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Kapitel 4 Die Ad-hoc-Konstruktion der Würde der Masse Ist die Mittelschicht etwas Natürliches?

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Zeitgleich mit dem Aufkommen der Finanzwirtschaft vor etwa vier Jahrhunderten entstanden neue Technologien, die das Leben und die Gesundheit von Millionen Menschen verbesserten. Es kam außerdem zur wundersamen Herausbildung der Mittelschicht. Im Zusammenhang mit diesem Wandel stellt sich die Frage, warum nicht mehr Menschen und vor allem nicht früher von den Vorteilen der Moderne profitieren. Wenn die Technologie immer besser wird und es so viel Wohlstand gibt, warum sollte es überhaupt noch Armut, Hunger und Elend geben?

Der technische Fortschritt weckt unweigerlich den Wunsch nach immer neuen Verbesserungen. Wir erwarten von der modernen Medizin, dass ihr keine Fehler unterlaufen, und von modernen Flugzeugen, dass sie nicht abstürzen. Dabei war es vor einem Jahrhundert noch unvorstellbar, sich so etwas auch nur zu wünschen. Auch in der modernen Finanzwelt gehen Errungenschaften mit Misserfolgen einher.

Wenn man sich die Finanzmärkte als große, weltumspannende Kapitalströme vorstellt, liegt es nahe, dass es auch Untiefen, Wasserstürze und Stromschnellen gibt. Es gibt Strudel, die wirbeln alles nach oben, andere ziehen alles in die Tiefe. Oft war es so, dass die Armen ärmer und die Reichen noch reicher wurden. Marx verwandte einen Großteil seiner Energie darauf, diese Tendenz zu beobachten, doch um sie zu bemerken, muss man kein Experte sein.

Versuche, sich gegen den Strom zu stemmen und die Finanzen völlig durch die Politik zu ersetzen, wie es die kommunistischen Staaten versucht haben, zeitigten meist noch grausamere Folgen als selbst die schlimmsten Fehlfunktionen des Kapitals. Damit bleibt die Bekämpfung der Armut in einer Welt, die von den Finanzmärkten beherrscht wird, ein Problem.

Marx wollte etwas, was die meisten Menschen, mich eingeschlossen, nicht möchten: eine Kontrollinstanz, die dafür sorgt, dass alle das bekommen, was für sie am besten ist. Verwerfen wir also das marxistische Ideal und überlegen stattdessen, ob man sich darauf verlassen kann, dass Märkte von selbst eine Mittelschicht schaffen.

Marx argumentierte, dass Finanzmärkte diktatorische Instrumente seien, dass marktwirtschaftliche Systeme stets in den alten Trott zurückfallen und zu einer Plutokratie degenerieren würden. Ein Keynesianer würde zugeben, dass es diesen Trott gibt, würde aber einwenden, dass man ihn durch entsprechende Interventionen vermeiden könne. Es gibt zwar auch anderslautende Theorien, doch bislang hat die Mittelschicht, wenn es um ihr Überleben ging, auf diese Interventionen vertraut.

Großer Reichtum hat von Natur aus eine gewisse Beständigkeit über Generationen hinweg. Das Gleiche gilt auch für große Armut. Die Zugehörigkeit zur Mittelschicht allerdings hat sich bisher nicht als sonderlich stabil erwiesen. Um diesen Status zu wahren, benötigt man oft ein wenig Hilfe. Alle bekannten Beispiele für eine langfristig stabile Mittelschicht stützen sich auf keynesianische Interventionen und auf dauerhafte Mechanismen wie soziale Sicherungssysteme, um die Auswirkungen des Marktes zu mildern.

Es ist jedoch möglich, dass digitale Netzwerke eines Tages eine bessere Alternative zu diesen Mechanismen und Interventionen bieten. Um das zu verstehen, müssen wir uns zunächst mit menschlichen Systemen an sich beschäftigen.

Wem gehört die Zukunft?

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