrauen in die Grundlagen der Entstehung von Vermögen verliert, verliert man auch das Vertrauen in den Fortschritt der Menschheit insgesamt. Wenn der gesamte Wert, den es je geben wird, bereits existiert, dann kann es bei der Marktdynamik nur um Schwankungen, Konflikte und Anhäufung gehen. Wirtschaftlicher Stillstand oder Negativwachstum führen dazu, dass die Menschen rücksichtslos und unvernünftig handeln.

In einem wachsenden Markt entstehen neue Werte und neues Vermögen. Nicht jedes neue Vermögen kommt durch bahnbrechende Veränderungen wie Erfindungen oder die Entdeckung neuer Rohstoffe zustande.13 Manchmal entsteht es eben auch dadurch, dass ganz gewöhnliche Menschen ihr Versprechen halten.

Die Psychologie des Geldes hat mit seinem Nutzen nicht Schritt gehalten. Deshalb hat der Goldstandard in der populistischen Politik der USA eine so große Anziehungskraft und taucht in libertären Kreisen immer wieder als Argument auf.14 Es gibt nicht so viel Gold auf der Welt, und auf dieser Knappheit basiert sein Wert. Die Goldmenge, die bisher gefördert wurde, würde gerade einmal etwas mehr als drei Schwimmbecken mit einer Länge von fünfzig Metern und einer Breite von fünfundzwanzig Metern füllen.[3]

Wenn die Welt einen Goldstandard einführen würde, dann müsste die vorhandene Goldmenge als Speicher des globalen Computers fungieren, den die Menschheit zur Planung ihrer wirtschaftlichen Zukunft verwendet. Daher ist der Goldstandard eine ziemlich pessimistische Idee. Wenn wir unser Modell, wie wir die Zukunft gestalten wollen, auf die Speicherkapazität von etwa 50 Milliarden Feinunzen beschränken würden,15 würden wir damit im Grunde sagen, dass die Zukunft keine überraschenden Werte mehr bereithält.

Geld hat nur einen Wert, wenn die Menschen ihm diesen Wert zuschreiben, daher ist es sinnlos, über den absoluten Wert des Geldes zu diskutieren. Allerdings können wir über den Informationsgehalt von Geld sprechen. Wenn wir beim Zählen dessen, was wir eventuell in der Zukunft für wertvoll erachten, nur die Bits verwenden, die bereits in der Vergangenheit gezählt wurden, betrachten wir das, was in der Zukunft entdeckt oder erfunden werden könnte, unter Wert. Wir glauben dann nicht an das Potenzial der Menschen, die einander Versprechen abgeben, um etwas Neues und Großartiges zu erreichen. Und die Zukunft hat immer wieder bewiesen, dass sie großartiger ist, als sie sich irgendjemand je erträumt hätte.

Die Umwandlung von Geld in eine abstrakte Repräsentation der Zukunft (das, was wir »Finanzieren« nennen) begann vor etwa vierhundert Jahren und hat seitdem immer wieder neue Schübe erfahren, etwa in den wirtschaftlichen Boomjahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Um zu verstehen, was aus dem Konzept Geld seit dem Auftauchen günstiger digitaler Netzwerke geworden ist, müssen wir bedenken, dass in den vorangegangenen Jahrhunderten der Wohlstand und das Wohlergehen der Bevölkerung in den Industriegesellschaften insgesamt beständig zunahmen, auch wenn es immer wieder Einbrüche und natürlich auch furchtbare Kriege gab. Doch selbst angesichts dieser vielen schrecklichen Episoden war es unmöglich, nicht an die Zukunft zu glauben.

Zusammen mit dem europäischen Zeitalter der Entdeckungen und der Aufklärung entstand eine optimistische neue Form des Gedächtnisses, die auf den Versprechungen zukünftigen Verhaltens im Gegensatz zum bereits Geschehenen basierte. Das künstliche Gedächtnis wurde notwendigerweise stärker personenzentriert. Es gab keine andere Möglichkeit, Geld in Hinblick auf die Zukunft zu definieren, oder anders ausgedrückt, sich im Bereich Finanzen zu engagieren. Nur Personen, nicht die leblosen Informationen, konnten Versprechen darüber abgeben, was sie in der Zukunft tun würden. Ein Dollar ist und bleibt ein Dollar, egal wem er gehört, und Wertpapiere können immer wieder den Besitzer wechseln. Aber ein Versprechen gehört zu einer ganz bestimmten Person, sonst ist es nichts wert.

Der kürzlich erfolgte Zusammenbruch der Finanzwelt kann als Symptom der trügerischen Hoffnung betrachtet werden, dass die Informationstechnologie eigenständig Versprechen abgeben kann, ohne dass dazu Menschen nötig sind.

Wem gehört die Zukunft?

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